Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Nichts zu verzollen:Rassismus ist nicht drollig

"Invasion der Camemberts": Der belgische Zollbeamte Ruben hält nichts von der Auflösung der belgisch-französischen Grenze. Und auch nichts davon, dass seine Schwester ausgerechnet in einen Franzosen verliebt ist. In Dany Boons neuem Film blüht der Fremdenhass. So richtig lustig ist das nicht.

Rainer Gansera

"Lieber Gott mache, dass es nie ein grenzenloses Europa gibt!" Voller Inbrunst murmelt Ruben (Benoît Poelvoorde) sein Stoßgebet. Er sitzt in der Kirche, und als ihm zur Bekräftigung ein "Niemals"-Schrei entfährt, bittet er seinen lieben Gott mit einem verschämten Lächeln, quasi komplizenhaft um Pardon. Gott weiß ja, dass Ruben die bevorstehende Öffnung der Grenze fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Ruben ist belgischer Zollbeamter in einem imaginären Nest namens Courquain an der belgisch-französischen Grenze. Das verhängnisvolle Datum, der 1. Januar 1993, rückt näher. Nach dem Schengener Abkommen muss der Schlagbaum entfernt werden, Ruben fürchtet die "Invasion der Camemberts". Für ihn eine apokalyptische Vision. Er hasst die Franzosen abgrundtief.

Sagt der Belgier: "Du Froschfresser!" Antwortet der Franzose: "Du Fritte". Kosenamen-Duell am Schlagbaum. Ruben kennt weit mehr Beleidigungen als sein französischer Kollege und Gegenspieler Mathias (Dany Boon). Der ist auch Zollbeamter, aber ein herzensguter Kerl, der auch noch einen besonderen Grund zur Zurückhaltung hat: er liebt die hübsche belgische Schokoladenverkäuferin Louise. Sie liebt ihn auch, nur ist sie leider Rubens Schwester, weshalb diese Liebe seit über einem Jahr geheim gehalten werden muss.

Mathias rührender Hundeblick ist das Markenzeichen des gelernten Stand-up Komikers Dany Boon, der hier wieder in dreifacher Funktion als Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller agiert. Diesmal liefert er Vorurteils-Klamauk im Grenzbereich, mit Aussicht auf Verbrüderungsmoral. Freilich hat man von Anfang an das beklemmende Gefühl, dass sich der Film an der Figur des rassistischen Rumpelstilzchens Ruben die Comedy-Zähne ausbeißen wird. So geschieht es dann auch.

Seit einiger Zeit zeigt sich in verschiedenen europäischen Ländern eine Tendenz zu aufwändig produzierten Kino-Komödien, die unter dem Vorwand bester Absichten (Völkerverständigung, Toleranz) die Grundformel der Konsens-Lustspiele aus den Sechzigerjahren wieder beleben: Slapstick plus Rührseligkeit. Es sind erstaunliche Erfolge darunter, Beispiel hierzulande: "Almanya-Willkommen in Deutschland". Ein Mega-Hit (über 20 Millionen Zuschauer in Frankreich) war "Willkommen bei den Sch'tis" (2008), Dany Boons Durchbruch als Feelgood-Filmer.

In "Nichts zu verzollen" mixt er ähnliche Ingredienzen: das Loblied auf die Provinz, den Witzgenerator von Kauderwelsch-Dialekten, die plakative Schlichtheit der Emotionen. Bei der ins Märchenhafte gezogenen "Sch'ti"-Story ging das mit dem herzigen Verbrüderungsprogramm ganz gut zusammen: Boon als radelnder Postbote, der sich in eine provinzielle Hölle versetzt glaubt, wird durch ein Wohlfühlbad von Wir-Gefühlen gezogen und darf sich solcherart von seinen Vorurteilen befreien. Hier aber will die fortwährend in Aussicht gestellte Verbrüderung nicht funktionieren.

Obwohl die Story alles Mögliche und Erprobte dafür zum Einsatz bringt. Sie hält nicht nur die schokoladensüße Liebesgeschichte parat, sie spannt auch nach der Grenzöffnung die beiden Feinde, die Freunde werden sollen, zu einem französisch-belgischen Patrouillen-Team zusammen. Im klapprigen R4 sind sie Drogendealern auf der Spur, Reminiszenz an das Komiker-Duo Bourvil & Louis de Funès: hier der herzensgute Kumpel, dort die ätzende Nervensäge. Gutmütigkeit und Sadismus - die beiden Seiten der Kleinbürgerseele. Drollig soll das aussehen, doch die Gags werden zunehmend platter geklopft und gehen hilflos ins Leere.

Boons Regie-Prinzip beruht darauf, alles ins Kauzige zu ziehen. Entsprechend lässt er sein Personal aufmarschieren: den superdicken Zöllner, der durch keine Autotür passt, den superdoofen Drogenkurier, den Schussel-Ehemann der geschäftstüchtigen Wirtin der "No Man's Land"-Bar - zentrale Drehscheibe der französisch-belgischen Begegnungen -, den fidelen Pudel, der zum Drogenschnüffelhund nicht taugt. Ruben aber ist eine derart gewalttätige, hasserfüllte, auf Demütigungen erpichte Figur, dass sie sich mit dem Prinzip Drolligkeit nicht einhegen lässt. Rassismus ist einfach nicht drollig.

Unfreiwillig, die eigenen toleranzpädagogischen Absichten konterkarierend, erzählt "Nichts zu verzollen" von der Übermacht des Ressentiments. In diesem vertrackten Sinn könnte man den Film als Kommentar zur aktuellen Europamüdigkeit und zu den jüngsten Rassismus-Exzessen lesen. Zum Finale beschert Dany Boon seinem Helden ein neues Hassobjekt: den chinesischen Nachbarn. Ruben beginnt, den Chinesen anzupöbeln. Auch das will uns "Nichts zu verzollen" noch als drolligen Gag verkaufen.

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SZ vom 28.07.2011/cris/rus
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