Im Kino: Tarantinos "Death Proof - Todsicher":Der letzte Lapdance

Kungfu-Klopper, Tittenstreifen, Horrorschocker: Der Film "Death Proof" stimmt ein wenig traurig, weil er zeigt, dass Quentin Tarantino jedes Mal von vorne anfangen muss und nie aufhören darf, der Tanzbär zu sein.

Tobias Kniebe

Na los, Mister Tarantino, legen Sie die Platte noch einmal auf. Sie wissen schon: die Ballade vom kleinen Quentin. Wie die Mutter ihn in das Schmuddelkino an der Ecke setzt, damit sie ein paar Stunden ihre Ruhe hat. Mitten im Schwarzen- und Latino-Viertel, mitten in den siebziger Jahren. Stundenlang, tagelang muss er billige Filme anschauen: Kungfu-Klopper, Tittenstreifen, Horrorschocker. Sie prägen seine Phantasie, sein Weltbild, seine Sehnsucht. Sie retten den kleinen Quentin, und der große Quentin weiß, was er zu tun hat: Er muss diese Liebe zurückgeben, diesen Filmen Respekt verschaffen, ihre Legende bewahren im Medium des Kinos selbst. Sagen Sie das bitte noch einmal, Mr. Tarantino: Trash ist cool? Schmutz ist sexy? Billig ist besser?

Drei Frauen in Gefahr: Sydney Tamiia Poitier als Jungle Julia, Vanessa Ferlito als Arlene und Jordan Ladd als Shanna in Death Proof von Tarantino.

Drei Frauen in Gefahr: Sydney Tamiia Poitier als Jungle Julia, Vanessa Ferlito als Arlene und Jordan Ladd als Shanna.

(Foto: Foto: ddp)

Quentin Tarantino ist ein Tanzbär. Wir betrachten ihn mit freundlicher, zoologischer Neugier. Wir schwingen die Peitsche unseres kleinbürgerlichen Kunsthochmuts, den die fünfzehn Jahre seines Wirkens leider gar nicht erschüttern konnten, wir werfen ihm ein paar vorurteilsvergiftete Fleischbrocken hin - und er tanzt. Er redet ohne Punkt und Komma. Begeistert sich, schwärmt, wischt Einwände weg, wirbt um Verständnis, betet sein Mantra herunter. Ja, diese billigen Autoverfolgungsfilme aus den siebziger Jahren, die waren doch wirklich groß. Ein weißer Dodge Challenger mit einem 440er-Motor, der Vollgas gibt, was gibt es Schöneres auf der Welt? Und ja, Brutalität hin, psychopathische Killer her, grauenvolle Unfälle, zerfetzte Gliedmaßen, das ist schon hart, aber - ist es nicht auch geil?

So kann man "Death Proof - Todsicher", den neuen Tarantinofilm, natürlich auch betrachten. Geil. Nichtsogeil. Egal. Aber es stimmt ein wenig traurig, weil es zeigt, dass im Grunde nichts passiert ist; dass diese sogenannte Kino-Revolution der neunziger Jahre, die Tarantino angeblich angeführt hat, gar keine war; dass er im Grunde bei jedem Film von vorne anfangen muss, dass er nie aufhören darf, Tarantino der Tanzbär zu sein, und dass unser Blick auf ihn immer an der Oberfläche der Dinge hängenbleiben wird: An dem Totenkopf auf dem Kühlergrill dieses schwarzen Chevrolet zum Beispiel, der in "Death Proof" Tod und Verderben bringt; an der Narbe im Gesicht von Kurt Russell alias "Stuntman Mike"; an den Körpern der jungen Frauen, die Tarantino erst als Opfer und später als Rächerinnen ins Bild rückt; an den nackten Füßen, die er fetischistisch umkreist; und schließlich an Details wie der wütenden Quietschente auf dem Kühlergrill des Highway-Killers, die mit tausend Referenzen aus seinem Privatuniversum verbunden sind, mit anderen Tarantinofilmen oder eben, wie in diesem Fall, mit dem Truckerfilm "Convoy".

