Süddeutsche Zeitung

Im Kino: "Hotel Ruanda":Der Malt nach dem Massaker

Ein fortschrittlicher Film, ein politischer Zombiefilm - und ein wichtiger Film: "Hotel Ruanda" fordert auf zum Engagement gegen den Völkermord.

TOBIAS KNIEBE

Vor elf Jahren, auf den Tag genau, begann das Massaker.

Der Präsident des afrikanischen Staates Ruanda wurde beim Anflug auf sein Land von einer Rakete getroffen, und noch immer streiten die Geheimdienste darüber, wer ihn getötet hat.

Klar ist nur, was danach geschah: Seine Leibgarde brachte zunächst gemäßigte Politiker in den eigenen Reihen um, darunter die Premierministerin.

Dann folgte ein codierter Aufruf über den Regierungssender, und Tausende radikalisierter Hutu-Milizen, die auf ihren Einsatz warteten, griffen zu den bereitliegenden Gewehren, Macheten und Nagelkeulen.

Ihr Auftrag war simpel genug: Die ethnische Minderheit der Tutsi, etwa fünfzehn Prozent der Bevölkerung, bis auf den letzten Mann, die letzte Frau, das letzte Kind auszurotten.

Eine von den Tutsi geführte Rebellenarmee rückte vom benachbarten Uganda vor, aber sie war nicht schnell genug: Hundert Tage dauerte der Völkermord, und mindestens 800000 Menschen verloren auf grausamste Weise ihr Leben.

Ein Film, der es schafft, dieses Verbrechen in Erinnerung zu rufen oder erstmals ins Bewusstsein zu bringen, und darüber hinaus noch eine Ahnung des Leids vermittelt, das Zahlen allein nicht fassen können - schon das ist ein wichtiger Film.

Eine westliche Produktion, der es darüber hinaus gelingt, auf die unvermeidliche weiße Identifikationsfigur zu verzichten, den Gutmenschen mit dem entsetzten Blick, ist außerdem ein fortschrittlicher Film.

Ein Regisseur schließlich, der die kriminelle Gleichgültigkeit der Welt endlich spürbar macht, und zwar wie einen Stich ins eigene Herz, und der trotzdem nicht so tun muss, als habe er eine Lösung für alle Probleme Afrikas - das ist der nordirische Filmemacher Terry George, dem mit "Hotel Ruanda" ein großer Wurf gelungen ist. Und von seinen Zuschauern erwartet er mehr als nur Ergriffenheit.

Es geht um die wahre Geschichte des Hotelmanagers Paul Rusesabagina, eines Hutu, der sein Hotel inmitten des Völkermords in eine Festung der Menschlichkeit verwandelt: Er kann mehr als tausend Menschen retten, die in Todesangst zu ihm geflüchtet sind.

Das Hotel heißt "Milles Collines", es liegt in der Hauptstadt Kigali, und man kann noch heute darin wohnen.

Darüber hinaus funktioniert es auch als Metapher, als Basislager für eine Expedition in die Hölle. Paul (wunderbar überzeugend gespielt von Don Cheadle) fährt mit dem Hotel-Minibus durch die Stadt, in der bereits aufgehetzte Massen die Straßen blockieren und mörderische Parolen skandieren, während das Radio die Tutsi als "Kakerlaken" verhöhnt, die zerquetscht werden müssen.

Dann aber erreicht er sein Hotel, eine Welt aus gestärkten Uniformen, dunklem Teakholz und leise klirrenden Eiswürfeln.

Eine dieser Oasen der Ruhe, die sich der reiche Westen schafft, um Afrika auf Distanz zu halten - und Paul ist ihr oberster Wächter.

Hier weht noch der Geist der Kolonialzeit, hier wohnen die, die immer davonkommen, und Paul, so denkt er, ist dank lebenslanger Anpassungsleistung längst einer von ihnen.

Wie sich diese Illusion langsam auflöst, das ist die eine Geschichte des Films. So gnadenlos, wie ein Stempel im Pass zwischen Hutu und Tutsi Leben und Tod trennt, so gnadenlos trennen die Evakuierungspläne erst in Weiß und Schwarz, dann in Reiche und weniger Reiche, und so fort.

