Süddeutsche Zeitung

Im Kino:Notizen aus der Provinz

Philippe de Chauveron bringt den Fettnäpfchensuchfilm "Monsieur Claude 2" in die Kinos.

Von Susan Vahabzadeh

"Monsieur Claude" sucht die Leinwände wieder heim, mit einigem Erfolg. Kein Wunder, denn er war beim ersten Mal schon ein Kassenschlager: "Monsieur Claude und seine Töchter" hatte vor fünf Jahren mehr als zwölf Millionen Zuschauer in Frankreich, etwa vier Millionen in Deutschland. Das ist ungefähr so viel wie bei "Avengers: Infinity War" im vergangenen Jahr. Philippe de Chauveron erzählte da, in einem klamaukigen Film voller Klischees, von Claude Verneuil (Christian Clavier), der machtlos zuschauen muss, wie seine vier Töchter, eine nach der anderen, nicht die Männer seiner Träume heiraten. Einer ist Jude, einer algerischer Abstammung, einer chinesischer Abstammung und einer ein echter Einwanderer von der Elfenbeinküste, der aber ist wenigstens katholisch.

Warum das so erfolgreich war? Claude ist eine niedliche, wesentlich liebenswertere Variante des Ekels Alfred. André Koffi (Pascal Nzonzi), der Vater von Charles, dem Schwiegersohn von der Elfenbeinküste, steht ihm da in nichts nach, und so wird die letzte Hochzeit zu einer Fettnäpfchenparade. Wahrscheinlich war der Film genau deswegen so erfolgreich: Er geht humorvoll mit Tabus und vermeintlichen Sprechverboten um und mit den Ängsten vieler Menschen, sie müssten fürchterlich aufpassen, was sie sagen.

Die ganze Verneuil-Saga ist unter Gesichtspunkten der Political Correctness neben der Spur, weil Claude und Koffi dauernd danebenhauen. Aber es wird ihnen vergeben. Es werden dauernd die falschen Dinge gesagt, meistens aber die richtigen getan, und davon geht die Welt nicht unter, nicht mal die Familie Verneuil.

Es hat sich ziemlich viel getan, seit Philippe de Chauveron diesen ersten Film gedreht hat, da war von IS und Flüchtlingskrise noch keine Rede. "Monsieur Claude 2" greift das auf, das Klima ist rauer geworden in Frankreich. Claudes Töchter und Schwiegersöhne wollen deswegen auswandern. Ihnen geht Paris auf die Nerven, vor allem aber fühlen sie sich nicht mehr willkommen in Frankreich, ihre Frauen können das gut verstehen. Also planen alle vier Paare den Abgang.

Das ist die Situation, welche die Verneuils vorfinden, als sie von der Weltreise zurückkehren, die sie am Ende von Teil eins angedroht hatten. Nun sind sie heilfroh, dass sie endlich wieder zu Hause sind, immer zu einer abfälligen Bemerkung über den Rest der Welt bereit, wenn sie sich nicht gerade den Mund mit Wildschweinpastete und Camembert vollstopfen. Klischees verteilt Philippe de Chauveron gern gleichmäßig unter seinen Figuren; und er tut das mit Absicht.

David will mit Odile nach Israel auswandern, Isabelle und Rachid wollen in Algier eine Anwaltskanzlei eröffnen, Chao will einen Posten in China übernehmen, und Charles ist es leid, arbeitsloser Schauspieler zu sein. Er rechnet sich Chancen in Bollywood aus, wenn Laure den Job in Indien annimmt, der ihr angeboten wurde.

Bei näherer Betrachtung ist das alles nicht so einfach. David beispielsweise tut sich nicht nur mit so ziemlich jedem Job schwer, sondern auch damit, Hebräisch zu lernen, Chao hatte vergessen, wie sehr er ein demokratisches Umfeld schätzt. Also müssen nun Claude und seine Gattin Marie alles daran setzen, den Jungs Frankreich wieder schmackhaft zu machen, mit unlauteren Mitteln. Mittendrin tauchen die Koffis von der Elfenbeinküste wieder auf, die Schwester von Charles will in Frankreich heiraten; eine andere Frau, was Claude aus den falschen Gründen ungeheuer freut. Aber das nur nebenbei.

Nun geht der Klamauk erst richtig los. Claude und Marie locken einen Schwiegersohn nach dem anderen zu sich und führen ein Schmierentheater auf vom Glück auf dem Lande. In der Provinz hat sich die alte Ordnung wesentlich besser gehalten - Claude muss tricksen, um seine Multikulti-Familie dafür zu begeistern. So wird ein schwarzer Inder engagiert, eine Theaterdirektorin bestochen, die Rettung einer vor der Schließung stehenden Bankfiliale angeleiert. Claude und Marie locken die Schwiegersöhne mit der Aussicht auf ein Leben ohne Metro, dafür aber mit Boule-spielen und Pastis, in die französische Provinz, um dort eine neue Langsamkeit für sich zu entdecken.

"Monsieur Claude" ist in Deutschland ziemlich heftig kritisiert worden: nicht weil die Gags nicht alle so richtig gut sind, was auf den ersten wie den zweiten Teil schon durchaus zuträfe, sondern weil viele Kritiker dem Film einen unterschwelligen Rassismus unterstellten. Es gibt da vielleicht ein Missverständnis: Am Ende des ersten Teils ist keineswegs eine alte französische Ordnung wiederhergestellt; es ist alles anders, und Claude tut sich schwer damit. Das hat viel mit Angst um lieb gewonnene Traditionen zu tun, wie Wildschweinpastete, und nicht unbedingt mit Rassismus. Wenn etwas ehrenvoll ist an Philippe de Chauverons ansonsten äußerst leichten Komödien, dann ist es diese Unterscheidung.

De Chauveron versucht, aus Reibungen, die definitiv existieren, irgendwie eine lustige Geschichte zu machen, und das Ergebnis ist in Ordnung. Er fantasiert von einer Welt, in der die Dinge sich finden, das tut das Kino ja oft. Kleine Provinzstädte, das ist in Frankreich nicht anders als in Deutschland, tun sich inzwischen sogar schwer, genügend Ärzte zu finden. De Chauveron erträumt sich hier eine zu neuem Leben erwachte Provinz. Sie sieht vielleicht anders aus, aber nach der Arbeit gibt es sie immer noch. Das ist ganz schön naiv - und doch ist es auch ein rührender Gedanke.

Qu'est-ce qu'on a encore fait au Bon Dieu? - Frankreich, 2019. Regie: Philippe de Chauveron. Drehbuch: Philippe de Chauveron, Guy Laurent. Kamera: Stéphane Le Parc. Mit: Christian Clavier, Chantal Lauby, Pascal Nzonzi, Ary Abittan, Medi Sadoun, Frédéric Chaum, Noom Diawara, Julia Piaton, Élodie Fontan. Neue Visionen Filmverleih, 99 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2019
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