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Tarantino fühlt sich wohl an der Oberfläche. Da kennt er keinen Schmerz. Er könnte stundenlang über diese Kühlergrill-Quietschente reden, oder über das berühmte Gedicht "Stopping By Woods on a Snowy Evening" von Robert Frost, das er zitiert, das er aber natürlich nicht aus einem Gedichtband kennt, sondern aus dem Trashkino seiner Jugend, aus dem vergessenen Paranoia-Thriller "Telefon" mit Charles Bronson. Diese Robert-Frost-Zeilen funktionieren übrigens als Codewort - als Schlüssel zu einem heißen Lapdance in der Texmex-Bar in Austin, Texas, wo der ganze erste Teil des Films spielt, wo ewig geredet wird vor der letzten, betrunkenen Fahrt in den Tod. Drei junge Frauen reden da vor allem, eine Schwarze, eine Weiße und eine Latina, beste Freundinnen, selbstbewusst, relaxt, vereint in einem rassen- und klassenlosen Popuniversum, und natürlich reden sie über Jungs. Aber es ist typisch für die Wurstigkeit, mit der Tarantino inzwischen rezipiert wird, dass es überall heißt, sie redeten über Sex.

Einspruch! Diese vollausgewachsenen, lebenserfahrenen und toughen Frauen, und genauso jene, die ihnen in der zweiten Hälfte des Films nachfolgen, reden auf eklatante, ja geradezu demonstrative Weise über Keuschheit. Oder besser gesagt davon, wie entscheidend es für sie war, bei der letzten Gelegenheit keinen Sex zu haben. Arlene hat ihrem Freund gerade sechs Minuten Küssen erlaubt, Betteln verboten. Jungle Julia ist ernsthaft verliebt und hofft auf eine Beziehung, aber der Mann erscheint nie. Pam erklärt kategorisch, dass sie nicht mit Mike schlafen wird, weil der ihr Vater sein könnte. Abby arbeitet beim Film und ist in den Regisseur verliebt, hat ihn aber nie rangelassen. Lee berichtet von einem tollen Kuss, aber mehr war da nicht, und so fort.

Sex bleibt den Autos vorbehalten

Wer nur zuhören kann, der stürzt hier in einen Sog der Zeichen, aus dem es kein Entkommen mehr gibt - und merkt gar nicht mehr, welcher Meisterpsychologe nun am Werk ist: Tarantino schürt Begehren, wo er nur schüren kann, aber dann negiert er die sexuelle Energie, unterdrückt sie, schlägt die Männer mit psychotischer Impotenz. Der Lapdance, der in der kürzeren US-Fassung geschnitten ist, ist in der Tat die überflüssigste Szene: Weil der ganze Film schon ein einziger Lapdance ist, Erregung ohne Erfüllung, eine wortreiche Beschwörung des Nichtvollzugs. Dürfen diese Frauen mit niemandem schlafen, weil Tarantino es auch nicht darf? Er ist zwar unter ihnen, in der Rolle des Barkeepers Warren, aber diese Figur ist nur ein drolliger Kumpel, als Mann ist er nicht existent. Der wahre Tarantino steht hinter der Kamera, wo er auch stehen muss, damit das Spiel überhaupt losgeht - und verzweifelt dann doch, weil er nicht mitspielen darf. Könnte man denken. Aber auch darum geht es am Ende nicht.

Die Wahrheit ist: Die Menschen dürfen hier nicht ran, weil der Sex den Autos vorbehalten bleibt. Das finale Autorennen ist schnell und wild und sieht wunschgemäß so aus, als sei es in den tiefsten Seventies gefilmt worden - aber es ist trotzdem kein Autorennen im klassischen Sinn. Zwei Karosserien veranstalten hier eher, nun ja, Analverkehr. Was die souveräne Frau am Steuer auch wörtlich so in die Welt hinausbrüllt. Die aufgestaute Lust, die sich längst auf das Publikum übertragen hat, und zwar erkennbar auf beide Geschlechter - hier darf sie sich endlich mit tödlicher Konsequenz entladen. So verlässt man das Kino verwundert, ermattet, seltsam euphorisiert. Und wenn die Kritiker fragen, warum sie sich danach so leer und pubertär und schmutzig fühlen, und ob das nun wirklich wieder nötig war, dann ist die Antwort einfach die: So fühlt man sich eben nach dem Sex.

DEATH PROOF, USA 2007 - Regie, Buch, Kamera: Quentin Tarantino. Schnitt: Sally Menke. Mit: Kurt Russell, Rosario Dawson, Vanessa Ferlito, Jordan Ladd, Rose McGowan, Sydney Tamiia Poitier, Zoe Bell, Tracie Thoms. Senator, 127 Minuten.

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