Westliche Staatsbürger werden ausgeflogen, das hört sich in den Nachrichten ganz selbstverständlich an - aber wer stellt sich vor, was es für jene bedeutet, die zurückbleiben müssen, den sicheren Tod vor Augen?

Das spürt man hier zum ersten Mal wirklich - selbst ein paar wenige UN-Blauhelme, an absurde Weisungen gebunden, bieten keinerlei Hoffnung. Die Kavallerie wird nicht kommen, das ist die bittere Wahrheit dieses Films, und auch das Individuum greift nicht plötzlich, über Nacht zum Krieger mutiert, einfach selbst zur Kalaschnikow.

Nein, Paul hat nur die Waffen, die er immer schon hatte, seine Gerissenheit, seine Menschenkenntnis und seine rapide schwindenden Vorräte von Single Malt Whisky und Havanna-Zigarren.

So redet und verhandelt, schmeichelt und lügt er um sein Leben, um die seiner Frau (sie ist Tutsi), seiner drei Kinder und seiner Gäste. Rein äußerlich erinnert das, was dann passiert, an einen Zombiefilm - ohne allerdings, gottseidank, die üblichen expliziten Splatterszenen. Der Horror ist ohnehin groß genug: Die Straßen sind bald mit Bergen von Leichen übersät, die Mörder mit den Macheten irren immer noch umher, auf der Suche nach neuen Opfern, ferngesteuert von der Hass-Stimme im Radio.

Sie wirken nicht besonders schnell und intelligent, aber am Ende unaufhaltsam. Bald begreift man aber, dass dieses rassistische Bild ein Trugbild ist, das die Strategen des Horrors selbst am sorgfältigsten pflegen. Wann immer die Machetenmänner das Hotel überrennen - es gibt doch stets noch einen General, den Paul anrufen kann, dem er ein paar Flaschen Scotch in den Koffer packt (Lieblingssorte: Glenmorangie) - und die scheinbar so unkontrollierbaren Mörderbanden ziehen erst mal wieder ab.

Es gibt, eine Stufe höher, auch immer noch eine Kolonialmacht, deren Machtwort sogar für die Kriegsherren gilt - schließlich wissen sie genau, wer ihre Waffen finanziert hat. Im Fall der Hutu-Strategen sind das die Franzosen.

Genau das ist es am Ende, was ein Film wie "Hotel Ruanda" nicht auserzählen kann, aber gewissermaßen als Aufforderung in sich trägt: sich selbst, wenigstens im Nachhinein, noch einmal aus faktischen Quellen zu informieren, was wirklich geschah. Sich nicht mit der schnellen Antwort zu begnügen, dass es in Afrika eben Gewalt zwischen verfeindeten Stämmen gibt, und schreckliche, ewig dauernde Bürgerkriege, die auch der Westen kaum verhindern kann.

Allein der Begriff "Stamm" ist, wie im Fall der Hutu und Tutsi, oft eine Fiktion - aufrechterhalten von afrikanischen Kriegsfürsten und westlichen Diplomaten zugleich: Von den einen, um ungestört morden zu können, von den anderen, um ihre Fehler der Vergangenheit zu vertuschen.

Don Cheadle, der amerikanische Star des Films, ist einer von denen, die das nicht länger hinnehmen wollen. Er nutzt seine Oscarnominierung und seine weltweiten Pressetermine, um beispielsweise die aktuelle Lage im Sudan anzuprangern, wo nach seinen Worten "in diesem Moment ein zweites Ruanda passiert - nur dass es zum Handeln noch nicht zu spät ist".

Wenn der Westen wegsieht und untätig bleibt, tut er das immer im Namen all seiner Bürger - und es gibt nur einen Weg, dieser schweigenden Komplizenschaft zu entkommen: Indem man, wie Don Cheadle, die eigene Stimme endlich hörbar macht.

HOTEL RWANDA. Canada/GB/I/Südafrika 2004 - Regie: Terry George. Buch: T. George, Keir Pearson. Kamera: Robert Fraisse. Schnitt: Naomi Geraghty. Musik: Andrea Guerra. Mit: Don Cheadle, Sophie Okonedo, Joaquin Phoenix, Nick Nolte, Desmond Dube, David O'Hara, Cara Seymour. Tobis, 121 Minuten.

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SZ v. 06.04.2005
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