Im Kino: "Nine":Wunsch und Wahn

Kidman, Cruz, Hudson, Loren: So viele schöne Frauen drängeln sich im Filmmusical "Nine", dass man sich nicht wundern muss, wenn ein Regisseur den Kopf verliert.

A. Sterneborg

Sparsame Lichtstrahlen modellieren eine leere Studiohalle. In der Ferne das Klicken einer Tür, das Knacken eines Baugerüstes: Erwartungsvoll harrt dieser Raum der Geschichten, mit denen er gefüllt werden soll. Doch der Kopf des Maestro ist leer.

Cinecittà, Mitte der sechziger Jahre. Guido Contini ist ein italienischer Filmregisseur, ausgebrannt und erschöpft nach vielen Erfolgen und Flops. Je mehr ihn die Fans, die Journalisten, die Produzenten, das Team und die Schauspieler bedrängen, desto unfähiger wird er, seinen neunten Film zu inszenieren.

Dieser Mann ist natürlich Federico Fellini, der das durchaus autobiographische Drama 1963 in sein Meisterwerk "8 1/2" zu verwandeln wusste. Zwanzig Jahre später wurde der Film erfolgreich für den Broadway adaptiert, und jetzt hat der Choreograph und Regisseur Rob Marshall die Bühnenproduktion zurück auf die Leinwand geholt, in der Nachfolge seines Oscar-Gewinners "Chicago".

Plötzlich ist Leben auf der Bühne, Scharen schöner Frauen drängen ins Licht: Marion Cotillard, Penélope Cruz, Nicole Kidman, Kate Hudson, Judi Dench und Sophia Loren. Frauen in allen Farben und Temperamenten, ein solcher Überfluss an Oscarpower und Starglamour, dass man sich nicht wundern muss, dass der Regisseur hier den Kopf verliert. Die Ehefrau, die Geliebte, die Hure, der Star, das Groupie, die Vertraute, die Mutter - sie alle buhlen in Soloauftritten um seine Aufmerksamkeit, sind immer zugleich Inspiration und Ablenkung, Muse und Verführerin. Contini hat Mühe, Herr zu bleiben über all diese Eindrücke, über Wunschträume und Wahnvorstellungen.

Im direkten Vergleich mit Fellini kann Marshall nur verlieren, ist doch das Musical naturgemäß eine Kunst von Oberfläche und Bewegung, liefert es doch statt Geschichten eher Auftritte, statt Gefühle eher Posen. Es wäre durchaus denkbar gewesen, dass Rob Marshall hier unterschwellig auch vom eigenen Hadern mit dem Problem der Musicaladaption erzählt - doch für selbstreflexive Doppeldeutigkeiten fehlt ihm der Sinn.

Sexappeal bis zum Vulgären

Stattdessen treibt er ein frivoles Spiel mit einzelnen Szenen des Originals, die er genau nachinszeniert. Hier und da greift er auch nach den Mythen der Kinogeschichte, wenn er Nicole Kidman mit der berühmten "Dolce Vita"-Brunnenszene kokettieren lässt, oder Marion Cotillard mit Rita Hayworths Handschuh-Striptease in "Gilda". Dabei hat auch "Nine" mit dem Kompromiss zwischen Kino und Bühne zu kämpfen, zwischen Tanzenergie und Gesangstalent auf der einen Seite und Schauspielkunst auf der anderen.

Meist gewinnt dabei das Kino: Die als Edith Piaf gesangserprobte Marion Cotillard gibt ihrer betrogenen Ehefrau echte Seelentiefe, Kate Hudson und Judi Dench toben ihre natürlichen Energien aus, während Penélope Cruz als verführerische Geliebte ihren Sexappeal bis zum Vulgären ausspielt. Daniel Day-Lewis schließlich gibt dem gequälten Regisseur die sehnige Getriebenheit seiner besten Rollen, nimmt ihm damit aber auch die melancholisch gefärbte Nonchalance eines Marcello Mastroianni. Sein Drama mag in den sechziger Jahren spielen, doch es trägt unverkennbar die Züge der gegenwärtigen Krise des modernen Mannes, zagend und zaudernd im Schatten der Finanzkrise. Mit dem ursprünglich für die Rolle vorgesehenen Javier Bardem wäre es zweifellos ein ganz anderer Film geworden, dabei aber gewiss nicht näher an Mastroianni.

Das Chaos des Lebens

In seinen schönsten Momenten tänzelt der Film zwischen Zauber und Ernüchterung. Während die Frauen die Wahrheit der Liebe suchen, geht es dem Regisseur nur um die Magie auf der Leinwand: So muss die Ehefrau bei der Sichtung der Probeaufnahmen begreifen, dass eine Liebesbekundung, von der sie all die Jahre zehrte, doch nur ein Routinekniff war, mit dem der Regisseur seine Schauspielerinnen zu Höchstleistungen verführt.

Am Ende, wenn sich die vielen Frauen im Kopf des Maestros zu einer Geschichte geformt haben, wenn er einen Weg gefunden hat, das Chaos des Lebens und der Liebe für die Kunst zu bändigen, wenn er also bereit ist, den Set zu bespielen und die erste Klappe fällt, wird die Leinwand schwarz: Das wäre ein anderer Film.

NINE, USA 2009 - Regie. Rob Marshall. Drehbuch: Michael Tolkien, Anthony Minghella. Kamera: Dion Beebe. Mit Daniel Day-Lewis, Marion Cotillard, Penélope Cruz, Nicole Kidman, Judi Dench, Kate Hudson, Sophia Loren. Verleih: Senator, 118 Minuten.

Im Video: Leonardo DiCaprio droht den Verstand zu verlieren. Daniel Day-Lewis hat so viele Hollywoodschönheiten um sich, dass er sich nicht entscheiden kann. Und Tim Burton ist mal wieder für einen sehr seltsamen Film verantwortlich. Um alles das geht es diese Woche in den neuen Kinofilmen.

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