Im Kino: Small World:Der Unruhestifter

Konrad fackelt den Landsitz ab - und die Unternehmerfamilie mag ihn nicht vor den Gästen rügen: In "Small World" geraten Alexandra Maria Lara und Gérard Depardieu als unschuldige Seelen in einen Sumpf aus Lüge, Betrug und Mord.

Anke Sterneborg

"Die Welt ist klein", sagt Konrad immer dann, wenn sie sich gerade mal wieder als viel zu groß erweist, wenn jemand ihm die Zusammenhänge erörtert, die er selber nicht mehr erkennt. Konrad leidet an Alzheimer, er verläuft sich auf dem Weg zum Supermarkt, er verlegt seine Brieftasche im Kühlschrank und kann sich nicht an Menschen erinnern, die ihm am Tag zuvor vorgestellt wurden.

Small World

Verloren im Vergessen: Alexandra Maria Lara als Simone fühlt sich in der seltsamen Familie Senn genauso wenig daheim wie der senile Konrad - weshalb sich die beiden bald anfreunden.

(Foto: Majestic)

Gerade hat er mit dem Kaminfeuer den ganzen Landsitz der wohlhabenden Unternehmerfamilie Senn abgefackelt, die ihn als Kind unter ihre Fittiche genommen hat. Nun platzt er konfus und verwirrt in eine Hochzeitsfeier hinein und verschüttet Wein über dem Kleid der Braut. Wie ein tollpatschiger Unruhestifter wirkt er, ein Partycrasher, mit dem in solchen Kreisen sonst kurzer Prozess gemacht wird.Doch aus unerfindlichem Grund zügeln die Gastgeber ihren Unwillen, und plötzlich liegt eine undefinierbare Anspannung in der Luft. Ist es Mitleid? Nachsicht? Oder sind es gar Schuldgefühle? Wie ein Lausbub, den man nicht vor den Gästen ausschimpfen will, wirkt dieser erwachsene Mann mit sechzig Jahren. Nach "Mammuth" lässt Gérard Depardieu auch in "Small World" von Bruno Chiche in seinem mächtigen Körper einen kindlich naiven Geist erahnen. In aller Unschuld und Ahnungslosigkeit rührt er dabei an düsteren Familiengeheimnissen.

Ausgerechnet im Vergessen den Schlüssel für ein altes Verbrechen zu verbergen, war ein ziemlicher Coup des Schweizer Autors Martin Suter, dessen Romane derzeit geradezu systematisch verfilmt werden. Während die Krankheit Konrads Kurzzeitgedächtnis zersetzt, spült sie lange zurückliegende Erinnerungen nach oben, und als die Hausherrin von diesem kleinen Nebeneffekt erfährt, zeichnet sich panischer Schrecken in ihren Zügen ab. Bisher waren die Männer nur Marionetten im von ihr geführten Matriarchat, jetzt wird ihr ausgerechnet dieser tumbe Tor zur Gefahr, der wie ein Bruder ihres Sohnes Thomas in der Familie aufgewachsen ist. "Tomi-Koni" skandiert er immer wieder, schlafwandlerisch verträumt, ein kindliches Wechselspiel, in dem eine gefährliche Wahrheit nistet.

Chabrol hätte seine Freude an diesem Stoff über die dunklen Abgründe in einer Unternehmerfamilie gehabt, doch Bruno Chiche kann mit der Raffinesse von Suters Konstruktion nicht ganz mithalten. Sein Film wirkt eher bieder, allein die Präsenz von Depardieu lädt ihn immer wieder mit Energie auf, und der mädchenhafte Charme der immer häufiger international agierenden Alexandra Maria Lara. Als Angeheiratete bleibt sie genauso fremd in dieser Welt wie Konrad, ganz selbstverständlich solidarisiert sie sich mit ihm - zwei kindlich unschuldige Seelen in einem Sumpf aus Lüge, Betrug und Mord.

SMALL WORD, F/D 2010 - Regie: Bruno Chiche. Buch: Chiche, Fabrice Roger-Lacan, Juliette Sales und Jennifer Devolder, Schnitt: Marion Monnier. Musik. Klaus Badelt. Mit: Gérard Depardieu, Alexandra Maria Lara, Françoise Fabian, Niels Arestrup, Nathalie Baye. Verleih: Majestic. 93 Min

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: