Im Kino: 72 Stunden:Der Mittelstands-Bond

Ein Mann muss die geliebte Frau aus dem Knast befreien, wo sie lebenslang eingesperrt den Lebensmut verliert: Russell Crowe kämpft in Paul Haggis' Thriller "72 Stunden" gegen Bürokratie und Verzweiflung mit ergoogelten Tricks.

Fritz Göttler

Ein Liebesfilm aus dem Herzen Amerikas, mit amerikanischem Drive, amerikanischer Moral. An seiner Basis aber gibt es Reste der europäischen Ritterliteratur und ihrer Nachfolger, der Kolportageromane von Dumas und Co. - der Film ist das Remake eines französischen Thrillers, "Pour elle", von Fred Cavayé, mit Vincent Lindon und Diane Kruger (bei uns auf DVD erschienen unter dem Titel "Ohne Schuld"). Das zweite Remake eines französischen Films innerhalb weniger Wochen, nach dem "Touristen" von Florian Henckel von Donnersmarck.

72 Stunden

Gebt meine Frau heraus! Russell Crowe kämpft gegen die amerikanische Justiz in Paul Haggis' "72 Stunden".

(Foto: Kinowelt)

Absolute Liebe, verrückte Liebe. Ein Mann muss die geliebte Frau aus dem Kerker befreien, wo sie lebenslang eingesperrt ist, den Lebensmut verliert. Ein Kampf gegen Bürokratie und Schikanen, gegen Borniertheit, gegen Verzweiflung und Depression. Um hier zu siegen, muss man die vertraute Welt aufgeben, die Sicherheit seiner Existenz. "Was, wenn wir uns entscheiden", fragt der Mann, "nur in einer Realität zu leben, die wir selbst fabriziert haben? Macht uns das zu Verrückten?"

Russell Crowe bewältigt diesen Kampf, diesen Übergang in eine andere Welt mit erstaunlicher Gelassenheit, mit einer methodischen Genauigkeit, die ans Aberwitzige grenzt. Sein Gesicht ist bartstoppelig und, das einzige Zeichen von innerem Bewegtsein, oft in Falten gelegt. Er ist John Brennan, Literaturlehrer an einem kleinen College in Pittsburgh. Keine wirklich große Karriere, eine durchschnittliche Existenz, auch die Frau arbeitet, Lara (Elizabeth Banks). Sie ist ein bisschen zu blond, zu dominierend, zu unbeherrscht. Eines Morgens dringt die Polizei ein, verhaftet sie, trotz Johns erbittertem Widerstand.

Ihre Chefin ist ermordet worden, Lara hatte am Abend zuvor Streit mit ihr, an ihrem Mantel ist Blut, ihre Fingerabdrücke sind auf der Tatwaffe. Es folgen Prozess und Verurteilung, sie muss ins Gefängnis, alle Revisionsanträge bleiben erfolglos. Drei Jahre später, nachdem alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, beschließt John, sie mit Gewalt aus dem Gefängnis zu holen. Das ist auch eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, er muss den Intellektuellen vergessen. Ich wollte Pittsburgh als Schauplatz, sagt Paul Haggis, wegen seiner Vergangenheit, seiner Geschichte als Stadt der Stahlwerke.

Der Drehbuchautor und Regisseur Paul Haggis ist ein kleiner Hollywood-Meister der Zufalls- und Schicksalsdramaturgie, der kleinen miesen Fatalitäten des Alltags. Unerbittlich hat er das vorexerziert in "L.A. Crash", von ihm selbst inszeniert, und in seinem Drehbuch für Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" - sowie in einer eleganten, spielerischen Variante in "Casino Royale" und "Quantum of Solace", seinen zwei James-Bond-Drehbüchern für Daniel Craig.

Kannst du es durchziehen?

"72 Stunden/The Next Three Days" entwickelt sich zu einer Art Mittelstands-Bond, statt mit den magischen Spielzeugen des treuen Tüftlers Q arbeitet Russell Crowe mit ergoogelten Tricks: wie man ein Autoschloss mit einem Tennisball öffnet, wie man einen Türschlüssel nachmacht ... Und er holt sich Rat beim Spezialisten, einem Top-Ausbrecher, der seine Erfahrungen auch literarisch schon vermarktet hat. Liam Neeson spielt ihn, mit der Aura eines IRA-Kämpfers, und bringt das Unternehmen auf den Punkt: Bevor du das anfängst, musst du dich fragen, ob du das durchziehen kannst. Wenn nicht, solltest du gar nicht anfangen ...

Crowe fängt an, er besorgt sich falsche Pässe, raubt Drogendealer aus, um zu Geld zu kommen, macht die Wand in seinem Arbeitszimmer zur großen strategischen Karte. Nicht das Gefängnis, sondern die Stadt ist das eigentliche Problem, das Labyrinth ihrer Straßen und U-Bahnen, das leicht zu überwachen und zu kontrollieren ist. Immer schneller nähert sich John den großen Professionals der amerikanischen Kriminalliteratur an, den Figuren von Richard Stark oder Elmore Leonard, in seinem Können, in seiner neuen, brutalen Moral.

Die Frage nach der selbstfabrizierten Welt und dem Verrücktsein ist eine akademische, der Literaturprofessor John stellt sie in seinem Seminar über Don Quijote. Mit dem begann, schrieb Foucault, "die grausame Vernunft der Identitäten und Differenzen bis ins Unendliche mit den Zeichen und den Ähnlichkeiten zu spielen". Wie jede filmische Katz-und-Maus-Action spielt auch dieser Film mit Erwartungen, mit vorschnellen Schlüssen, Fehlleistungen, gezielten Irreführungen. Nicht mal seinem Vater darf John seinen Plan anvertrauen, der Abschied bedeutet und Nimmerwiedersehen. Brian Dennehy spielt ihn, den man lange nicht mehr im Kino sah, er ist verschlossen und nahezu stumm, einer der sieht und weiß und versteht.

THE NEXT THREE DAYS, USA 2010 - Regie, Buch: Paul Haggis. Nach dem Film "Pour elle". Kamera: Stéphane Fontaine. Mit: Russell Crowe, Elizabeth Banks, Liam Neeson, Olivia Wilde, Brian Dennehy, Lennie James, Ty Simpkins, Helen Carey, RZA. Kinowelt, 133 Min.

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