Im Kino: Herzensbrecher:Am meisten schmerzt die Eifersucht

Eine hübsche junge Frau und ihr schwuler Freund verlieben sich in denselben blondgelockten Schönling: Der neue Film von Wunderkind Xavier Dolan erzählt ergreifend von schmerzhaften Momenten eines Liebesduells, in dem die Dekonstruktion der Coolness schon programmiert ist.

Rainer Gansera

"Wer ist denn dieser coole blondgelockte Schönling?" Möglichst beiläufig soll die Frage klingen. Francis (Xavier Dolan) und Marie (Monia Chokri) stehen in der Küche, richten gemeinsam den Salat an und betrachten ein engelsgleiches Wesen, das gerade auf der Party aufgetaucht ist. Die beiden bilden das klassische Duo aus hübscher junger Frau und schwulem Freund: immer extravagant gestylt und mit Bedacht die Dandy-Camp-Attitüde pflegend. Francis murmelt: "Er ist nett, intelligent, aber nicht mein Typ!". Marie: "Meiner auch nicht!"

Kinostarts - 'Herzensbrecher'

Zwei Schöne und ein Biest  - Xavier Dolan (l.) und Monia Chokri (r.) buhlen in "Herzensbrecher" um die Gunst des Blondschopfes Nicolas, gespielt von Niels Schneider.

(Foto: dpa)

Die Kamera schaut den beiden in den Rücken und ertappt sie bei der ersten Lüge. Denn der parallele Blick, den sie auf Nicolas (Niels Schneider) geworfen haben, lässt ihre Herzen stillstehen, gefilmt in Zeitlupe à la Wong Kar-Wai: Nicolas, wie er sich durch die Haare fährt, genüsslich dem Zigarettenrauch hinterher schaut. Francis und Marie mögen noch so uninteressiert tun, sie stehen bereits unter dem Bann seiner Schönheit, sind gefangen von wachsendem Begehren.

Schritt für Schritt werden sie nun in ein Duell um die Gunst des Schönen eintreten, komisch und tragisch in ihrem Bemühen, voreinander die wahren Gefühle zu verstecken. Die Freundschaft wird arg leiden, und die Coolness-Fassade wird traurig in sich zusammenfallen, wenn sich die erträumte Romanze als Drama unerwiderter Liebe entpuppt.

Als der 19-jährige Frankokanadier Xavier Dolan seinen ersten Spielfilm, "J'ai tué ma mère/I Killed My Mother", vor zwei Jahren in Cannes präsentierte, wurde er als Wunderkind gefeiert und mit Preisen überschüttet. "J'ai tué ma mère" war die autobiografisch gespeiste Erzählung vom Sohn (den Dolan selber spielte), der sich als Schwuler outet und im Kleinkrieg mit der hilflos überforderten Mutter um seine Selbstbehauptung ringt. Spielerisch souverän in Szene gesetzt, mit einer schönen Balance aus popkulturellen Referenzen, Poesie und existentiellem Ernst, gemäß der Nouvelle-Vague-Programmatik: "Ein Film muss eine Liebeserklärung sein, erzählt in der ersten Person, wahrhaftig wie ein Bekenntnis oder Tagebuch!"

Mit "Herzensbrecher" bleibt Dolan dieser Programmatik treu und lässt sie auf staunenswerte Art ausreifen: mit pointierten Dialogen, visuellen Capriccios und einer Wahrhaftigkeit, die mitten ins Herz enttäuschter Liebe zielt. Das Trio (eine modernisierte und invertierte "Jules und Jim"-Konstellation), dem er sich in Montreal an die Fersen heftet, ergibt einen geheimnisvollen, ironisch gebrochen Dreiklang. Der Francis-Figur, die er selbst verkörpert, verleiht er Züge des Schüchternen, in jeder Faser Verletzlichen. Marie erscheint scharfzüngig, intelligent, hingegeben an ultimative Absolutheitsansprüche, und Nicolas erweist sich als raffinierter Verführer und taumelnder Narziss.

