Süddeutsche Zeitung

Im Kino: "Jack in Love":Ego auf Tauchgang

Jack ist Anfang 40 und ein hilfloser Feigling. Philip Seymour Hoffman zeigt in seinem Regieerstling "Jack in Love": Es ist nie zu spät, erwachsen zu werden.

Rainer Gansera

Es ist nie zu spät, erwachsen zu werden und schwimmen zu lernen. Es ist nie zu spät, sein angstgebeuteltes, superfragiles Ego abzustreifen, den Kopf unter Wasser zu tauchen und sich an den fröhlich sprudelnden Luftblasen zu erfreuen. Jack (Philip Seymour Hoffman) versucht es, aber es will noch nicht so recht gelingen.

Jack ist Anfang 40, steht im Becken des Hallenbads und sieht aus wie ein ängstliches, dickes Kind, dem es kaum gelingt, seine Panik hinter einem verlegenen Lächeln zu verbergen. Sein Freund Clyde (John Ortiz) spielt den Schwimmlehrer mit Engelsgeduld, verlockt Jack, immer noch einen Schritt weiter ins tiefere Wasser zu setzen und gibt die Anweisung: "Du musst den Vorgang visualisieren: einatmen, untertauchen, die Luftblasen sprudeln lassen, auftauchen!"

Nicht nur beim Schwimmenlernen hat Jack mit der Visualisierung wagemutiger Vorgehensweisen seine Schwierigkeiten. Er jobbt als Chauffeur beim Limousinen-Verleih seines Onkels in New York. Freund und Kollege Clyde muss ihm auch bei anderen Formen urbaner Lebensbewältigung beistehen, vor allem bei Dating-Arrangements. Zusammen mit seiner Ehefrau Lucy (Daphne Rubin-Vega) hat sich Clyde vorgenommen, Jack mit der hübschen Connie (Amy Ryan) zu verkuppeln. Connie ist mindestens so schüchtern und verzwirnt wie Jack. Die beiden könnten gut zueinanderpassen.

Vorerst aber bleibt Jack das Inbild der Hilflosigkeit: mit seinen lächerlichen Dreadlocks, der Wollmütze, dem mächtigen Walkman-Kopfhörer - er ist Reggae-Liebhaber und hört besonders gern Rivers of Babylon- und mit seiner unbedingten Bereitschaft, in jedem Augenblick vor Scham und Peinlichkeit in den Boden versinken. Er blickt auf die prächtige Skyline New Yorks und empfindet sich mit jeder Körperfaser als Fremdkörper in einer auf Erfolg, Fitness und Statussymbole getrimmten Welt. Ein Kind-Mann wie er im Buche steht. Im Buch des US-Matriarchats, das Männer zu analfixierten, ewigen Jungs macht. Jack verkörpert die depressive Variante des Peter-Pan-Syndroms, und Philip Seymour Hoffman konturiert Jacks Verhängnis mit größter Einfühlung und Hingabe.

Hoffman hat Bob Glaudinis Off-Broadway-Theaterstück verfilmt. Wir kennen ihn als brillanten Darsteller, unvergesslich in Capote seine kongeniale, mit einem Oscar gekrönte Zeichnung des Schriftstellers Truman Capote. Wenn Schauspieler ins Regiefach wechseln und sich selbst in Szene setzen, unterstellt man ihnen gern den Willen zu Virtuositätsexzessen. Hoffman sucht etwas anderes, keinen Showcase für Brillanz, sondern eine besondere Intimität der Darstellung. Er versagt seiner Figur ausdrücklich Glamour und Phantasieausschweifung und formt das Vier-Personen-Stück zum Capriccio intensivster Charakterzeichnung.

Home-Movie-Charme

Wie Hoffman spielt, so führt er Regie. Es gibt lange Pausen, Dialogsätze, die in der Luft hängen bleiben, holprige Erzählrhythmen. Stilistisch folgt er der Definition Eric Rohmers: Jeder aufrichtige Autorenfilm muss Home-Movie-Charme haben. Das Mainstreamkino erzählt oft von Triumphen des sich durchsetzenden Willens - hier geht es um existentielles Scheitern, das sich wundersam in Gelingen verwandeln kann. Liebe als Erlösung.

Jack ist kein Großstadt-Neurotiker, der beim Psychiater Zuflucht nehmen könnte. Er muss auf die Liebe setzen. Jack in Love verpackt seine märchenhaft-romantische Erzählung in Alltagsrealismus. Besonders schön gelingt die Annäherung zwischen dem in sich vergrabenen Jack und der verängstigten Connie, die zuerst solch kurios verkorkste Sätze sagt wie: "Ich bin noch nicht bereit für Penis-Penetration." Bindungsangst pur. Doch dann stehen die beiden in klirrender Kälte auf der Straße, Jack bettelt um einen "kleinen Gutenachtkuss", und die Schneeflocken rieseln wie Sternenstaub hernieder. Wer wird den Mut haben, als erster "Ich liebe dich" zu sagen?

Dramaturgisch sind Glück und Unglück wie kommunizierende Röhren miteinander verbunden. Während Clyde und Lucy, die anfänglich als perfektes Ehepaar erscheinen, sich zunehmend in Eifersucht und Misstrauen verstricken, wächst das Vertrauen zwischen Jack und Connie, und die Verheißung der Hallenbad-Taufe wird immer konkreter: Es ist nie zu spät, schwimmen zu lernen, erwachsen zu werden, und den Satz "Ich liebe dich" als Erster zu sagen.

JACK GOES BOATING, USA 2010 - Regie: Philip Seymour Hoffman. Buch: Bob Glaudini, nach seinem gleichnamigen Theaterstück. Kamera: Mott Hupfel. Musik: Susan Jacobs. Mit: Philip Seymour Hoffman, Amy Ryan, John Ortiz, Daphne Rubin-Vega, Thomas McCarthy. Alamode, 91 Minuten.

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SZ vom 24.02.2011/tolu
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