Im Kino: The King's Speech:Schamloser Stotterer

Colin Firth spielt in "The King's Speech" den stammelnden König Georg VI., der unfreiwillig auf den Thron gehievt wird. Um die Sprachbarrieren einzureißen, bedient er sich so grober Flüche, dass der Filmproduzent ein Problem hat.

Fritz Göttler

Der Film ist eine Klamotte, aber auf höchstem, auf königlichem Niveau. Das hat ihm in den vergangenen Wochen eine gehörige Ladung an Preisen eingebracht, von Kritikervereinigungen und Hollywood-Gewerkschaften, zuletzt am vorigen Wochenende sieben britische Baftas, und ein volles Dutzend Nominierungen für den Oscar, darunter Colin Firth (der inzwischen als unangezweifelter Favorit gilt), Geoffrey Rush und Helena Bonham Carter als beste Nebendarsteller, Drehbuch und Regie, bester Film ...

Der Film ist ein Historienstück aus dem vorigen Jahrhundert, es geht um Albert Frederick Arthur George, der 1936 als George VI. auf den britischen Thron kam. Um seinen Werdegang als König, der durch ein physisches Handicap sehr erschwert wurde, der junge Mann war ein Stotterer und hat in seinen Reden in der Öffentlichkeit nur mühsam die Worte herausgebracht. Wir erleben ihn in den Jahren, als noch sein Vater König war, George V., und der Junge noch Bertie genannt wurde innerhalb der Familie.

Nach des Vaters Tod wurde dann der Bruder Edward König, ein kurzes Gastspiel nur, denn auch Edward hatte einen Defekt, der ihn untauglich zum Monarchen machte, und der war nicht zu kurieren - die Liebe zu der skandalträchtigen, weil geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson, auf die er nicht verzichten mochte, und wegen der er nach wenigen Monaten abdankte. Einen anderen Defekt übergeht der Film, aber der streitlustige Christopher Hitchens hat ihn in einem Artikel in Slate aufgedeckt - das junge Paar war merkwürdig fasziniert vom Nationalsozialismus, der in den Dreißigern zur Macht gekommen war, und hatte keine Scheu, sich im Kreis von Hitler und seinem Gefolge aufzuhalten.

Bertie ist ziemlich fertig zu Beginn des Films, und Colin Firth spielt das unsagbar schön, diese bleierne Müdigkeit, diese traurige Lustlosigkeit, die nur ab und zu sich verdrängen lässt, wenn er seinen Töchtern - darunter die jetzige Queen Elizabeth - ein Märchen improvisiert. Ach, das Stocken und Stottern und Stammeln, der dauernde Kampf mit den Konsonanten, der die seltsamsten Knack-, und Krächz- und Ächzlaute produziert, die peinvollen Verzögerungen beim Artikulieren, die wie Erstickungsanfälle aussehen, die Panik, wenn er zu einem öffentlichen Auftritt verdonnert ist, und nicht mal seinen Schmerz und seinen Zorn kann er richtig rauslassen. Ein Prinz, den das fertig macht, dass er immer und überall Schwäche zeigen muss.

Seine Frau - Helena Bonham Carter, zwischen Koketterie und Sentiment, eine puppenhafte Matriarchin - tut schließlich nach langen vergeblichen Versuchen den entscheidenden Schritt, sie bringt ihren kranken Mann zum Sprachtherapeuten Lionel Logue, den Geoffrey Rush sehr souverän, sehr hammy also gibt. Alles eine Frage der Mechanik, erklärt er Bertie, der Technik. Er weigert sich, zu seinem Patienten in den Palast zu kommen, kennt überhaupt keine Berührungsängste. Nimmt sich mit größter Selbstverständlichkeit das Recht ihn zu duzen heraus, malträtiert ihn körperlich, um ihn aufzulockern. Im Ersten Weltkrieg hat er mit seinen Sprachtechniken traumatisierten Soldaten helfen können.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Lionel Logue es schafft, King Georges Sprachbarrieren einzureißen, und dabei eine Jugendfrei-Bewertung für den Film unmöglich macht.

