Im Kino: Schwerkraft:Kollateralschäden

Normalsein, das ist was für Arschlöcher: Einer seiner Kunden steckt sich die Pistole in den Mund und Banker Frederik lernt, dass Durchdrehen ein Weg ist, die Krise zu bewältigen.

R. Gansera

Was wollen Frauen wirklich? Die schwierigste aller Fragen. Wollen sie Sicherheit, ein wohlgeordnetes Leben und ein Eigenheim wie in der Margarinewerbung? Oder wollen sie den Abenteurer, den Lebenskünstler, den Gangster?

Vielleicht beides zugleich. Vielleicht wissen sie es auch gar nicht. Männer dagegen wollen nur das Eine: die Frau ihrer Träume für sich gewinnen. Nur mit ihr können sie der Schwerkraft der Existenz entkommen. Wie Frederik Feinemann (Fabian Hinrichs), 35 Jahre alt, auf dem Weg vom smarten Banker-Yuppie zum durchgeknallten Möchtegern-Gangster. Alles in seinem Leben steuert auf den Moment zu, an dem er seiner Liebsten zulächeln kann, während die Handschellen an seinen Knöcheln einrasten.

Was kommt jetzt, ne Mondlandung?

Maximilian Erlenweins Spielfilmdebüt Schwerkraft jongliert mit allerlei Genre-Elementen - Lovestory, Buddy-Movie, Gesellschaftssatire - und zeichnet zugleich eine abgründige Charakterstudie. Die Story hebt mit einem Knalleffekt an. In der Bank sitzt Frederik einem verstörten Kunden gegenüber und verweigert die Verlängerung des Kredits. Der fassungslose Mann - unter seinem Jackett ist ein Band-T-Shirt mit dem Aufdruck "Freezing Beach Tornados" erkennbar - beginnt einen Countdown: "Fünf - Vier- Drei ...". Frederik, zynisch wie immer: "Was kommt denn jetzt, 'ne Mondlandung?" Dann sagt der Kunde "Wiedersehen", steckt sich eine Pistole in den Mund und drückt ab.

Während sein Chef ihm rät, den Tod des Kunden als Kollateralschaden des Jobs wegzustecken, hängt der schockierte Frederik apathisch in den Seilen seiner bisherigen Existenz. Er weiß: so kann es nicht weitergehen mit seinem Leben. Die Blutspritzer auf dem weißen Hemd sagen ihm überdeutlich, dass nun all das, was er in seinem glattgebügelten Yuppie-Dasein verdrängt hat, auf Wiedererweckung wartet. Aber wie soll das gehen? Tollpatschig versucht er im Supermarkt eine CD der "Freezing Beach Tornados" zu klauen.

Seinen unterdrückten Triebimpulsen lässt er freien Lauf

Dabei trifft er auf seinen Jugend-Freund Vince (souverän: Jürgen Vogel), der einige Jahre im Gefängnis saß und nun sein Lehrmeister in Sachen Kriminalität werden soll. Frederik absolviert eine Umschulung, formt mit Vince ein munteres Gangster-Duo, lässt seinen unterdrückten Triebimpulsen freien Lauf - und fasst sogar Mut, sich der Frau wieder anzunähern, die ihn vor sieben Jahren verließ: der schönen, geheimnisvollen Nadine (zauberhaft: Nora von Waldstätten). Ihr gesteht er: "Ich hab sieben Jahre lang versucht, normal zu sein. Aber Normalsein, das ist was für Arschlöcher!"

Fabian Hinrichs macht aus dieser Figur das Highlight des Films. Kein Ein-Mann-dreht-durch-Abziehbild, sondern einen Protagonisten, der in jeder Szene neu entworfen und prägnant gezeichnet wird: mal fett und exzessiv, dann wieder derart feinnervig, dass die kleinsten Risse in im aufbrechenden Charakterpanzer erkennbar werden - jede Szene eine Eruption. So bieder dieser Frederik auf den ersten Blick auch erscheinen mag, sein flackernder, irrlichternden Blick verrät von Anfang an das Unberechenbare. Schon in "66/67 - Fairplay war gestern" spielte Hinrichs einen Mittdreißiger, in dem es mächtig gärt und brodelt. Zu jung für eine ordentliche Midlifecrisis, zu alt für Adoleszenz-Fantasien. Eine zeittypische Gestalt, die Hinrichs nun als Frederik breiter ausmalt, mit Komik und wahrer Abgründigkeit.

Taumel der Ernüchterung

Auch eine Männer-Wunschfantasie, wie sie das Kino liebt. "Das Kino unterschiebt unserer Vorstellung eine Welt, die sich unseren Wünschen fügt", heißt es in Godards Le Mépris. Aber die bloße Wunscherfüllung behält nicht das letzte Wort. Vom Slapstick-Jux der Einbrüche geht es hinüber zum Taumel der Ernüchterung. Frederiks Trip, den die Musik des Element-of-Crime-Gitarristen Jakob Ilja kongenial begleitet, ist Traumabewältigung und kuriose Selbstsuche, Befreiungsakt und erschreckender Absturz ins Bodenlose. Gerade noch rechtzeitig erinnert sich der Ex-Banker an den eigentlichen Horizont seiner Sehnsüchte: Nadine. Mit ihr will er nach Island entfliehen: "Du bist die Liebe meines Lebens". Sie: "Und du bist die Katastrophe in meinem Leben!"

SCHWERKRAFT, D 2009 - Buch und Regie: Maximilian Erlenwein. Kamera: Ngo The Chau. Musik: Jakob Ilja. Mit: Fabian Hinrichs, Jürgen Vogel, Nora von Waldstätten, Jule Böwe, Eleonore Weisgerber, Thorsten Merten, Jeroen Willems, Fahri Ogün Yardim. Farbfilm, 100 Minuten.

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