Süddeutsche Zeitung

Im Kino: The Kids Are All Right:Voll normale Familie

Auch Lesben können Spießer sein: Dass die beiden Frauen Nic und Jules eine Homo-Ehe führen und zwei Kinder haben, ist in "The Kids Are All Right" ganz selbstverständlich. Ist das die neue Unbefangenheit?

Rainer Gansera

Die Kids sind in Ordnung, ihre Eltern auch. Voll normale Familie. Gehobene Mittelklasse im sonnigen Südkalifornien. Es gibt die üblichen Friktionen, zwischen Teenagern und ihren überfürsorglichen, liberalen Eltern, die wiederum in der Midlife-Crisis stecken. Der Partner, der sich vernachlässigt fühlt, stolpert in einen Seitensprung, große Gefühlskrise, aber alles noch zu retten.

Am Anfang aber ist gerade diese Gewöhnlichkeit der Quell von Witz und Spannung, denn die Familie hat recht unkonventionelle Kontur: Die Eltern sind zwei lesbische Frauen, und die Kinder kamen durch künstliche Befruchtung mit dem Samen eines anonymen Spenders zustande.

Die Regisseurin Lisa Cholodenko nimmt das Unkonventionelle als Selbstverständlichkeit. Es wird nicht weiter thematisiert. Sie geht von eigenen Erfahrungen aus, und das Signum der Selbstverständlichkeit ist die Komödienform. Zeigt sich darin eine neue Unbefangenheit, offenbart sich hier gar ein Paradigmenwechsel im Untergrund des gesellschaftlichen Diskurses?

Zuerst ist es eine verblüffende, erhellende und pointenreiche Strategie, dass Cholodenko die Themenfixiertheit und politische Gestik des handelsüblichen schwul-lesbischen Films einfach ignoriert. Sie behandelt kein Thema, sondern zeichnet Charaktere.

Das tut sie mit Einfühlungsvermögen, mit einem Gespür für Stimmungslagen, für die Momente von Schönheit und Peinlichkeit, von wachem Selbstbewusstsein und versteckter Selbstverleugnung. Sie hat brillante Darsteller: Julianne Moore, Annette Bening, Mark Ruffalo.

Es ist also für dieses Familienbild nicht wichtig, dass hier zwei Frauen das Ehepaar bilden, es geht um typologische Kontraste und allgemeingültige Konflikte. Hier die Vertreterin des Realitätsprinzips, dort die Traumtänzerin. Nic (Bening) ist Ärztin, sie schafft das Geld herbei, hat eine Tendenz zum Workaholic und Kontrollfreak, spielt das Familienoberhaupt, sozusagen die männliche Rolle.

Jules (Moore) übernimmt den Part der Hausfrau. Sie wollte Architektin werden, hat ihre beruflichen Ambitionen aufgesteckt. Man streitet sich über alltäglichen Kram, über die Aufteilung der Pflichten, und nach dem Streit gibt es Versöhnungssex, auf den man sich mit einem Schwulenporno einstimmt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wodurch die Kinder das Familienglück ihrer Mütter in Gefahr bringen.

Den beiden Kids, dem 15-jährigen Laser (Josh Hutcherson) und der 18-jährigen Joni (Mia Wasikowska), wird dieses für Lesben doch recht erstaunliche Ritual mit einem Vortrag über die Differenz von weiblicher ("mehr nach innen gerichtet") und männlicher ("mehr nach außen gerichtet") Sexualität erklärt, und der betuliche Ton des Vortrags spreizt sich herrlich ironisch auf. Die Grundmuster sind bekannt, und der Gang des folgenden Dramas auch.

Liebevoll-ironisch

Die Kids wollen ihren biologischen Dad kennenlernen, machen ihn ausfindig, kommen prächtig mit ihm klar, bringen ihn mit den Moms zusammen. Er heißt Paul, Mark Ruffalo verkörpert ihn hinreißend cool als späthippiesken Slacker. Als Laser ihn fragt: "Wieso hast du Samen gespendet?", antwortet er: "Ich glaubte, das macht mehr Spaß als Blut zu spenden!"

Paul betreibt ein schnuckeliges Bio-Restaurant, engagiert Jules für die Neugestaltung seines Gartens und landet mit ihr im Bett. Das passiert wie im rauschhaften Affekt. Man muss keine Angst haben, dass Jules nun, dem homophoben Klischee folgend, zur Heterosexualität bekehrt würde.

Bis zu dieser Stelle funktioniert das Prinzip, die Gleichgeschlechtlichkeit der Eltern und die Samenspendersache als selbstverständlich und nebensächlich zu nehmen, nahezu problemlos. Was in dieser Lesben-Ehe abgeht, ist derart kompatibel zu dem, was in sozial vergleichbaren Familien stattfindet - es wird auch derart liebevoll-ironisch gezeichnet -, dass die Normalität wie automatisch zur Akzeptanz des Unkonventionellen wird. Es ist die richtige Strategie, dass diese Zwei-Mütter-Familie einem ressentimentgeladenen Diskurs über Normen schlicht entzogen ist.

In dieser Hinsicht mag man dem US-Kritiker Andrew O'Hehir beipflichten, wenn er ausruft: "Cholodenko hat die Komödie zur Homo-Ehe geschaffen, die Amerika gerade jetzt nötig hat!" Auch die fortschrittlichste Feier des Familienideals hat aber einen ideologischen Preis - und zwar in dem Moment, in dem die Familie zur Agentur systemkonformer Realitätstüchtigkeit wird. Wie gehen Nic und Jules mit Paul um? Sie verfahren mit ihm nach dem Prinzip Ausgrenzung. Er wolle ihr die Familie wegnehmen, klagt Nic: "Er ist nicht Vater der Kinder, er ist ihr Samenspender, er hat keine Zeit fürs Vatersein investiert."

Bedürfnisbefriedigung

Jules macht Paul zum Objekt einer Bedürfnisbefriedigung. Sie habe, im Empfinden der Vernachlässigung, eben ein Bedürfnis nach Anerkennung gehabt. Warum kann sie ihr Begehren und ihre Begegnung mit Paul nicht als etwas begreifen, das ihr die Tür zur Fülle ihres Selbst wieder geöffnet hat? Warum kann der Film nicht einmal für den Wimpernschlag einer Traumsekunde das Bild einer Familie entwerfen, in die Paul integrierbar wäre?

Angesprochen auf diese Möglichkeit, antwortet Lisa Cholodenko: "Ich glaube nicht, dass das funktionieren könnte, den Film bei einer Art Hippie-Kommune ankommen zu lassen, wo Paul dann im zweiten Schlafzimmer liegt." Wahrscheinlich ist das eine realistische und wahrhaftige Sicht. Aber es ist ein trauriger Realismus, der alle utopischen Momente, die in der Story doch aufblitzten, wieder einkassiert. Da findet kein Paradigmenwechsel statt, wenn sich das Unkonventionelle dem Konventionellsten fügen muss, um seine Arglosigkeit zu beweisen.

THE KIDS ARE ALL RIGHT, USA 2010 - Regie: Lisa Cholodenko. Buch: Stuart Blumberg, Cholodenko. Kamera: Igor Jadue-Lillo. Musik: Carter Burwell. Mit: Julianne Moore, Annette Bening, Mark Ruffalo, Mia Wasikowska, Josh Hutcherson<NO1>Kunal Sharma, Eddie Hassell, Zosia Mamet, Yaya DaCosta, Joaquin Garrido, Rebecca Lawrence, Lisa Eisner, Eric Eisner<NO>. Universal, 106 Minuten.

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SZ vom 17.11.2010/lena
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