Der Originaltitel "Les amours imaginaires" sagt auf den I-Punkt genau, worum es geht: um das Imaginäre der Liebe. Die häufig verwendeten Zeitlupen dienen dazu, Raum zu schaffen für den Strahlenkranz der Imagination, der sich um den Sehnsuchtskern der Empfindungen legt. In seiner Schrift "De l'amour" proklamierte Stendhal, dass alle Liebe imaginär sei - Projektion, Phantasma, Kristallisation. Wie bei der Bildung von Salzkristallen auf den Holzstückchen, die man in die Salinen Bad Reichenhalls wirft. Um das unansehnliche Stück Holz legt sich eine Schicht von Kristallen, die mächtig strahlen und funkeln, bis die banalen Wasser des Alltags die Kristalle wieder auflösen.

Liebeskristalle, die in die Haut ritzen

Die Liebe, um die sich alles in "Herzensbrecher" dreht, befindet sich in der Phase heftigster Kristallisation. Sie leuchtet in den Augen von Marie und Francis prismatisch auf. Liebeskristalle, die in die Haut ritzen und zerbrechen. Am meisten schmerzt die Eifersucht, die bei einer Dreiecks-Konstellation immer das unumgängliche Menetekel bildet. Hier erscheint Eifersucht als Schlange mit sieben Köpfen. "Eifersucht ist das Drama vom ausgeschlossenen Dritten", definierte Roland Barthes in "Fragmente einer Sprache der Liebe", ein Buch, auf das sich Xavier Dolan bis in übernommene Dialogpassagen ausdrücklich bezieht.

Zauber und Verhängnis der Imagination, Pathos und Lächerlichkeit. Besonders raffiniert instrumentiert Dolan das in einer Party-Szene, wenn Marie und Francis den tanzenden, in Trance versunkenen Nicolas mit ihren Blicken verschlingen. Marie imaginiert Nicolas als Michelangelo-Statue, und Francis sieht ihn in einer Collage von amourösen Jünglings-Zeichnungen Cocteaus. So arbeiten die Phantasmen der beiden, und die Wirklichkeit gönnt ihnen nur vage Annäherungen an das Objekt des Begehrens. Nicolas sendet nur Zeichen freundschaftlicher Indifferenz. Die Missdeutung dieser Zeichen setzt das Drama der beiden unglücklich Verliebten in Gang. Motto des Films ist Alfred de Mussets Epigramm: "Nichts ist wahrer als die Unvernunft der Liebe!"

Toll, wie Dolan das Innerste der Empfindungen als Situations-Stimmung beschwören kann. Eifersucht, Enttäuschung, Leere, wieder aufflammendes Verlangen. Einmal besucht Marie mit Nicolas ein Theaterstück und resümiert danach kategorisch: "Ach, diese Pseudo-Borderliner mit ihren Schmerzphantasien als Flucht vor einem Leben ohne Intensität." Ihre Intellektualität imponiert Nicolas gar nicht. Marie bleibt verzagt zurück, steigt mit ihrem Routine-Liebhaber ins Bett, und die Traurigkeit der Bettszene wird zur herzzerreißenden Elegie, wenn Marie auf ein ihre schönen Augen betreffendes Kompliment antwortet: "Haselnussbraun, es gibt keine banalere Iris. Braune Augen muss man intellektuell kompensieren können!"

Die schmerzhaftesten Momente sind die ergreifendsten: wenn Francis und Marie mit ihren Liebeserklärungen bis an die Grenzen der Selbsterniedrigung gehen. Gnadenlose Dekonstruktion ihrer Coolness, die dann komödiantisch wieder herbei zitiert wird. In diesem Film wird viel geraucht, in Büchern gelesen und zitiert. Nichts findet übers Handy oder per Internet statt. Briefe werden mit Hand geschrieben und die Briefmarken sorgfältig ausgewählt. Wagners Parsifal-Vorspiel untermalt die Unendlichkeit des Sehnens und Dalidas "Bang-Bang" schenkt den Flirts kräftige Farben. Alles dient der Kostbarkeit und Wahrhaftigkeit der Gefühle.

LES AMOURS IMAGINAIRES, Kanada 2010 - Buch, Regie, Schnitt, Kostüme: Xavier Dolan. Kamera: Stéphanie Weber-Biron. Mit: Monia Chokri, Niels Schneider, Xavier Dolan, Anne Dorval, Anne-Élisabeth Bossé, Magalie Lépine-Blondeau. Kool Filmdistribution, 95 Minuten.

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