Im Kino: Somewhere:Leidvolles Luxusleben

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In ihrem neuen Film erzählt Sofia Coppola wieder von einem Hollywood, das von der Unterhaltungsindustrie besessen ist: "Somewhere" passt perfekt in unsere Zeit.

Susan Vahabzadeh

Das Chateau Marmont ist als Ort für eine Geschichte über Hollywood schon mal eine gute Wahl. Erstens, weil dann in jeder Kritik irgendeine lustige Star-Anekdote steht, die in diesem Hotel spielt; und zweitens, weil es parabelhaft steht für die Menschen, die es bewohnen und die Sofia Coppola in ihrem neuen Film Somewhere beschreibt.

Endstation Tutti Frutti - Der Hollywoodschauspieler Johnny Marco (Stephen Dorff) lässt sich im italienischen Fernsehen vorführen. (Foto: Franco Biciocchi)

Eigentlich ist das Chateau Marmont nämlich nicht gerade das Burj al Arab. Aber hier wurden Filmlegenden gestrickt, bis das Haus selbst zur Legende wurde, es wurde als Sehnsuchtsort ausgerufen, vor so langer Zeit schon, dass keiner mehr fragt, warum. Mit Stars ist es ja auch oft so: Ihre Normalsterblichkeit ist in Vergessenheit geraten, und einer wie Johnny Marco, der Mann, um den Somewhere kreist, ist dann jahrelang zu Gast in einem Schauspielerleben, obwohl er eigentlich gar nichts in sich hat, was er spielen könnte.

Schon die erste Ankündigung zu Sofia Coppolas neuem Film klang nach einer neuen Fassung ihres größten Erfolgs Lost in Translation - aber nun ist dann doch einiges anders. Den selbstironischen Hotelbewohner Bill Murray, gestrandet in Tokio, musste man einfach lieben; Johnny Marco (Stephen Dorff) in Somewhere macht es einem schon schwer, wenn man nur versucht, ihn zu mögen.

Er ist einigermaßen erfolgreich, ein anderes Zuhause als das Chateau Marmont hat er nicht - he can check out anytime, but he can never leave. Man kann sich nicht vorstellen, dass er, gäbe es ihn wirklich, ein besonders großer Mime wäre. Er treibt an der Oberfläche, durch gleichförmige, sinnlose Tage im Hotel, angefüllt mit schönem Schrott.

Die Stripperinnen, die er sich ans Bett bestellt, können ihn jedenfalls nicht am Einschlafen hindern. Eine Assistentin regelt das wenige, was er zu erledigen hat, und nichts davon sieht besonders angenehm aus. Für eine Maske, die er in seinem nächsten Film tragen wird, wird ihm das Gesicht mit Plastikmasse zugespachtelt, und dann muss er regungslos da sitzen und warten, dass die Maske trocknet. Das erfordert keine Schauspielkunst, bloß Leidensfähigkeit.

Die braucht er auch, als er sich in einer italienischen Fernsehshow - kurzer Wechsel in ein anderes Hotel - lächerlich machen lässt, und für die Pressekonferenz, zu der ihn die Assistentin schickt: "Was ist ihr Fitness-Geheimnis?" - eine wunderbare Szene, surreal und treffend gleichermaßen, groteske Realität im Zeitraffer. Plötzlich steht seine elfjährige Tochter Cleo (Elle Fanning) vor der Hotelzimmertür, er soll auf sie aufpassen, bis sie ins Feriencamp fährt.

Sie ist dann tatsächlich alles, was in diesem Leben eine Rolle spielen könnte, würde er es denn zulassen für mehr als einen Augenblick - aber er lässt die Zeit mit ihr verrinnen wie ein Schlafwandler. Man hätte diese Geschichte natürlich weitertreiben können, ins tränenreiche Happy End oder ins spektakuläre Desaster - das entspräche dann aber so ganz und gar nicht Sofia Coppolas Art, Filme zu machen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Sofia Coppola eine besondere Art von Kronprinzessin ist.

