Eigentlich sollte man von Gaspar Noés "Irreversibel" verkehrtherum erzählen, aus Respekt vor einer grandiosen Idee.
Der Film beginnt mit dem Abspann und arbeitet sich dann, Szene für Szene, rückwärts in der Zeit heran an die Erklärung dessen, was man zuerst gesehen hat.
Das erste, was man sieht nach dem Abspann, ist ein Mord - zwei Männer erschlagen in einer Schwulenbar einen dritten, eine Szene von unglaublicher Brutalität, gefilmt wie ein Rausch, die Kamera entwickelt geradezu einen Sog.
Man kann den Blick nur schwer abwenden von dieser Mordszene - was dazu führte, dass es reihenweise Ohnmächtige gab bei der Uraufführung in Cannes im vorigen Jahr. Dabei waren alle gewarnt, denn schon im Vorfeld war kräftig die Werbetrommel gerührt worden für diesen geplanten Festival-Skandal, von einer zwanzigminütigen Vergewaltigungsszene war die Rede.Und da fangen schon die Probleme an: Sie dauert keine zwanzig Minuten, aber wer einen so blödsinnigen Wettstreit anzettelt, vor dem muss man sich auf jeden Fall in Acht nehmen. "Irreversibel" ist als Skandal inszeniert. Noé verlässt sich darauf, dass seine grandiose Idee und ein Eklat den Film schon tragen werden. Das ist aber nicht so.
Der Mord nach dem Abspann ist ein Fall von Lynchjustiz - während die Geschichte voranschreitet, erfahren wir, dass die beiden Männer der Freund und Ex-Freund von Alex (Monica Bellucci) sind.
Das Trio besucht eine Party, Alex läuft davon und wird in einer Unterführung von einem schwulen Zuhälter vergewaltigt, der eigentlich im Begriff war, eine Transe zu verprügeln. Marcus (Vincent Cassel) und Pierre (Albert Dupontel) sinnen auf Rache.
Dass diese Szenen so brutal sind, das gehört eher zu den wenigen Stärken dieses Films - so brutal wie ein realer Mord und eine reale Vergewaltigung sind sie lange nicht.
Es soll qualvoll sein, diese Szenen anzusehen, Noés Bilder verhöhnen geradezu all die beschönigten, leichtverdaulichen banalisierten Brutalitäten, die das Kino und das Fernsehen zeigen, ohne irgendwas damit sagen zu wollen.
Das schlimme ist, dass Noé auch nichts damit sagen will. Wenn man die Möglichkeit ausschließt, dass Noé sich an einem schwulenfeindlichen Lobgesang auf die Lynchjustiz versucht, dann erzählt "Irreversibel" eine Null-Geschichte.
Seine Szenen sind schwer zu erdulden, und man erduldet sie für nichts und wieder nichts. Nutzlos verpuffte Emotion ist auch nicht weniger banal als ästhetisierte Gewalt. Das ganze bewegt sich auf den pompös bedeutungslosen Satz "Die Zeit zerstört alles" zu - genauso ist die Story, die Noé da fabriziert hat. Seine Charaktere reden sich um Kopf und Kragen. Je weiter die Geschichte zurückschreitet, desto dialoglastiger wird sie, und die drei Hauptfiguren geben nur Dummheiten von sich - da gibt es beispielsweise eine Unterhaltung über Sex in der U-Bahn, die auch sehr schwer auszuhalten ist, obwohl nur geredet wird.
Es ist im Grunde schade um diesen Film - "Irreversibel" hätte eine große Sache werden können, wenn Noé etwas zu erzählen hätte. Am besten wär's, wenn der Prozess noch umkehrbar wäre, und Noé nochmal von vorne anfangen könnte, ausgehend von der gleichen großartigen Idee.
IRREVERSIBLE, F 2002 - Regie, Drehbuch und Schnitt: Gaspar Noé. Kamera: Benoît Debie, Gaspar Noé. Mit: Monica Bellucci, Vincent Cassel, Albert Duponte. Alamode, 100 Minuten.