Im Kino: Swans:Krankheit der Jugend

Die Krankenstation als Ort der Geborgenheit: Inmitten der mechanischen Rituale der Versorgung, des Waschens der Sterbenden und der verkrümmten Körper fühlt sich Manuel beschützt. Denn die merkwürdig abgenudelte Subkultur Berlins befremdet ihn nur.

Fritz Göttler

Eine kleine Coming-of-age-Variante, die all die Elemente auslässt, aus denen diese Geschichten sich gemeinhin zusammenbauen, die sich dem Drive verweigert, den sie entwickeln. Von einem wird hier berichtet, der auszieht, um zu erfahren was Körperlichkeit ist. Er steht in der Intensivstation eines Berliner Krankenhauses an einem Bett, deckt die Füße der Frau darin auf, betastet sie, deckt dann die Brust auf, tastet verschiedene Stellen des Körpers ab, neugierig, zärtlich, erregt, zieht das Laken weiter zurück, den Körper entblößend. Es ist der Körper einer nach der Chemotherapie im Wachkoma liegenden Krebskranken, die Ärzte sehen kaum noch Hoffnung für sie. Es ist der Körper seiner Mutter.

Themendienst Kino: Swans

Kai Hillebrand (im Bild) hofft in der Rolle des Manuel auf eine Karriere als Skateboarder.

(Foto: dapd)

Manuel ist nach Berlin gekommen, mit seinem Vater, damit er die Mutter Maria noch einmal sehen kann. Er lebt in Lissabon, hat keine Beziehung zu ihr. Er hofft auf eine Karriere als Skateboarder, ein einsamer, traumverlorener Sport. Der Vater pendelt zwischen Deutschland und Portugal, Import-Export, er handelt mit Limousinen.

Berlin als Ort intimer Begegnung, das ist natürlich ein Witz, und so hat der Portugiese Hugo Vieira da Silva die Stadt in "Swans" auch inszeniert - in der er, abwechselnd mit Wien, lebt. Eine winterliche Ödnis vor der fahlen Stadtsilhouette, das seelenlose Hochhausmassiv der Gropiusstadt, wo Vater und Sohn unterkommen in der Wohnung der Mutter, eine merkwürdig abgenudelte Subkultur, mit Rappern, Skatern, Sprayern. Bei allem Horror angesichts von Krankheit und Tod - die mechanischen Rituale der Versorgung, des Waschens der Sterbenden, der manipulierte Körper, verkrümmt und kahl wie die Homunculi in den SF-Filmen heute - ist die Krankenstation ein Ort der Geborgenheit.

Im ersten Film von Hugo Silva, "Body Rice", 2006, war die Bewegung andersherum, da wurden Berliner Jugendliche zur Resozialisierung an die Küste von Portugal verschickt, nach Alentejo, in der Konfrontation mit der kargen, leeren Landschaft sollten sie zu sich finden. In "Swans" gibt es keine Kommunikation mehr, Vater und Sohn sitzen nebeneinander vor dem Fernseher und wenn sie doch mal miteinander sprechen, produzieren sie peinlich um Verständnis bemühte, aber bedeutungsleere Sätze. Am lächerlichsten ist ein Vater-zu-Vater-Gespräch auf einem Revier mit einem Polizisten - von Reinhold Vorschneider, einem Kameramann der Berliner Schule, virtuos mit einer sinnlosen 360-Grad-Kamerafahrt ad absurdum geführt.

Einen einzigen Moment der Eruption, der Explosion gibt es, aber der ist fake. Ein farbiges pulsierendes, pilzartiges Gebilde auf einem Bildschirm, dazu Explosionsgeräusche. Aber es ist nur, übereinander gelegt, eine Grafik des wuchernden Krebses und das Scheppern der Skateboards in einer großen Halle. Natur und Kunst, Verlust und Gewinn der Körperbeherrschung.

SWANS, D/Portugal 2010 - Regie, Buch: Hugo Vieira da Silva. Kamera: Reinhold Vorschneider. Mit: Kai Hillebrand, Ralph Herforth, Maria Schuster, Vasupol Siriviriyapoon, Eva Kryll. Edition Salzgeber, 120 Minuten.

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