Im Kino: The Good Heart:Krisenkreuzung

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Missmut als Überlebensmittel: Jacques lernt den Selbstmordkandidaten Lucas auf der Intensivstation kennen, holt ihn aus dem Karton unter der Brücke und bringt ihm seine zotigen Spielregeln bei.

Fritz Göttler

We don't do walk-ins", klärt der Mann am Tresen, der alte Jacques, seinen Lehrling Lucas über die ehernen Regeln in ihrem Metier, dem Barbetrieb, auf: keiner, der einfach so hereinplatzt, nur ein fester Stamm von Gästen, damit ist man in der Oyster Tavern sehr gut gefahren, einer kleinen Bar im finstersten Manhattan. Sie ist eine Art amerikanisches Gegenstück zum mythischen französischen huis clos - schwarz und eng wie eine existentialistische Kellertheaterbühne, mit traurig introvertierten Gestalten.

Jaques (Brian Cox) hat schon ein paar Herzinfarkte hinter sich - darum holt er sich einen jungen Mann in seine Bar, der einmal seine Nachfolge übernehmen soll. (Foto: Verleih)

Was Stagnation, Lebensüberdruss und Existenzkrise bedeuten, darüber konnten Isländer schon immer einiges erzählen. In Dagur Káris Film "The Good Heart" trifft die kleine aktuelle europäische Krisenstimmung auf die elementare der größten westlichen Industrienation. Die Bar wird dabei zum Schutzraum, ein Refugium als negativer utopischer Ort.

Jacques und Lucas (Brian Cox und Paul Dano) sind sich im Krankenhaus begegnet, auf der Intensivstation. Jacques lag da nach seinem fünften Herzinfarkt, der obdachlose Lucas nach einem missglückten Selbstmordversuch. Nach der Entlassung holt Jacques ihn aus seinem Karton unter der Brücke, er kriegt einen neuen Haarschnitt, neue anständige Klamotten und ein paar lapidare, bisschen zotige Spielregeln: Dass man nicht freundlich sein darf mit den Gästen. Dass der Barmann immer eher wissen muss, was ein Gast will, als dieser selbst.

Kleine und klar definierte Räume, das brauche er im Kino, hat Dagur Kári erläutert - ein Flugzeugklo, das sei für ihn ein magischer Ort. "Wahnsinnig eng, nur ein Quadratmeter groß, aber alles so funktional, jeder Zentimeter ganz sorgfältig organisiert. Ich würde gern einen Film machen auf einem Flugzeugklo."

"The Good Heart" bietet ein wenig mehr Raum, ist pragmatisch, unglaublich komisch und trostreich. Er präsentiert Missmut und moralische Gleichgültigkeit als Überlebensmittel in der modernen Gesellschaft. Es bringt nichts, seine Zeit und seine Energien damit zu verschwenden, anderen zu helfen. Oder, was die Filmemacher angeht, Sympathien zu mobilisieren für Figuren, denen nicht zu helfen ist. Die das nicht wollen. Auch wir müssen lernen, was es mit dem good heart wirklich auf sich hat. Lucas hat das ganz verkehrt gesehen, als eines Nachts eine Flugbegleiterin (Isild Le Besco) am Tresen steht und Champagner verlangt. Keine Laufkundschaft, keine Frauen. Und Champagner nur, um große Sportevents zu feiern.

THE GOOD HEART, Island/Dänemark/USA/F/D 2009 - Regie, Buch: Dagur Kári. Kamera: Rasmus Videbæk. Musik: Slowblow. Mit: Brian Cox, Paul Dano, Isild Le Besco, Stephanie Szostak, Damian Young. Alamode, 95 Minuten.

© SZ vom 25.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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