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Es gibt noch einen großen Unterschied zu Lost in Translation - im Vergleich wirkt der fast geschwätzig. Es ist eine ziemlich große Herausforderung für Dorff, diese Sprachlosigkeit so zu spielen, dass man eine Ahnung davon bekommt, dass die Emotionen, die er nicht ausdrücken kann, irgendwo in ihm sind. Dorff macht das gut. Er ist selbst mal ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent gewesen und dann in der dritten Liga verschwunden - es zeugt von Mut, dass Sofia Coppola ihm zugetraut hat, diese Rolle zu spielen. Aber sie hat eben ziemlich viele Chuzpe - eine Selbstsicherheit in der Inszenierung, Mut, ihr eigenes Ding durchzuziehen, mehr, als Frauen sich oft in Hollywood (und anderswo) erlauben können.

Provozierend langsam

Somewhere ist ihr vierter Spielfilm, sie hat dafür bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen bekommen, und man kann inzwischen sagen: Keine Frau hat es in der Filmregie weiter gebracht als sie. Natürlich kommt es nicht von ungefähr, dass dies ausgerechnet der Tochter eines großen Regisseurs gelungen ist. Vielleicht hätte Sofia es ohne Francis Ford Coppola nicht geschafft. Aber sie hätte es schaffen sollen.

Sofia Coppola ist der seltene Fall einer Kronprinzessin, die gefördert und gehätschelt und ermutigt wurde, ohne zum Spiegelbild erzogen zu werden. Von der Art der Regie ihres Vaters, von seiner Dramaturgie hat sie sich jedenfalls nicht viel abgeschaut. Sie erzählt aktionsarme Geschichten, im Fall von Somewhere manchmal provozierend langsam, alles kreist um die Figuren - das sind schon fast weibliche Tugenden, die sie von ihrem Vater unterscheiden.

Auf Johnny Marco blickt sie mit Milde, aber ohne Mitleid, eher mit Verwunderung. Aber man hat schon den Eindruck, sie sei all ihren Charakteren tatsächlich irgendwann begegnet - den somnambulen Johnny, Cleo, die einerseits hingerissen ist von dem Lotterleben, an dem sie für ein paar Wochen teilhat, und andererseits doch spürt, dass hier nichts wichtig ist, auch sie nicht; oder das Starlet, mit dem Johnny früher was hatte, und die bereit ist, sich von jedem Fünkchen Würde zu verabschieden, um ihn zurückzuerobern.

Peter Pan, traurig und einsam

Es ist viel darüber spekuliert worden, wie viel Coppola von sich selbst in Somewhere preisgibt - aber da spricht wohl weniger die Tochter aus ihr (sie ist in weiten Teilen fern von Hollywood im Napa Valley aufgewachsen) als die Mutter, die ihren inneren Johnny Marco unterdrückt. Johnny ist ein trauriger, einsamer Peter Pan, ein um sich selbst kreisendes, ewiges Kind. So wie die selbstmörderischen Schwestern in Coppolas The Virgin Suicides, wie ihre Marie Antoinette weigert er sich, erwachsen zu werden.

Sie erzählt immer wieder aus Hollywood (auch Marie Antoinette ist bei ihr ja ein Popstar), und in ihren Bildern spiegelt sich eine Welt, die von der Unterhaltungsindustrie besessen ist, ihr einen größeren Stellenwert einräumt als der Politik, Johnnys Lebensstil für das Maß aller Dinge hält. Irgendwann einmal, wenn die Generation, der die 39-jährige Sofia Coppola angehört, auf ihr Leben zurückblickt, wird man vielleicht erkennen können, was für eine großartige Chronistin sie ist.

Johnnys rastlose Unbeweglichkeit erzielt einen schönen Effekt: Je weniger auf der Leinwand passiert, je länger Johnny ziellos mit seinem schwarzen Ferrari durch Los Angeles kurvt, desto mehr erfüllt er einen mit innerer Unruhe. Er müsste etwas tun, irgendetwas ändern, aber er weiß nicht mal, wo er anfangen soll. Und so sind wir letztlich alle.

SOMEWHERE, USA 2010 - Regie und Buch: Sofia Coppola. Kamera: Harris Savides. Schnitt: Sarah Flack. Mit: Stephen Dorff, Elle Fanning. Tobis, 98 Min uten.

© SZ vom 10.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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