Im Kino: "W.E.":Gehasst ist besser als vergessen

Sie waren das Skandalpaar der dreißiger Jahre: Madonna erzählt in ihrer zweiten Regiearbeit die Geschichte der mondänen Hassfigur Wallis Simpson und ihres Geliebten, König Edward VIII. Dabei begibt sie sich auf sehr persönliches Terrain - und inszeniert den Tabubruch als feministisches Instrument.

Susan Vahabzadeh

Wir, das ist das große Ziel dieser Liebenden. Dass das Wir an die Stelle treten möge von zwei schwächlichen, vereinzelten Ichs. Einmal lässt es Madonna ihre Wallis Simpson verstohlen mit Lippenstift auf den Spiegel schreiben, sie wischt es sofort wieder weg, weil sie sich da noch gar nicht zu denken traut, dass es dieses Wir einmal wirklich geben könnte - sie, die zweifach geschiedene Amerikanerin, und ihr Geliebter, König Edward VIII. von Großbritannien und Nordirland, der aus Liebe zu ihr auf den Thron verzichtet. Sie haben dieses "W.E." tatsächlich gern benutzt - die Initialen ihrer Namen und für die Ewigkeit geschmiedetes Wir gleichermaßen.

Kinostarts - 'W.E.'

James D'Arcy und Andrea Riseborough spielen in Madonnas Film "W.E." das amerikanisch-britische Skandalpaar der dreißiger Jahre.

(Foto: dpa)

Madonna hat sich für ihre zweite Regiearbeit ("Filth and Wisdom" war vor vier Jahren die erste) einiges vorgenommen, was teils gewagt und teils nicht sehr naheliegend ist. "W. E." verwebt die entscheidenden Jahre der Anti-Königin Wallis (Andrea Riseborough) mit einer Rahmenhandlung, der Geschichte von Wally (Abbie Cornish) - nach Wallis benannt, einer New Yorkerin, die die Liebesgeschichte von Wallis und Edward nicht loswird.

Sie geistert durch ihre Träume und Sehnsüchte, und im Wachzustand macht sie diese Träume fest an den Gegenständen aus Wallis Simpsons Besitz, die um die Ecke bei Sotheby's gerade versteigert werden. Kein sehr aktueller Rahmen - das war 1998. "W. E." lebt von der Vorstellung, dass der Mythos dieser mondänen Hassfigur der dreißiger Jahre immer noch in allen Köpfen spukt.

So gesehen setzt "W. E." schon einmal einiges an Grundwissen voraus - die Eckdaten, wie es dazu kam, dass Edward VIII., König von England, 1936, weniger als ein Jahr nach Amtsantritt, das Exil in Frankreich an der Seite von Wallis Simpson dem Thron vorzog, muss man in Madonnas Film schon mitbringen - die Details, wie es dazu kam, dass Edward die zweifach geschiedene Wallis Simpson heiratete, dafür auf den Thron verzichtete, nach Frankreich ging als Duke of Windsor.

Madonnas Projekt in "W.E:" ist es nicht, eine Biografie nachzuerzählen - sie versucht eher, der Faszination Edwards für sie nachzuspüren, zu begreifen, was an Wallis Simpson so besonders war. Wie Madonna diese beiden Frauen physisch herausarbeitet, die herbe, staksige, weißhäutige Andrea Riseborough und die runde, weiche Abbie Cornish - das ist auf jeden Fall schon mal sehr schön anzusehen.

Romantik hat ihre Grenzen

Eine Rêverie, und so sind die Rahmenhandlung und Wallis' Leben auch ineinander verschachtelt. Wenn wir Wallis sehen, dann in den Tagträumen von Wally - sie hat bei Sotheby's gearbeitet, musste den Job für ihren Mann aufgeben, mit dem sie todunglücklich ist. Im Grunde erzählt diese Rahmenhandlung, wie eine Frau, in Ermangelung anderer Ziele im Leben, die Liebe zu einem Projekt erhebt, sie zum großen sinnstiftenden allumfassenden Supernirwana verklärt - als hätte sie die Grundzüge geradewegs aus Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" entnommen.

Das hat sie vielleicht auch, man sollte Madonna, die das Drehbuch zusammen mit jenem Alek Keshishian zusammen geschrieben hat, der seinerzeit den Dokumentarfilm "Truth or Dare" über sie machte, in solchen Dingen nicht unterschätzen. Für sie selbst, das lernt man in diesem Film, hat die Romantik klare Grenzen.

