Süddeutsche Zeitung

Im Kino: X-Men:Anders sein und stolz darauf

Neues von der Außenseiter-Saga: In "X-Men: Erste Entscheidung" zeigen Jennifer Lawrence, January Jones und Michael Fassbender als juvenile Mutanten, wie unglaublich sexy genetisch fundierter Klassenkampf sein kann.

Fritz Göttler

Mutter, sagt der kleine Junge erleichtert, als er die nächtliche großbürgerliche Küche betritt, einen Baseballschläger in der Hand - ich dachte, es wäre ein Einbrecher ... "Ich wollte dich nicht erschrecken", erwidert die blonde Frau im roten Kleid, selber ein wenig durcheinander, und schließt die Kühlschranktüre, "ich wollte mir nur einen Happen holen. Geh wieder ins Bett ..." Der Junge erstarrt, fixiert sie: "Wer bist du - und was hast du mit meiner Mutter gemacht? Meine Mutter hat nie in ihrem Leben einen Fuß in diese Küche gesetzt."

Die blonde Frau greift sich an den Kopf, und die Verwandlung beginnt, in das blaue Mutantenwesen, das man schon aus den bisherigen X-Men-Filmen kennt, die gestaltwandlerische Mystique - sie selbst wird sich, herangewachsen, diesen Namen geben. Hier ist sie noch ein kleines Mädchen, und der Junge ist Charles Xavier - später Professor X.

Zwei Außenseiter, zwei Abnormale haben sich in dieser kleinen Szene gefunden, zwei Einsamkeiten fusionieren zu einem selbstbewussten Gefühl von Zusammengehörigkeit. Weitere werden folgen.

Anders sein, und stolz darauf - das ist die Parole der großen Außenseiter-Saga um die X-Men. Genetisch fundierter Klassenkampf. Von allen Superheldenzyklen insistiert sie am nachdrücklichsten, am schmerzhaftesten auf dem Paradox, dass die überlegene Rasse - die der Mutanten mit ihren mannigfachen übermenschlichen Fähigkeiten und Tricks - nicht die herrschende ist. Dass sie den Menschen im Zeichen der Vernunft dienen, in Demut und bereit, Demütigungen dafür einzustecken.

Die herrschende Rasse, das sind - Anfang der Sechziger, in der heißesten Phase des Kalten Kriegs - die Geheimdienstler, das stupide CIA-Pack vor allem, diese beschränkten und bescheuerten, in ihre Bomben verliebten Machos, die in ihren Zentralen die Ziele ihrer Regierung verfolgen und dabei die Welt draufgehen lassen würden. Polittheater als Schmierenkomödie.

Im Mittelpunkt von "X-Men: First Class" steht die Kuba-Krise, und es ist irgendwie völlig plausibel, dass es die X-Men waren, die den Ausbruch eines weiteren Weltkriegs vermeiden konnten - der gutwillige Teil von ihnen jedenfalls. Und selbst der andere wird von ähnlichen Motiven noch bewegt - dem überzeugten "Nie wieder" der Nachkriegsgeneration: Nie wieder sollen Menschen sich darauf hinausreden, sie hätten nur Befehle befolgt.

Erik Lehnsherr, der sich später Magneto nennen wird, hat seine Lektion als Kind in einem KZ gelernt, wo ein Naziwissenschaftler (Kevin Bacon) seine Mutter erschoss, beim Versuch, Eriks Superpower hervorzulocken. Lang waren sie Freunde, Erik und Charles, in einer kleinen pointierten Szene sieht man sie Schach spielen am Lincoln Memorial, unter den Augen des Vaters der amerikanischen Nation. Eine Familienszene. Matthew Vaughn, der Regisseur, hat Spaß an solchen Momenten, mehr als an den gewaltigen Spezialeffekten, an denen immerhin John Dykstra mitarbeitete, der schon beim Anfang der Star Wars dabei war.

Unfinished business, sagt Matthew Vaughn von "First Class", er war bereits für den dritten X-Men-Film als Regisseur angeheuert, hat sich den Job dann aber nicht zugetraut. Nun führt er die X-Men an ihre Ursprünge zurück, und die juvenilen Mutanten sind unglaublich sexy, Jennifer Lawrence aus "Winter's Bone" als Mystique, January Jones aus "Mad Men" als Emma Frost und Michael Fassbender als Erik.

Fassbender ist ganz sixties-cool, er streckt am Strand von Kuba eine Hand aus und die abgefeuerten Flugkörper verharren im Flug, als stünde de Zeit still. Ein antiker Gott, dem Selbstbewusstsein eben sich in Zynismus verwandelt.

X-MEN: FIRST CLASS, USA 2011 - Regie: Matthew Vaughn. Buch: Ashley Edward Miller, Zack Stentz, Jane Goldman, Matthew Vaughn. Kamera: John Mathieson. Mit: James McAvoy, Michael Fassbender, Kevin Bacon, Rose Byrne, January Jones, Jennifer Lawrence. Twentieth Century Fox, 132 Minuten.

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SZ vom 10.06.2011/rus
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