Im Kino: London Nights:The Kids Are Alright

Die Tage emotionaler Kälte und existentieller Zukunftsängste sind gezählt: Der Film "London Nights" zeigt uns das junge Leben in hippen WGs mit liebevollen, weltoffenen Mitbewohnern - die allerdings sehr viel trinken.

Patrick Bethke

Alexis Dos Santos ist sechsunddreißig und hat nach eigener Aussage noch nie in seinem Leben gearbeitet. Den Figuren in seinem zweiten Film "London Nights" (Original: "Unmade Beds") scheint es ähnlich ergangen zu sein. Sie leben in einer mehrstöckigen Studenten- und Künstler-WG im hippen Londoner East End, schmeißen Partys, gehen auf Konzerte und trinken viel. Sehr viel.

Kinostarts - 'London Nights'

Wer beim Aufwachen neben einem liegt, darüber sind sich Axl und Vera meistens nicht klar.

(Foto: dpa/Neue Visionen Filmverleih)

Axl aus Madrid kann sich nach jeder der durchzechten Nächte an nichts mehr erinnern. Mit wem er geredet, was er getan hat, ob er mit dem neben ihm im Bett liegenden Mädchen Sex hatte - alles weg. Vera hingegen, eine Mitbewohnerin Axls, würde gern vergessen, wenn sie nur könnte. Sie versucht über die noch frische Trennung von ihrem Freund hinwegzukommen. Und als sich da etwas Neues anbahnt, zwischen ihr und einem attraktiven jungen Kerl, will sie weder Namen, Adressen noch Telefonnummern austauschen. Bloß keine Versprechungen machen.

Noch ein Film über die perspektivlose, bindungsunfähige, hedonistische Jugend von heute? Mitnichten. "London Nights" verzichtet auf die Distanz sozialkritischer Milieustudien, taucht tief ein in das Leben seiner Helden, ihre zwischen Euphorie und Melancholie pendelnden Gefühlswelten.

In denen kennt sich der in Argentinien geborene Dos Santos gut aus. Als er in London bei Stephen Frears studierte, lebte er selbst in sogenannten Squats, leerstehenden Häusern, die von Studenten zu zwanglos verwalteten Wohnkommunen umfunktioniert wurden. Mit reichlich Anklängen an die Nouvelle Vague und das amerikanische Kino eines Gus Van Sant oder David Gordon Green gibt er nun seine Erfahrungen dieser Zeit wieder.

Fernando Tielve und Déborah François (aus dem Dardennes-Film "Das Kind") füllen ihre psychologisch opak gehaltenen Figuren Axl und Vera mit so viel Leben, dass man am Ende meint, sie schon ewig zu kennen.

Betrachtet man die beiden, scheinen die Tage emotionaler Kälte und existentieller Zukunftsängste gezählt. In einem krassen Gegenentwurf zu "Kids", Larry Clarks Abgesang auf die verrohte Jugend der Neunziger, sind Dos Santos' Figuren weltoffen, liebevoll und optimistisch - selbst Vera kann bei aller Vorsicht ihre große Sehnsucht nach Nähe nie ganz verbergen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was den Film lebensnah macht.

Bloß keine Versprechungen

Musik spielt hier eine große Rolle, unter anderem zu hören sind Daniel Johnston und die Tindersticks. Die Squat-Bewohner kommen aus allen Enden der Welt, sprechen verschiedene Sprachen, teilen sich nur vorübergehend eine Bleibe, doch im Zusammensein, auf den Konzerten lokaler Bands finden sie zueinander. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist wie die Musik gänzlich im Fluss der Zeit, im Hier und Jetzt begriffen. Es kennt weder Ideologien noch soziale Identität, allein die gemeinsamen Erfahrungen zählen. Und der Versuch, Axl und Vera als gedankenlose Slacker hinzustellen, wird ihrer enthusiastischen Hingabe an das Leben nicht gerecht.

Die Großstadt im Zeitalter der Globalisierung ist bei Dos Santos ein vibrierender, hoffnungsvoller Ort. Aber noch lange keine problemfreie Zone. Axl sucht in London seinen Vater, an den er keine Erinnerungen hat, was in diesem Fall nicht am Alkohol liegt. Anders als Vera hat er Namen, Adresse und Telefonnummer, doch den Mut, sich dem freundlichen, verheirateten Immobilienmakler zu offenbaren, bringt er nicht auf.

Vielleicht ist das auch besser so. Wenn er fühle, es sei nicht das Richtige, solle er es einfach lassen, tröstet Axls Freund und Mitbewohner Mike. Eine der vielen kleinen Weisheiten des Films.

UNMADE BEDS, GB 2008 - Regie, Buch: Alexis Dos Santos. Kamera: Roger Bowles. Schnitt: Olivier Bugge Coutté. Mit: Fernando Tielve, Déborah François, Michiel Huisman, Iddo Goldberg, Richard Lintern, Katia Winter, Alexis Dos Santos, Lucy Tillet. Koolfilm, 93 Min.

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