Im Kino: "Jeans":Bilderkuddelmuddel

"Jeans" - der Versuch der Schauspielerin Nicolette Krebitz, den Sommer 2000 zu filmen, ohne dass Geschichte die Magie tötet

TOBIAS KNIEBE

Wenn man exakt beschreiben könnte, was hier los ist, wäre schon alles verloren. Also fangen wir anders an: Es geht um ein Grundproblem. Um das Gefühl, das eigene Leben sei im Grunde magisch und krank und sensationell und unerklärlich, wenigstens in bestimmten Momenten - also Stoff für einen Film. Eigentlich ein universales Gefühl. Andererseits weiß man, dass daraus nichts wird. Weil, wie Rainald Goetz in "Rave" einmal sehr schön sinniert hat, dieser Film einerseits eine Geschichte haben wird, ob man will oder nicht, andererseits aber keine Geschichte haben darf. Das Magische ist eben nicht die Geschichte. Die Geschichte tötet das Magische. Der naheliegende Gedanke, dann müsse man halt einfach die Digicam auf das Leben richten und schauen, was am Ende herauskommt, ist leider auch naiv. Man hängt ganz ohne Hintergedanken zwei Bilder aneinander, schon hat man den Anfang eines Plots. Und sitzt in der Falle.

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(Foto: SZ v. 09.12.2002)

"Jeans" ist eine völlig intuitive, extrem ausgeklügelte, auf jeden Fall sehr smarte Reflexion dieses Problems. Es ist der Versuch der Schauspielerin Nicolette Krebitz, ihr eigenes Leben zu verfilmen. Oder besser gesagt, das Leben ihrer Freunde. Es ist der Wunsch, einige Wochen im Sommer 2000 festzuhalten, an einigen Orten in Berlin: Eine ganz präzise Stimmung, voller Trägheit, Lässigkeit, Unbestimmtheit und Schönheit. Es ist der Traum, eine kostbare Essenz zu konservieren, die sich schon verflüchtigt, wenn man nur daran denkt - und erst recht natürlich, wenn man eine Kamera darauf richtet. Also ist es auch ein Film über die Unmöglichkeit dieses Versuchs. Dennoch: Die fatale Tendenz der Bilder, sich zu schlüssigen Geschichten oder gar Thesen zusammenzurotten, wird hier immer wieder gestoppt. Wo Rudelbildung droht, zeigt Nicolette Krebitz die Gelbe Karte, indem sie etwas komplett Unerwartetes, scheinbar Unsinniges und doch absolut Folgerichtiges tut.

Es geht also um einen jungen Mann namens Oschi, der nach Berlin kommt und ein Mädchen sucht und gern Jeans trägt, die auf den ersten Blick abgeranzt und beiläufig aussehen, in Wahrheit aber Sammlerstücke sind, für die Kenner jeden Preis zahlen würden. Aber schon denkt man wieder, um Gottes Willen, darum geht es natürlich nicht. Die Sache mit den Jeans wird nicht mal angesprochen. Der Film heißt nur einfach so. Es geht also eher um: Mavie Hörbiger, die im Krankenhaus im Koma liegt, während ihr Gehirn sagt: "Ich bin nicht tot. Ich schlafe nur. Ich werde so lange hier liegen bleiben, bis sich die blöden Dinge in meinem Leben von alleine regeln." Es geht um den 17. Juni 2000, Europameisterschaft, Deutschland - England 0:1. Es geht um die rote Unterhose von Marc Hosemann und darum, dass er sie nicht einmal zum Vögeln auszieht. Es geht um kleine absurde Momente im endlosen Meer der Berliner Hipness. Ein Junge und ein Mädchen werden vorgestellt. "Dogge - Coco. Coco - Dogge." Gleichzeitig fällt irgendwas Schweres, dumpf Aufklatschendes vom Dach. Es könnte ein Mensch sein. Coco, das ist Nicolette Krebitz selbst, verzieht den Mundwinkel zum Ansatz eines fast teuflischen Grinsens. Vielleicht denkt sie aber auch gar nichts.

Darum geht es also, einerseits. Andererseits geht es um die lustige Tendenz des Schriftstellers Rainald Goetz, selbst kleinste Glücks- und Rauschmomente noch im Moment ihres Entstehens mit rührender Präzision zu analysieren: "Diese Frühbiere entfalten eine ganz eigene Wirkung." Es geht um die Molekularstruktur von Testosteron unter dem Elektronenmikroskop; es geht um den Einsatz von Godard-Zitaten, aber nicht von solchen, die einen als pseudointellektuellen Deppen brandmarken, sondern von Sesam-öffne-dich-Zitaten, die schöne Mädchen dazu bringen, jeden Widerstand aufzugeben. Aber auch das wird nicht thematisiert. Das magische Zitat wird einfach angewandt. Man muss schon selber wissen, woher es stammt. Das schöne Mädchen weiß es entweder gar nicht oder ganz genau. Wir werden es nie erfahren.

Am Ende ist "Jeans" ein Historienfilm. Die Ereignisse, von denen er berichtet, sind die Nichtereignisse eines Sommers vor zwei Jahren. Trotzdem wirkt es so, als wäre das alles schon Äonen entfernt. Diese Trägheit, Lässigkeit, Unbestimmtheit und Schönheit - es gibt sie nicht mehr. Dieses Berlin - komplett verschwunden. Diese Stimmung - unwiederbringlich dahin. Genau wie die schwerelosen Nächte im Pogoclub, die wir nie erlebt haben, und der wunderbare Taumel, für den wir, wie immer, viel zu beschäftigt waren. Wenn man "Jeans" heute sieht - und sicher ist es kein Zufall, dass der Film gerade jetzt in die Kinos kommt -, dann passiert eigentlich das Schönste, was im Kino überhaupt passieren kann: Die eigene Vergangenheit beginnt zu verblassen, fremde Bilder schleichen sich ein. Wo immer wir also waren in diesem schicksalhaften Sommer - eigentlich waren wir in Berlin. JEANS, D 2001 - Regie und Buch: Nicolette Krebitz. Kamera: Bella Halben. Schnitt: Sara Schilde. Mit: Nicolette Krebitz, Mavie Hörbiger, Marc Hosemann, Oskar Melzer, Jana Pallaske, Benno Fürmann, Jasmin Tabatabai, Rainald Goetz. X- Filme, 80 Minuten.

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