Im Kino: "Trennung":Hänsel und Gretel im Hexenhaus

Juliette Binoche als kapriziöse Chaotin: Im Melodram "Trennung" wird die Räumung des Gaza-Streifens zur existenziellen Erfahrung.

Hans Schifferle

Eine Utopie gibt es nur im Prolog des neuen Films von Amos Gitai, der im Jahr 2005 spielt, während der Räumung des Gaza-Streifens von israelischen Siedlern, und sie dauert nur ein paar Augenblicke.

Im Kino: "Trennung": Ein Potenzial grandioser Vitalität: Juliette Binoche (links) in Amos Gitais neuem Film "Trennung".

Ein Potenzial grandioser Vitalität: Juliette Binoche (links) in Amos Gitais neuem Film "Trennung".

(Foto: Foto: Pandora)

Ein Mann und eine Frau begegnen sich zufällig im Zug nach Avignon, zwei Reisende zwischen Gestern und Morgen, zwischen Enttäuschungen und vagen Hoffnungen. Sie rauchen eine Zigarette und machen sich lustig über die Komplexität ihrer jeweiligen Nationalität.

Die Frau nämlich ist Palästinenserin mit holländischem Pass, der Mann Israeli mit amerikanisch-französischem Ursprung. Als sie ein beflissener Zöllner ein wenig schikaniert, rücken sie zusammen. Alles ist plötzlich ganz einfach: Der Mann und die Frau sind sich ganz nahe, fern von ihrer Heimat. Sie küssen sich leidenschaftlich, und nur ganz leise ist da ein Hauch von Verzweiflung zu spüren.

Nach dieser Utopie en passant beginnt Gitais melancholischer Film der Begegnungen und Trennungen erst richtig. Von der Palästinenserin aus dem Zug wird man nichts mehr hören.

Träge aus Verzweiflung

Was aus ihr wird, bleibt ein Film im Kopf des Zuschauers. Der Israeli jedoch, der Uli heißt, ein ruhiger, nachdenklicher Mann, reist tatsächlich nach Avignon. Von nun an wird nichts mehr einfach sein in Gitais Film.

Komplexität zeigt sich schon in Ulis Verwandtschaftsverhältnissen. Uli fuhr nämlich nach Avignon, um am Begräbnis seines Adoptivvaters teilzunehmen.

Wichtiger noch scheint ihm die Wiederbegegnung mit Ana zu sein, die durch Adoption zu seiner Schwester wurde. Ana, die gespielt wird von Juliette Binoche, sagt von sich, sie sei träge - träge aus Verzweiflung. Aber zugleich ist diese sinnliche, chaotische Frau auch kapriziös.

In der riesigen, verfallenden Wohnung des Vaters scheint sie sich mit Uli zu fühlen wie Hänsel und Gretel im Hexenhaus. Der österreichische Kameramann Christian Berger lässt die Kamera durch die leere Wohnung gleiten, als taste sie ein Territorium europäischer Vergänglichkeit ab.

Binoche gibt in dieser mysteriösen Passage das beeindruckende Porträt einer suchenden jüdisch-europäischen Frau zwischen Depression und dem Potential grandioser Vitalität.

Als das Testament des Vaters geöffnet wird, gibt es eine Überraschung: Einen Großteil des Vermögens soll eine fast Unbekannte erben, eine junge Frau, die als Lehrerin im Gaza-Streifen lebt, der kurz vor der Räumung steht.

Sie ist Anas verschollene Tochter, die Ana als blutjunge Mutter kurz nach der Geburt in einem Kibbuz zurückließ. Der zweite Teil von Gitais Film spielt nun in Israel, er ist ein Melodram der Trennungen und Verstrickungen.

Der Verstrickung auch von privater und öffentlicher Geschichte. Ana ist mit Uli nach Israel gereist, um ihre Tochter wiederzufinden. Uli, ausgerechnet der überlegte Uli, ist als Offizier einer Polizeieinheit tätig, die die Räumung des Gaza-Streifens durchführt.

Fragen und Versäumnisse

Mit Disziplin und Respekt will Uli gegen seine Landsleute vorgehen, die sich verzweifelt an ihre Siedlungen klammern. Unterdessen taumelt Juliette Binoche als Ana durch den Gaza-Streifen, ihr Gesicht gleicht einer Schock-Landschaft aus Fragen und Versäumnissen.

Die Räumung selbst hat Gitai als eine Mischung aus Action-Melo und absurdem Theater inszeniert. Ein Mix auch, durch den er weitgehend oberflächliche Betroffenheit vermeiden kann.

Während Gitai sicherlich der alten Siedlungspolitik von Gaza skeptisch gegenübersteht, stellt er das Drama um den Landstreifen als existenzielle Erfahrung dar. Als eine Art Tourguide führt er persönlich Ana nach Gaza, erfahren und naiv zugleich, müde und skeptisch an die Menschlichkeit appellierend, an die Simplizität der Dinge.

Disengagement, Israel/F/D/I 2007 - Regie: Amos Gitai. Buch: Gitai, Marie-José Sanselme. Kamera: Christian Berger. Musik: Simon Stockhausen, Gustav Mahler. Mit: Juliette Binoche, Liron Levo, Barbara Hendricks, Jeanne Moreau, Amos Gitai. Pandora, 115 Minuten.

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