Im Kino: "Palermo Shooting":Der Tod lässt mit sich reden

Wer Angst vor dem Tod hat, hat Angst vor dem Leben: Campino als Star-Fotograf begegnet in Wim Wenders' neuem Film Dennis Hopper als dem Tod, der ihn zum Nachdenken bringt.

Rainer Gansera

Einmal schlendert Finn, der weltberühmte Fotograf aus Düsseldorf, der in Palermo seinem nervenaufreibenden Highspeed-Leben entkommen will, frühmorgens durch die Altstadtgassen seines Zufluchtsorts und kommt zu den Marktbuden. Da ruft ihn ein Obsthändler an und wirft ihm - als seien sie gute, alte Bekannte - einen Apfel zu. Finn beißt herzhaft in den Apfel, gerät in eine Gruppe fußballspielender Jungs und köpft den Ball gekonnt ins Spiel zurück.

Campino, Filmszene Palermo Shooting

Fotograf Finn (Campino) ist auf der Flucht vor dem Tod und entdeckt dabei das Leben.

(Foto: Foto: ap)

Eine kleine, beiläufige Szene, flüchtig wie der Flügelschlag eines Engels, aber sie ist das utopische Zentrum der Erzählung: Bild einer selbstverständlich-spielerischen Vertrautheit und Weltzugehörigkeit. So ließe es sich leben. So lebend, müsste Finn auch den Tod (Dennis Hopper), der ihn verfolgt und mit metallenen Pfeilen nach ihm schießt, nicht fürchten.

In "Palermo Shooting" ist Wim Wenders ganz bei sich, so selbstverständlich wie schon lange nicht mehr. Sein zwanzigster Spielfilm entpuppt sich als Erzählung einer Künstlerkrise, als tolles Zusammenspiel mit dem Hauptdarsteller Campino (Sänger der Toten Hosen), als Reflexion über die Moral des Bildermachens, auch als Präsentation eines fulminanten "My life was saved by Rock'n'Roll"-Soundtracks. Dazu der Auftritt des geisterhaft durchsichtigen Lou Reed, der den Helden fragt: "Wovor hast du Angst? Vor dem Tod?"

Die allerersten Bilder evozieren das Totentanz-, das "Memento mori"-Motiv, zeigen das Relief eines Reigens von Skelettfiguren wie aus einem Albtraum. Traditionell ist der Totentanz eine Warnung davor, sich im bedenkenlosen Lebenstrubel dionysisch zu verlieren.

Ruf ins Leben

Bei Wenders wird es ganz im Gegenteil darum gehen, dass die Begegnung mit dem Tod ins Leben ruft, in die Fülle und Festlichkeit des Lebens. "Wer Angst vor dem Tod hat, hat Angst vor dem Leben." Finn erzählt seinen immer wiederkehrenden Albtraum: "Da ist ein Tisch für mich gedeckt, gedeckt wie für ein großes Festmahl. Ich aber bin wie gelähmt, kann an den Tisch nicht rankommen."

Dem Tod begegnen, ihm in die Augen schauen, sich ein Bild von ihm machen, das heißt für Finn: aufwachen aus seiner zerfaserten Hektik. Diese Sicht des Totentanzes lässt sich problemlos mit dem traditionellen Pathos der Italienreise parallelisieren. Aufbruch in ein Land, in dem man die Leichtigkeit und Festlichkeit des Seins lernen kann.

Im ersten Drittel schwingt sich Wenders mit Elan in Finns dissonanten Lebensrhythmus ein: durchquert die Diskos und das designergestylte Atelier in Düsseldorf, wo der Künstler mit neuester Digitaltechnik an den großen Städtepanoramen arbeitet, die ihn berühmt machten.

Ähnlich wie der Fotograf in Antonionis "Blow Up" hetzt Finn in seinem schicken Cabrio von einem Termin zum nächsten, schreckt aus seinen albtraumdurchfurchten kurzen Schlafphasen schweißgebadet hoch, erlebt das Modeshooting in einem Stahlwerk mit der schwangeren Milla Jovovich wie eine künstlich aufgeputschte Ekstase und verkündet in der Kunstakademie seine Maxime: "Hinter den Bildern steckt nichts. Die Dinge sind nur Oberfläche!" Er schaut gelangweilt auf die Uhr, als die Studentin (Jana Pallaske) ihn dann attackiert: "Wenn die Dinge nur Oberfläche sind, wenn es kein 'dahinter' gibt, dann lohnt es nicht, sie zu fotografieren."

Ein Widerstreit, der Wenders immer schon zentral beschäftigt hat. In seiner Studentenzeit, Ende der Sechziger an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, zeigt er sich als popkulturell geschulter Prophet der Oberflächenbilder, dann aber folgt die Wandlung, ästhetisch und existentiell.

Begegnungen

Bergman wies ihm den Weg, 1988 beschrieb er das in einem Text zum 70. Geburtstag des Filmemachers: "Und hatte ich als Student auch noch so gegen das Hinter-den-Dingen-Kino gewettert, so erfuhr ich jetzt meine Sehnsucht nach allem 'dahinter'".

"Palermo Shooting" ist Antonioni und Bergman gewidmet, und der Held wird durch den Beinahe-Unfall mit einem Geisterfahrer auf der Autobahn derart aus der Bahn geworfen, dass die Grenzen zwischen Imagination, Traum und Wirklichkeit verwischen.

Zu den entscheidenden Widerfahrnissen im Leben eines Künstlers gehören - laut Federico García Lorca - die Begegnungen mit der Muse, dem Engel und dem Dämon. In den frühen Wenders-Filmen sind es musenhafte Gestalten, die den Alter-Ego-Helden aus der Bahn werfen und ins Leben holen.

Zum Beispiel das Kind in "Alice in den Städten" (1973), das den Fotografen Philip Winter aus seiner Verschanzung hinter dem Fotografieren hervorlockt. Dann tauchten Engel auf, im "Himmel über Berlin" schweben sie über die Mauer hinweg, und ihr einziges Begehren ist es, sich zu erden, menschlich-leibhaftige Gestalt anzunehmen. Jetzt ist es die Begegnung mit dem Tod, die die typische Wenders-Bewegung in Gang setzt: weg von den Oberflächenbildern, hin zu den Bildern, die berühren und ein "Dahinter" suchen.

"Palermo Shooting" ist eine wunderbare Erkundung von Campinos Gesicht. Bislang hat sich kein Wenders-Film derart auf ein Gesicht konzentriert. Zuerst zeigt es die manisch-depressiven Stimmungswechsel, wobei die misstrauisch hochgezogenen Augenbrauen dominieren. In Palermo dann treten die weicheren Züge hervor: das jungenhafte Lächeln, der gelassene und staunende Blick.

Finn begegnet einer jungen schönen Frau namens Flavia (Giovanna Mezzogiorno) und führt einen langen Disput mit dem Tod. Der Tod lässt mit sich reden, und Flavia versteht Finn, vertraut ihm, wirft ihm ein Du zu - so selbstverständlich und leichthin wie der Obsthändler den Apfel.

Palermo Shooting, D/I 2008 - Regie, Buch: Wim Wenders. Kamera: Franz Lustig. Schnitt: Peter Przygodda, Oli Weiss, Mirko Scheel. Mit: Campino, Giovanna Mezzogiorno, Dennis Hopper, Sebastian Blomberg, Lou Reed, Milla Jovovich. Senator, 108 Min.

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