Im Kino: "Shortbus":Dies ist kein Porno

Zwar zeigt Regisseur Mitchel in seinem Film echten Sex. Aber Schmuddelkino ist das noch lange nicht, sondern etwas völlig Neues im Mainstream-Kino. Weil der Film sowohl explizit als auch optimistisch ist.

Susan Vahabzadeh

Wie fremd die Welt des Theaters und das Kinouniversum einander sind, das merkt man einerseits an Skandalen und an der Schwierigkeit, überhaupt noch einen zu entfachen, andererseits. Im Kino gibt es so gut wie keine Skandale mehr. Auf den großen europäischen Festivals sind längst Filme gelaufen, für die ihre Schöpfer Schauspieler aus dem Pornogeschäft engagiert haben - das lässt sich nicht mehr steigern, und die Nachricht, welcher denn nun in diesem Jahr der Film mit den krassesten Sexszenen ist, stößt höchstens noch auf lüsterne Langeweile.

Im Kino: "Shortbus": Rob sucht Antworten für sein Sexleben die Sextherapeutin Sofia nach dem ersten Orgasmus.

Rob sucht Antworten für sein Sexleben die Sextherapeutin Sofia nach dem ersten Orgasmus.

(Foto: Foto: AP)

Sollte John Cameron Mitchell, dessen "Shortbus" in Cannes Premiere hatte, darauf spekuliert haben, dass man in Europa Tagesgespräch wird, weil man seinen Film mit einem Blowjob anfängt, hat er sich verrechnet. Cannes ist, was das betrifft, so ziemlich der wahrnehmungsverzerrendste Ort, den man sich vorstellen kann.

Sex ist irgendwie Leibeserziehung

"Shortbus" ist eine Art Reigen in New York, die Geschichte einer Gruppe von Menschen, die ihre Probleme in Swingerclubs zu lösen versuchen, erzählt mit der Leichtigkeit einer romantischen Komödie, in der das größte Drama in einem missglückten Rendezvous besteht. Im Zentrum der Geschichte steht die Therapeutin Sofia (Sook Yin-Lee), die Paaren erzählt, wie sie ihr Sexualleben besser in den Griff kriegen, selbst aber noch nie einen Orgasmus hatte; dazu gibt es ein schwules Paar, James und Jamie, mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon, was zusammenleben heißt. Sofia macht sich mit ihrem Mann auf in einen Club - eine Mischung aus Orgienpalast und heruntergekommenem Loft.

Dies ist kein Porno

Sie findet dort zwar nicht, was sie sucht, lernt aber einiges über ihren Gatten dazu; James und Jamie finden dort zu einer neuen Ebene der Beziehung in Form eines dritten gemeinsamen Liebhabers. Seelenlos ist diese Story nicht, weil eigentlich alle doch nur nach Nähe suchen - was sie nicht daran hindert, Sex irgendwie in der Abteilung für Leibeserziehung anzusiedeln.

"Shortbus" operiert mit der für Ensemble-Filme inzwischen üblichen Erzählstruktur, gemacht ohne große Verrenkungen oder überraschende Einfälle, inhaltlich betrachtet gilt für die Sexszenen genau das Gegenteil - Mitchell sind noch ein paar Sachen eingefallen, die nicht mal im Kamasutra vorkommmen. Ein Kino-Essay über Sex in dem Sinne, in dem es Catherine Breillat oder Virginie Depentes inszenieren würden, ist der Film allerdings nicht.

Ein durch und durch freizügiger Film

Wer in diesem Film nach dem intellektuellen Überbau sucht und hofft, es werde irgendwo ein Verhältnis des Autorenfilmers Mitchell zu Lacan aufblitzen, der hofft vergebens. John Cameron Mitchell - mit "Hedwig and the Angy Grinch" ist er bekannt geworden, auch den hat er inszeniert und geschrieben - wollte dem Sex alle Last und alle Düsternis nehmen. Auf eine Art davon erzählen, die alle Psychokisten und Konventionen außen vor lässt.

Was dabei herausgekommen ist, ist ein durch und durch freizügiger Film, der tatsächlich sehr unbeschwert und fröhlich wirkt, manchmal albern - und dem man dann immer noch vorwerfen kann, dass Menschen nun einmal wesentlich komplizierter sind, als es sich Mitchell wünschen würde.

Wie genau Despentes ihren Film "Baise-moi" mit Feminismus zusammenbringen, mag einem eher mysteriös vorkommen, aber bei Breillat geht es ja tatsächlich um eine Untersuchung der Sehnsucht nach Unterwerfung, um das Verhältnis von schwer eingestehbaren Phantasien und der Macht über sich selbst und das eigene Leben.

Solche Sorgen haben Mitchells Charaktere nicht, "Shortbus" wirkt da ein wenig schlicht und unbedarft. Im Fall von Sex nennt man die Abbildung ohne Meta-Ebene im Allgemeinen Pornographie, aber ganz so leicht macht es einem Mitchell dann doch nicht - er will seine Freiheit, sein Recht auf Abbildung einklagen, seinen Film als "einen kleinen Akt des Widerstands gegen Bush" verstanden wissen. Auch das ist nackter Optimismus.

Damit betritt er allerdings tatsächlich Neuland - einen Film, der gleichzeitig so explizit ist und so optimistisch hat es im Mainstream-Kino tatsächlich noch nicht gegeben. Und dann taugt das Resultat immer noch zur Selbstprüfung. Wer's nicht aushält, ist entweder prüde oder zu anspruchsvoll.

SHORTBUS, USA 2006 - Regie, Buch: John Cameron Mitchell. Kamera: Frank G. DeMarco. Schnitt: Brian A. Kates. Mit: Sook-Yin Lee, Paul Dawson, Lindsay Beamish, P J DeBoy, Raphael Barker. Senator/Central, 102 Minuten.

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