Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Mütter und Töchter:Vom Glanz des Unglücks

Als eiskalter Engel verführt die faszinierende Naomi Watts nicht nur ihren neuen Boss, sondern auch gleich den netten Nachbarn, dessen Ehefrau schwanger ist: Der Film "Mütter und Töchter" erzählt grandios von bindungsunfähigen Frauen.

Rainer Gansera

Faszinierende Naomi Watts: eiskalter Engel und verstörtes, fragiles Wesen. So zeigt sie sich als Elizabeth in Rodrigo Garcías "Mütter und Töchter", der beim Festival von Deauville mit dem Grand Prix der Jury ausgezeichnet wurde. Golden glänzt ihr Haar im Gegenlicht der Sonne: mädchenhafte Erscheinung, unschuldig wie ein Botticelli-Engel. Im nächsten Augenblick aber spielt sie ihre Attraktion kalt aus, erscheint plötzlich als Monster der Berechnung und Manipulation.

Sie zieht nicht nur ihren neuen Boss Paul (Samuel L. Jackson) in eine Affäre, sie verführt auch gleich - wie aus einer bösartigen Laune heraus - den netten Nachbarn, dessen Ehefrau schwanger ist.

Elizabeth, eine zielstrebige Anwältin in L.A., nutzt Sex nicht für Karriereehrgeiz, sie wird von dem fatalen Verlangen, alles unter ihre Kontrolle zu bringen, getrieben. Perfektion und Kontrolle sind ihre Leitworte. Zugleich sieht man jeder ihrer Gesten an, dass ihre Gefühlskälte einer traumatischen Verunsicherung entspringt: Sie wurde bei der Geburt von ihrer 14-jährigen Mutter zur Adoption freigegeben.

Irgendwo in L.A. muss die Mutter leben, deshalb zieht es Elizabeth immer wieder in diese Stadt, aber es würde ihr nicht in den Sinn kommen, ausdrücklich nach ihr zu suchen. Wunderbar, wie Naomi Watts den Dreiklang aus Schönheit, Härte und Zerbrechlichkeit konturiert. Die Souveränität, mit der ihr das gelingt, beweist einmal mehr, warum sie derzeit zu den spannendsten Hollywood-Actricen zählt.

Ihre Entdeckung verdankt sie David Lynch ("Mulholland Drive"), in Peter Jacksons "King Kong" zeigte sie sich als hinreißende Beauty-and-Beast-Heldin, und es ist kein Zufall, dass Michael Haneke bei seinem US-Remake von "Funny Games" darauf bestand, dass sie die weibliche Hauptrolle übernimmt. Demnächst wird Naomi Watts Marilyn Monroe verkörpern.

Kontrollsüchtige und bindungsunfähige Charaktere

Elizabeth ist Teil eines Frauen-Triptychons, das von problematischen Mutter-Kind-Beziehungen erzählt. Annette Bening, auch sie brillant, spielt die fünfzigjährige Physiotherapeutin Karen, eine von manischen Beziehungsängsten blockierte Frau, immer schroff und misstrauisch, unfähig zu empathischer Nähe.

Niemals verzeiht ein Kind seiner Mutter, wenn diese es verlässt, niemals wird es eine Mutter sich verzeihen, wenn sie ihr Kind weggeben hat. Dieses doppelte "Niemals" lässt Elizabeths und Karens Figuren wie Echos sich aufeinander beziehen.

Der dritte Storystrang präsentiert Lucy (Kerry Washington), eine junge Konditorin, die keine Kinder kriegen kann und dringend nach einer Adoptionsmöglichkeit sucht. Auch Lucy sucht perfekte Kontrolle, sie empfindet ihre "Unfruchtbarkeit" als persönlichen Makel und Defekt.

Will uns der Film sagen, dass Frausein nur im Muttersein Erfüllung finden kann? Nein, will er nicht. Rodrigo García, Sohn des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel García Marquéz, bekannt als versierter Gestalter von TV-Serien der A-Klasse ("Sopranos" u.a.), bebildert keine Thesen, er formt glaubwürdige, spannungsreiche Charaktere.

Freilich bringt García als Hispanoamerikaner eine kulturelle Prägung mit, in der das Bild von Mutter und Kind nicht nur im Sinne katholischer Ikonografie zentrale Bedeutung hat. Er nimmt dieses Bild als Metapher für Nähe, für innige, körperliche und seelische Vertrautheit. Es geht ihm nicht um Mutterschaft im ideologischen Sinn, sondern um das therapeutische Wissen, dass eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung gerade jene kontrollsüchtigen und bindungsunfähigen Charaktere hervorbringen kann, wie sie sich in Elizabeth und Karen offenbaren.

Eine Kritik am nordamerikanischen Lebensstil, der ganz auf Erfolg, Perfektion, Machbarkeit und Kontrolle abgestellt ist, schwingt dabei mit. Untergründig und so, als seien dieser Kulturkritik immer wieder Zügel angelegt.

Elizabeth und Karen funktionieren in ihren Berufen prächtig, aber die entscheidenden Dinge des Lebens lassen sich nicht funktionalisieren. Gefühle, Liebe, Glück kann man nicht herbeikommandieren. Entsprechend konstruiert García die Schicksalsverläufe, manchmal überaus verschlungen mit Telenovela-Touch und in Nebenlinien sich verzettelnd. Aber er liebt seine Darstellerinnen, schenkt ihnen Entfaltungsraum und Glanz.

MOTHER AND CHILD, USA/Spanien 2010 - Regie, Buch: Rodrigo García. Kamera: Xavier Pérez Grobet. Mit: Naomi Watts, Annette Bening, Kerry Washington, Jimmy Smits, Samuel L. Jackson, David Morse. Universum, 126 Minuten.

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SZ vom 30.04.2011/rus
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