Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Wir sind die Nacht:Männer? Zu laut, zu gierig, zu dumm!

In dem deutschen Horrorfilm "Wir sind die Nacht" lässt Dennis Gansel eine Clique Vampirfrauen auf das Berliner Nachtleben los - fast ohne Twilight-Kitsch.

Cornelia Fiedler

Es wirkt wie ein Befreiungsschlag für ein Genre, das drohte, vom farblos-keuschen Moralteppich der Twilight-Saga erstickt zu werden: Dürstende, skrupellose, strahlendschöne Vampirfrauen mischen das Berliner Nachtleben auf. Die Ladies verstehen es zu feiern, betreiben einen eigenen illegalen Club, nehmen sich, was und wen sie brauchen, schwelgen im Luxus und das Blut fließt in Strömen.

Leicht haben es die Vampire in Wir sind die Nacht, dem neuen Film von Dennis Gansel (Napola), mit ihrem ewigen Leben nicht: Ähnlich wie dem Twilight-Edward bleibt auch ihnen als Kreaturen der Nacht noch ein Rest an Gefühlen. Dieses leidige Gewissen wird zwar oft vom Blutdurst überlagert. Doch Neuling Lena (Karoline Herfurth), eine 20-jährige Berlinerin, die sich bisher als Kleinkriminielle durchgeschlagen hat, sträubt sich gegen die vampirischen Instinkte. Ihr Flirt mit dem jungen Kommissar Tom, hübsch naiv gespielt von Max Riemelt, bringt zudem die Polizei auf die Spuren der Vampirgang: Beste Voraussetzungen für blutiges Actionkino mit einer trashigen Note.

Vom Ghettokind zum Luxusvampir

Lenas Entwicklung vom Ghettokid zum Luxusvampir ist die schnell geschnittene Variation einer Coming-of- Age-Geschichte: Denn durch das Vampir- wie das Erwachsenwerden verliert die Welt, und die Rolle, die man in ihr spielt, ihre kindliche Unschuld. In der ersten Nacht als Vampir liegt Lena wie vergiftet auf ihrem zerwühlten Bett. Schonungslos hält die Kamera auf das zitternde, weinende und würgende Bündel, beobachtet, wie sich die Adern ihrer Beine blau verfärben, wie das erste Tageslicht sie fast verbrennt.

Mit einer unberechenbaren Mischung aus Brutalität und Mütterlichkeit macht ihre neue, glamouröse Vampirfamilie Lena dann das menschliche Blut schmackhaft. Das Trio hat Routine: Die Erfahrenste im Bunde ist Louise - Nina Hoss als dominante, faszinierende Schönheit, der man ihre 250 Jahre nicht ansieht. Die Club-Chefin ist seit dem Tod ihrer Geliebten auf der Suche und findet Gefallen an Lena. Sie sorgt dafür, dass der Vampirismus in Frauenhand bleibt, denn Männer sind "zu laut, zu gierig, zu dumm".

Zwischen Fantasy-Action und Polizeithriller

Die jüngste unter ihnen, Nora, die Anna Fischer als enervierende Technogöre spielt, bonbonpink und gutgelaunt, präsentiert den Typus, der das Erwachsenwerden schlicht überspringt. Charlotte (Jennifer Ulrich) dagegen, Stummfilmschauspielerin, Vampir seit den zwanziger Jahren, wirkt kühl und abgeklärt, hat aber den Verlust ihrer Familie nie überwunden. Sie flieht - ein charmanter Drehbucheinfall - in die Literatur, nutzt alle Zeit der Welt, die sie ja nun einmal hat, um alle Bücher der Welt zu lesen.

Den Stoff zwischen Fantasy-Action und Polizeithriller hatte Dennis Gansel schon vor 16 Jahren entwickelt. Doch Produktionsfirmen und Verleihe blockten ab. Später war Gansels Geschichte dann zu nah am jüngeren Twilight-Stoff. Jan Berger überarbeitete das Drehbuch, und so blieb dem Film vermutlich manch moralinsaure Peinlichkeit erspart. Zwar liegt auch Wir sind die Nacht ein recht banaler Kampf von Gut gegen Böse zugrunde, doch bis auf wenige Ausrutscher ist immer ein rettender Anflug von Ironie oder eine Schießerei zur Stelle, sobald die Dialoge ins Ethisch-Pathetische abzurutschen drohen.

So lautet das maximale Schuldgeständnis von Nora zur Frage der vielen unschuldigen Opfer: "Okay, Aufräumen war noch nie unsere Stärke!"

WIR SIND DIE NACHT, D 2010 - Regie: Dennis Gansel. Buch: Jan Berger, Dennis Gansel. Kamera: Torsten Breuer. Mit: Nina Hoss, Karoline Herfurth, Jennifer Ulrich, Anna Fischer, Max Riemelt. Constantin, 100 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2010/ls
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