Süddeutsche Zeitung

Im Kino: The American:Schmetterling ist abgetaucht

Krieger ohne Licht: In Anton Corbijns wortkargem Film "The American" spielt George Clooney einen düsteren Profikiller, der der Versuchung unterliegt, ein Mensch zu sein.

Susan Vahabzadeh

Mr. Butterfly lässt sich der Mann nennen, der aufgetaucht ist in dem Städtchen in den Abruzzen, und er gibt vor, Fotograf zu sein. Sie haben, sagt der Pfarrer zu ihm, nicht die Hände eines Künstlers; es sind die eines Handwerkers. Und uns ist klar, dass das irgendwie stimmt, der Mann weiß, wie man Schusswaffen gebraucht und wie man sie herstellt, und nachts sitzt er in seiner Wohnung in dem Städtchen und baut ein Gewehr, mit dem man jemanden aus großer Entfernung erschießen kann und das doch in eine Aktentasche passt. Mr. Butterfly - der Schmetterling hat die Zeichnung auf seinen Flügeln nur zum Tarnen und Täuschen...

George Clooney spielt diesen Mann, der sich mal Jack nennt und mal Edward und Mr. Butterfly, in "The American", dem zweiten Film des Fotografen und Musikvideoregisseurs Anton Corbijn, der bekannt wurde durch "Control" über den Joy-Division-Sänger Ian Curtis, und von dem man nun sagen muss, dass er im Kino erst seine wahre Berufung gefunden hat.

In manchen Momenten scheinen Corbijns in Sepia oder Blau getauchte Fotografien durch die Kinobilder von "The American", er hat auch einen wunderbaren Fotoessay-Band zu dem Film vorgelegt - aber ihre Unnahbarkeit, der Sicherheitsabstand, den Corbijns Porträts immer zu halten scheinen zu den Menschen, die er zeigt, gewinnen im Kontext und in der Bewegung plötzlich einen Sinn, und die Mischung aus Distanz und Annäherung, die dabei entsteht, ist für das Porträt, das Corbijn und Clooney hier zeichnen, genau das Richtige. Einmal sitzt Jack im fahlen, blaukühlen Licht eines trostlosen kleinen Cafés; ein einsamer Mann am Ende der Welt.

Jack ist ein Killer, aber wer seine Auftraggeber sind, was genau er eigentlich getan hat, das bleibt alles nur Andeutung. Die erste Szene schon erzählt genug: Da ist er noch in Schweden, in einem entlegenen Haus mit einer Frau, und die beiden gehen im Schnee spazieren - jemand schießt, Jack ist schneller, erschießt den Angreifer, und sagt zu der Frau, die nicht versteht, was da passiert "Hol die Polizei", und sie befolgt das und dreht ihm den Rücken zu, und was er dann tut, folgt einer eigenen, gnadenlosen Logik. Schnell handelt Jack, aber nicht kaltblütig, mit einem Ausdruck der Verzweiflung im Gesicht. Ist das nur sein Überlebenswille?

Wir erfahren es nicht, es dämmert uns höchstens, das nicht einmal er selbst das weiß. Auf jeden Fall wird es für einen solchen Mann keinen Ausweg geben.

Jack nimmt Kontakt auf zu seinem Mittelsmann - die einzige Konstante in seinem Leben. Wer, fragt der, war die Frau? Du warst früher klüger, hast dir keine Freunde gesucht. "The American" beginnt wie ein Actionfilm, aber er ist keiner, er ist den Anfängen von New Hollywood näher als dem Kino heute, Sydney Pollacks "Die drei Tage des Condor" beispielsweise oder Monte Hellmans "Two Lane Blacktop" - in der Art, wie der Film mit dem Krimigenre spielt, es nutzt als Projektionsfläche für eine Charakterstudie.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich der Zuschauer Jack nicht entziehen kann.

Ein wortkarger Film, unterlegt mit einem Score von Herbert Grönemeyer. Ganz konzentriert sehen Corbijn und sein Kameramann Martin Ruhe Jack bei der Arbeit zu - wie er am Tisch sitzt und die Waffe baut, wie er durch die Gassen des Städtchens geht, in dem er sich versteckt. Kleine Gesten, unauffällige Blicke, die Angst, die auf einem Gesicht vorüberhuscht - das alles entfaltet seine wahre Wirkung erst in Bildern am Rande des Stillstands.

Zwischen Killer und Mensch

Das bedeutet nicht, dass diese Geschichte keine Spannung entwickelt: Sie tut es nur unendlich viel kunstvoller, als es derzeit Hollywood-Standard ist, wo man Action und Suspense ständig verwechselt. Corbijn setzt auf kleine Reize, einen Verfolger, den man nie richtig sieht, eine leise, permanente Ahnung von Bedrohung. Mr. Butterfly, einmal ganz beiläufig ausgesprochen von der falschen Frau. So weiß man in "The American" nie, was aus Jack werden wird - will es aber die ganze Zeit wissen.

Auch das ist klassisches New Hollywood - eine reizvolle Irritation zu erzeugen mit einem düsteren Helden, dem man sich nicht entziehen kann. Corbijn inszeniert das, als wolle er beweisen, mit wie wenig Vorgeschichte, Dialog, emotionalen Ausbrüchen man das erzeugen kann, ein Lehrstück in Minimalismus.

"The American", basierend auf dem Roman "A Very Private Gentleman" von Martin Booth, vom Drehbuchschreiber Rowan Joffe adaptiert, ist die ruhige, langsame Studie eines Mannes, der einen Weg eingeschlagen hat und ihn nicht mehr verlassen kann, und es ist eine Liebesgeschichte - nicht wirklich mit der Frau, die er trifft, eher die Vorstellung von einem Leben, von einer Zukunft, in die er sich verliebt. Jack ist vollkommen in seinem Beruf, ein perfekter Krieger - bis auf einen kleinen Fehler: Er ist auch ein Mensch. Profikiller, das ist ein Job für einen emotional Verstörten, für einen eisigen Egozentriker.

Aber auch am neuen Ort erliegt Jack immer wieder der Versuchung, sich wie ein Mensch zu benehmen, wenn ihn jemand wie ein Mensch behandelt. Hilft einem Bauern, der mit seinem Schaf-Transporter liegengeblieben ist. Trinkt mit dem Pfarrer, der seine Nähe sucht. Geht in den Puff, zu einer Nutte, die aussieht wie die Frau in Schweden, immer wieder zu derselben Frau, wenn sie nicht da ist, geht er wieder nach Hause. Ein Surrogat für eine Beziehung. Bis er ihr auf der Straße begegnet, und wieder der Versuchung erliegt, ein Mensch zu sein. Manchmal ist das Böse ein Kerker, aus dem man nicht mehr herauskommt. Das macht Jack zu einem wandelnden Toten, der wie ein Schmetterling einen letzten Blick auf das Leben wirft.

THE AMERICAN, USA 2010 - Regie: Anton Corbijn. Buch: Rowan Joffe. Kamera: Martin Ruhe. Mit: George Clooney, Vilante Placido, Thekla Reuten, Paolo Bonacelli, Johan Leysen. Tobis, 99 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2010/ls
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