"Eine Depression ist ein fucking event!", begann Sarah Kuttner voriges Jahr ihren Roman Mängelexemplar. Man hatte sich in dieser Republik geeinigt, dass die Zeiten keine guten sind. Einige Zeit schon knibbelte die Krise am Selbstbewusstseinskokon des Landes, Angst wurde zum neuen Filter, und das Thema Depression zog ein in die Popkultur.
Schattenzeit hätte ein weiterer Beitrag in einer groß angelegten Untersuchung des Phänomens werden können. Doch der Weg, den der Filmemacher Gregor Theus mit seiner Dokumentation ging, hat einen anderen Ausgangspunkt. Schattenzeit ist kein Film über die Krankheit, sondern zuerst einer über Menschen. Über Menschen, die an einer Depression leiden. Dass Theus diesen Unterschied herausgearbeitet hat, macht die Qualität seiner Dokumentation aus.
Wenn Olaf erzählt, dann läuft sein Blick leicht schräg an der Kamera vorbei. Olaf ist Boxtrainer, ein stämmiger Kerl, der breitbeinig durch die Krankenhausflure stapft. Olaf sagt, dass in seinem Schlafzimmer ein Seil hing, ein Dreivierteljahr lang. Seine Frau durfte es nicht entfernen. Als er nach dem ersten Klinikaufenthalt heimkam, war es weg. Olaf schämte sich, vor seiner Familie und sich selbst.
Keine Experimente
Innenberichte wie diesen lässt Theus völlig roh und unbearbeitet stehen. Nach einigen kurzen Interviewpassagen legt sich eine Collage aus dumpfen Tönen unter die Bilder. Die Erzählung ist ganz unaufgeregt, dem Regisseur geht es nicht um filmische Experimente.
Die Betroffenen Olaf, Mona und Maria werden bei ihrem Aufenthalt in der Beliner Charité begleitet. Medikamente gehören zu ihrem Alltag, Gespräche mit Therapeuten, Tanz und auch eine besondere Form der Behandlung: die Elektrokonvulsionstherapie.
Theus filmt seine Helden beim Versuch, neurochemische Vorgänge in ihrem Kopf mit Stromstößen zu regulieren. Er ist bei der Gehirn-Operation von Mona dabei und zeigt, wie viel sich die Betroffenen von diesen Behandlungsmethoden erhoffen.
Trotz all der drastischen Momente wirkt nichts in diesem Film ausgestellt. In einer Ruhe, die ein wenig an die Langzeitbeobachtungen von Andres Veiel erinnert, zoomt Gregor Theus an seine Menschen und ihre Entwicklung heran. Er findet Bilder für Innenansichten. Für Vorgänge, die von außen nicht sichtbar sind.
SCHATTENWELT, D 2010 - Regie, Buch: Gregor Theus. Kamera: Jens Eckhardt, Gregor Theus. Montage: Ole Heller. Mit: Olaf, Mona, Maria. Mindjazz pictures, 60 Minuten.