Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Kokowääh:Daunenfedern im Gegenlicht

Kürzlich wetterte Til Schweiger bei einem TV-Auftritt zu seinem neuen Film gegen die elendigen Kritiker. Also ehrlich: Man wird ja wohl noch filmen dürfen, dass verstrubbelte Mädchen total süß sind und Frauen oft total sexy.

Jan Füchtjohann

In der ZDF-Sendung von Markus Lanz stellte Til Schweiger am Dienstagabend seinen neuen Film Kokowääh vor. Im weiteren Verlauf der Sendung ging es um eine Mutter, deren Sohn Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war - nach der Komödie die Tragödie sozusagen. Dann brach es aus Schweiger heraus: "Ich bin der Meinung, dass jemand, der eine Sexualstraftat begeht, sein Recht in dieser Gesellschaft verwirkt hat. (...) Diese Leute," - gemeint waren die Kritiker der RTL2-Sendung Tatort Internet - "die sind dumm und naiv und die haben keine Phantasie. Das sind intellektuelle Menschen - ich verurteile jetzt nicht alle Intellektuellen, ich erachte mich selbst als intellektuell, aber die haben keine Phantasie."

Von nun an wurde Schweiger tagelang auf Seite eins der Bild-Zeitung als Held der Meinungsfreiheit gefeiert. Im Grunde war es ihm aber um etwas anderes gegangen: um die von ihm inbrünstig gehassten Kritiker. Ob sie nun Tatort Internet vorwerfen, Hetzjagd auf Kinderschänder zu machen und eine zwielichtige Sensationsgier zu befriedigen, oder ob sie mal wieder einen seiner Filme verreißen - alles das Gleiche. Schweiger selbst veranstaltet längst schon keine Kritikervorführungen mehr. Lieber spricht er direkt zum Volk, dass ihn millionenfach liebt. So wie jetzt, wenn er nach mehr Hilfe für Opfer und mehr Härte gegen Täter ruft. Wer könnte Einwände gegen einen solchen Wunsch haben? Doch nur dubiose intellektuelle Menschen, Kritiker, die folglich entweder selbst Kinderschänder sind oder keine Phantasie haben.

Also auf in den Filmpalast zu Kokowääh - als Kritiker. Mal gucken, wie die intellektuellen Phantasien von Til Schweiger aussehen. Anders als gedacht wartet vor dem Kino kein aufgepeitschter Lynchmob. Nach der Debatte würde man nun eigentlich eine Art "Mystic River" erwarten: Dirty Til lässt sich als deutscher Clint Eastwood auf schwierige Themen ein: auf sexuelle Abgründe, das Trauma der Opfer, die Ambivalenz der Selbstjustiz. Stattdessen geht es dann um einen Drehbuchautor, der, netter Einfall, Til heißt und in einem Loft in Berlin wohnt, wo er ganz viel Sex mit hübschen Frauen hat. Plötzlich steht seine acht Jahre alte Tochter vor der Tür, von der er bis dahin noch gar nichts wusste. Das führt natürlich zu allerlei lustigen Verwicklungen. Ach ja, "Kokowääh" ist Kindersprache für "Coq au vin", das einzige Gericht, das Til kochen kann.

Was haben sie denn nun schon wieder gegen diese schöne Geschichte, Sie Gutmensch, hört man Schweigers Verehrer sagen: Man wird ja wohl noch filmen dürfen, dass kleine verstrubbelte Mädchen total süß sind, Frauen oft total sexy aussehen und Til Schweiger sie alle total vernascht! Nichts. Nur leider sieht der Film über weite Strecken aus wie ein Werbespot für Joghurt, Bausparen oder Kaffee-Pads: Menschen bewerfen sich im Gegenlicht mit Daunenfedern, laufen auf einer sonnigen Wiese hintereinander her, oder sitzen lachend mit einem Laptop auf dem Sofa. Aber wer einem Gelegenheits-Fotomodell vorwirft, dass seine Filme bloß eine Aneinanderreihung von Posen sind, die von einer vorhersehbaren Story notdürftig zusammengehalten werden - der hat eben keine Phantasie. Außerdem zählt die Haltung und die stimmt: Das kleine Mädchen wird von den Männern im Film natürlich nicht belästigt, sondern liebgehabt, wie sich das gehört.

Ist Til Schweiger also "der neue Lubitsch des Berlin 2011", wie die Bild-Zeitung behauptete? Da sieht man, wie eine Welt ohne Kritiker aussehen würde: Rinderwahnsinn. Oder ist Til Schweiger sogar der neue Thilo Sarrazin - nicht klüger, aber dafür telegener, ohne Statistiken, aber dafür mit Phantasie? Ein Satz aus dem gerade zitierten Bild-Artikel wäre in dieser Hinsicht durchaus als Drohung zu verstehen: "Wo Til Schweiger draufsteht, ist Til Schweiger drin!"

KOKOWÄÄH, D/2011 - Buch/Regie: Til Schweiger. Mit Emma Schweiger, Meret Becker, Katharina Talbach. Warner Bros., 123 Min.

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SZ vom 07.02.2011/frey
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