Rückkehr zum Ordinären

Ein Mann der Praxis, der ein wenig schon die Tricks des amerikanischen method acting der Fünfziger vorwegnimmt und zeigt, wie die mit dem Acting der Shakespeare-Bühne zusammenhängen. Es ist ein kleines Lehrstück zum politischen Showbusiness, zur Kunst der Darstellung und der Selbstdarstellung, und wie die sich veränderte durch die neuen Techniken, zum Beispiel den Rundfunk und die Psychoanalyse. (Man liebt in Hollywood, soviel zu den Oscar-Chancen des King, die Filme, die zeigen, wie Leben in Show verwandelt wird, siehe Slumdog Millionaire, der 2009 bei den Oscars abräumte.)

Shaws Pygmalion gewissermaßen auf den Kopf gestellt: Colin Firth als eine königlich keusche Eliza, Geoffrey Rush als sein derber Professor Higgins - der sich bewusst bei seiner Therapie der Rückkehr zum Ordinären bedient: mit Hilfe einer Flut von groben Flüchen und schmutzigen Schimpfwörtern gelingt es Bertie völlig mühelos, die Sprachbarrieren einzureißen. Die entsprechenden Szenen genieren Harvey Weinstein mittlerweile, einen der Produzenten, weil sie dem Film in Amerika eine Jugendfrei-Bewertung unmöglich machen und dadurch die Zahl der möglichen Zuschauer drastisch verringern. Er hat schon mal laut und vorsorglich an eine neue, bereinigte Fassung gedacht.

Lionel Logue ist ein Underdog, bürgerlicher Mittelstand, eine große, nicht ganz respektierliche Wohnung, keine Approbation, aber selbstbewusst und genial in seiner Ungeniertheit. Einer vom anderen Ende der Welt, ein Australier, kantig und rau, aber auch er hat sein Handicap, er bewirbt sich hin und wieder für Shakespeare-Bühnen, wird aber immer nach wenigen Sätzen hinauskomplimentiert. Man spürt in ihm jene Momente von Beschwingtheit, Durchtriebenheit und Anarchie, wie sie in ihren Figuren und Stories vom Beginn des Jahrhunderts Oscar Wilde und Saki skizziert haben.

Es ist die erste große Medienkrise der Windsors, die der Film beschwingt ausbreitet, die bislang letzte haben uns in ihrem Film The Queen Stephen Frears und Peter Morgan vorgeführt. Dem Bild von George, dem Image, geht seine Stimme voraus. Der zweite, der nichtphysische Körper dieses Königs wird, wenn man der klassischen Theorie von Kantorowicz folgt, künstlich für die Apotheose präpariert, das heißt für die Apparatur der Radioübertragung. Die Präsenz, die von Bertie gefragt ist und die sein sprachlicher Defekt ihm unmöglich macht, ist medial vermittelt. Für die große Rede, mit der er seinem Volk den Eintritt Englands gegen das Deutsche Reich erläutert, wird der König schließlich präpariert. Für den Effekt der Gemeinschaft von König und Volk.

Es ist eine Rede, die der König ohne Öffentlichkeit hält, für die ihm im Palast ein Tonstudio der BBC eingerichtet wird. In einer einsamen Kammer, abgeschirmt von den Politikern, Beratern, Technikern, hinter einem Vorhang absolviert er seinen Auftritt. Man kennt diese kinomagische Anordnung, vom Zauberer von Oz.

THE KING'S SPEECH, GB/Australien 2010 - Regie: Tom Hooper. Buch: David Seidler. Kamera: Danny Cohen. Schnitt: Tariq Anwar. Musik: Alexandre Desplat. Produktionsdesign: Eve Stewart. Mit: Colin Firth, Helena Bonham Carter, Guy Pearce, Michael Gambon, Geoffrey Rush, Timothy Spall, Jennifer Ehle, Eve Best. Senator, 118 Minuten.

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