Im Kino: Women Without Men:Soldaten im Garten Eden

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In ihrem politisch-poetischen Spielfilmdebüt erzählt die iranischstämmige Künstlerin Shirin Neshat von verlorenen Schlachten und unbesiegbarer Freiheitssehnsucht.

Rainer Gansera

Von Octavio Paz stammt die Zeile "Alle Schlachten haben wir verloren / Jeden Tag gewinnen wir ein Gedicht". Für Shirin Neshat könnte das ein Motto sein. Von verlorenen Schlachten, von gescheiterten Befreiungskämpfen erzählt die in New York lebende Iranerin in ihrem ersten Spielfilm "Women Without Men", einem magisch-realistischen Filmgedicht.

"Die schlimmsten Zeiten überleben wir nur durch die Kraft der Imagination", sagt die Künstlerin Shirin Neshat - und drehte einen Film über die Frauenbewegung in Iran.   (Foto: ap)

Die Bilder erinnern an das visuelle Universum Wong Kar-Wais oder Atom Egoyans, wenn sie Opulenz und Melo-Pathos, Traumcharakter und Realismus auf eigenwilligste Weise verweben. "Die schlimmsten Zeiten überleben wir nur durch die Kraft der Imagination", sagt Neshat und stellt eine Widmung voran: "Zur Erinnerung an all jene, die ihr Leben im Kampf für Freiheit und Demokratie im Iran verloren haben - von der Konstitutionellen Revolution 1906 bis zur Grünen Bewegung von 2009".

Der Kampf um Selbstbestimmung

Die verlorene Schlacht, an die hier konkret erinnert wird, ist der Sturz des ersten demokratisch gewählten iranischen Premierministers Mohammed Mossadegh im Jahr 1953. Mossadegh hatte die Ölförderung verstaatlicht, woraufhin die Geheimdienste der USA und Großbritanniens zu Drahtziehern eines Militärputsches wurden, der dem Schah wieder zur Macht verhalf. Neshat will an diesen Augenblick erinnern, an dem ein weltoffenes, säkulares Iran westlichen Großmachtinteressen geopfert wurde.

Vor den Hintergrund dieses Putsch-Sommers entfaltet "Women Without Men" die Schicksale von vier Frauen. Sie entstammen verschieden Klassen und Milieus, wehren sich, jede auf ihre Weise, gegen patriarchal-diktatorische Strukturen, kämpfen um Selbstbestimmung und finden in einem Anwesen vor den Toren Teherans zu schwesterlicher Solidarität.

Ein märchenhafter Ort, der paradiesische Garten durchflutet von Sonnenlicht, der sich aber auch albtraumartig verdüstern kann. Am eindringlichsten zeichnet sich die Figur der jungen Prostituierten Zarin (Orsi Tóth) ab, die dem Bordell entflieht und in einer Badeanstalt ihren ausgezehrten Körper wütend abschrubbt, als könne sie die Spuren der Demütigungen beseitigen. Sie wird den kleinen Bach finden, der als Leitmotiv der Widerständigkeit den Film durchquert, und so zum rettenden Garten gelangen.

Ein Hort der Offenheit

Zu Beginn des Films eine Selbstmordszene: Während sich ein stahlblauer Himmel über Teheran wölbt, springt Munis (Shabnam Tolouei) vom Dach eines Hauses in den Tod. Sie weiß keinen anderen Ausweg, um der Tyrannei ihres religiös-fundamentalistischen Bruders zu entkommen. Von ihrer Freundin Faezeh (Pegah Ferydoni) wird sie aus dem Grab geholt werden.

Eine magische Wiedergeburt, die Munis ein zweites Leben als Widerstandskämpferin beschert. Die vierte Frauenfigur ist Fakhri (Arita Shahrzad), eine wohlhabende, eine elegante fünfzigjährige Dame. Nach einem heftigen Streit mit ihrem Gatten, einem General, der sich eine zweite, jüngere und attraktivere Ehefrau zulegen will, zieht sich Fakhri auf das Anwesen zurück, das zur Frauen-Oase werden soll. Dort bietet sie nicht nur Zarin und Faezeh Unterschlupf, dort veranstaltet sie auch Zusammenkünfte von Künstlern und Intellektuellen. Ein Hort der Offenheit, der schließlich von Soldaten gesprengt wird.

"Women Without Men" basiert auf dem gleichnamigen Roman der iranischen Schriftstellerin Sharnush Parsipur. Im Iran steht er auf dem Index, dem Film wird es nicht anders ergehen. Beim Filmfestival von Venedig erhielt Shirin Neshat einen Silbernen Löwen für ihre Regie. Sieben Jahre lang hat sie sich dem Projekt gewidmet und jedem Bild ihren Stil aufgeprägt, der Innenwelt und Außenwelt raffiniert verknüpft und dabei weder ins Dekorative noch ins Ästhetisierende abrutscht. Schönheit und Traumcharakter der Bilderwelt bezeugen die unbesiegbare Freiheitssehnsucht, die nach jeder Niederlage im Poetischen gerettet und bewahrt wird.

Regie und Buch: Shirin Neshat, mit Shoja Azari. Kamera: Martin Gschlacht. Mit: Pegah Ferydoni, Arita Shahrzad, Shabnam Tolouei, Orsi Tóth. NFP, 99 Minuten.

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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