Madonna reizt an Wallis Simpson also, dass sie an den Konventionen Englands zwischen den Kriegen so rabiat gerüttelt hat - klar, dass Madonna, die auch eine Schwäche hat für Lola Montez (und vor allem für den Film, den Max Ophüls 1955 über sie drehte), dieses Leben interessiert, die Hassfigur und der Tabubruch. Madonna begreift den Tabubruch, mit dem sie selbst immer wieder experimentiert hat, erst letzte Woche mit einer entblößten Brust in der Türkei, als feministisches Instrument; als eine Geste, die sagt: Keiner wird mir vorschreiben, was ich tun soll.

Queen Mum als intrigante Zicke

Für historische Nuancen ist allerdings in dieser Wahrnehmung, dieser feministischen Verarbeitung der Figur kein Platz. Man muss es Madonna hoch anrechnen, dass ausgerechnet sie alle durch die Wallis-und-Edward-Biografien geisternden Details über ein ausschweifendes, eher ungewöhnliches Sexualleben einfach weglässt - dass sie aber auch gleich noch die Nazi-Kontakte, vor und nach der Abdankung, die nachweislich stattgefunden haben, forsch vom Tisch fegt, ist ein Fehler dieses Films. Angesprochen wird's schon, wobei da nicht Wallis Simpsons schmuddelige politische Einstellung zur Sprache kommt, sondern nur die von Edward - ach, was, heißt es da, die einen sagen, er "sei ein Nazi, die anderen, er sei Sozialist". Papperlapapp! Das wirkt, gelinde gesagt, politisch unbedarft.

Die Struktur, den Wechsel zwischen Traum und Wallys Wirklichkeit, hat Madonna überstrapaziert. Es ist natürlich richtig, wenn jemand wie Madonna dem eigenen Film viel Clip-Ästhetik verleiht, wer, wenn nicht sie. Aber über eine Strecke von zwei Stunden bräuchte der Film mehr Ruhe, eine weniger sprunghafte Erzählung.

"W. E." ist dennoch voller spannender Momente. Hier ist Queen Mum, damals noch nicht einmal Königin, eine intrigante Zicke - was einer unlängst erschienenen Biografie zufolge ein wesentlich realistischeres Porträt sein dürfte als das der zuckersüßen alten Dame, das gemeinhin in allen Köpfen spukt, auch durch Helena Bonham Carters Auftritt in "The King's Speech" im vergangenen Jahr befeuert, wo der Fokus klar andersherum ist: böse Wallis, liebe Liz. Madonna hatte auch, sagt sie, tatsächlich Zugang zu ziemlich exklusiven Quellen. Mohammed Al-Fayed habe ihr private Korrespondenz von Wallis Simpson - die er besitzt und nicht veröffentlicht - zur Verfügung gestellt.

Es sind die Briefe, die Wally im Film aus ihren Träumen reißen, in dem Anwesen bei Paris, in dem das Paar lebte (auch das gehört Mohammed Al-Fayed). War das das Leben, welches Wallis Simpson sich gewünscht hat, als sie die Initialen an den Spiegel schrieb? Die meistgehasste Frau Englands zu werden, eine reiche Ausgestoßene, das kann nicht der Plan einer Frau sein, die gesellschaftlich unbedingt aufsteigen, akzeptiert werden wollte. Und wie viel ist eine Liebe wert, an der man festhalten muss, weil sie so teuer war, dass die Kapitulation unerträglich wäre? Einmal sagt jemand über Wallis Simpson im Film, sie habe Edward "besessen, nicht dominiert", das ist ein feiner Unterschied.

Pauline Kael hat über die Schwierigkeit, endgültige Kriterien aufzustellen darüber, was im Kino gut und was schlecht ist, einmal gesagt: Wenn alles, was du glaubst, denkst und fühlst, hinterher noch am selben Platz ist, dann war es wahrscheinlich kein guter Film. Nach dieser Lesart liegt Madonna mit "W. E." ziemlich gut im Rennen - es wird sich kaum jemand finden, der Wallis Simpson je in diesem Licht betrachtet hat.

W. E., USA 2012 - Regie: Madonna. Buch: Madonna, Alek Keshishian. Kamera: Hagen Bogdanski. Mit: Andrea Riseborough, Abbie Cornish, Richard Coyle, James D'Arcy, Oscar Isaac. Senator/Central, 118 Minuten.

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