Im Kino: Tulpan:Der Anti-Borat

Die Braut verschmäht den Bräutigam - der großen Ohren wegen. Die kasachischen Steppenbewohner im Spielfilm "Tulpan" sind ein seltsames, lebhaftes Völkchen, aber nicht fremd.

Susan Vahabzadeh

Die Sache mit den Ohren macht Asas Freund Boni mehr zu schaffen als Asa selbst. Tulpan, das letzte Mädchen in der Gegend, das noch als Braut in Frage käme für Asa, hat ihn von hinter einem Vorhang aus begutachtet, und hat, wird Asa mitgeteilt, ihr Desinteresse bekundet - der großen Ohren wegen. Boni hantiert also beim nächsten Besuch bei Tulpans Eltern mit einem Bild herum, faltet die Ohren ab und hält sie an Asas Kopf - Hier!! Winzige Öhrchen hat Asa im Vergleich!

Im Kino: Tulpan: Asa (Ondas Besikbasov) will eine Schafherde und eine eigene Jurte, so schön und luxuriös, wie eine Jurte sein kann.

Asa (Ondas Besikbasov) will eine Schafherde und eine eigene Jurte, so schön und luxuriös, wie eine Jurte sein kann.

(Foto: Foto: Filmstarts)

Als Boni sein Ohrenplädoyer beendet hat und wieder zusammenpackt, sieht man erst, was genau sein Beweisstück A gewesen ist: ein Poster von Prince Charles. Wir sind hier im wilden Kasachstan, und man kann den Blicken von Tulpans Eltern bei der Begutachtung des Bildes entnehmen, dass Boni gute Chancen gehabt hätte, mit seiner Argumentation durchzukommen - wäre es denn eine Sekunde lang um Asas Ohren gegangen.

Es geht um kleine und große Träume. Die von Tulpan sind zu groß für den mickrigen Lebensentwurf, mit dem Asa sie zu locken versucht - er wird Tulpan nie zu Gesicht bekommen. Sie will in die Stadt, will auf eine höhere Schule. Asa schrecken die Entbehrungen nicht, die ihn als Hirten erwarten - und irgendwie sind die Bilder dieses kargen Landes, der Sonne, die hinter der Steppe versinkt, so schön, dass man das fast verstehen kann. Die Unendlichkeit einerseits und andererseits ein sehr überschaubares Leben, ohne Mysterien, in dem es immer nur ums Essentielle geht. Asa will eine Schafherde, eine eigene Jurte, so schön und luxuriös, wie eine Jurte sein kann.

Doch schon das erweist sich als unerreichbares Ziel. Er kann nur eine Schafherde bekommen, wenn er heiratet, einem Mann allein - so geht es zu im wilden Kasachstan - wird ein solcher Job nicht zugetraut. Er würde ihn, sagt ihm der Besitzer der Schafe, auch einfach nicht packen ohne Frau. Man hat das schon gesehen in einem anderen Jurtenfilm, "Tuyas Hochzeit", dem vorvorigen Berlinale-Sieger: Das Leben dort ist zu hart, um es allein zu schaffen. Tuya wollte auch nicht weg - sie liebte, wie Asa, ihre unwirtliche Welt.

"Tulpan", manchmal komisch und manchmal herzerweichend realistisch, ist der erste Spielfilm des kasachischen Dokumentarfilmregisseurs Sergey Dvortsevoy, der Siegerfilm der Cannes-Reihe "Un certain regard" 2008. Seine Steppenbewohner sind ein seltsames, lebhaftes Völkchen, der modernen Gegenwart ein wenig entrückt, aber nicht fremd. Dieses Niemandsland zwischen Zukunft und Vergangenheit können sie sich, vielleicht ist das der Reiz, nach Herzenslust einrichten. Boni, der Steppenclown, der gerne mit seinem Wüstenmobil herumrast und zu "The Rivers of Babylon" rockt, wird wegen der billigen Pornobildchen hinterm Fahrersitz zurechtgewiesen von Asas Schwager. Das, antwortet Boni im Brustton der Überzeugung, ist Kunst. Und wer wollte ihm hier draußen widersprechen?

TULPAN, 2008 - Regie: Sergey Dvortsevoy. Drehbuch: Sergey Dvortsevoy und Gennady Ostrovskiy. Kamera: Jola Dylewska. Mit: Ashkat Kuchinchirekov, Tulepbergen Baisakalov, Samal Yeslyamova. Pandora Film, 100 Minuten.

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