Im Kino: Hereafter:Der Tod steht ihm gut

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George hat eine Gabe, er selbst aber nennt sie einen Fluch. Clint Eastwoods neuer Film handelt vom Dilemma des Überlebens und führt Matt Damon auf jenseitiges Terrain.

Fritz Göttler

Ich mach' das gar nicht mehr, sagt George Lonegan zu dem ernsten Mann mit dem müden Gesicht, der ihn aufgesucht hat in seinem kleinen Apartment. Der Mann ist verstört und ein wenig penetrant - Georges Bruder hat die Begegnung arrangiert, ausnahmsweise, denn George macht solche Sachen eigentlich nicht mehr. Solche unheimlichen Begegnungen der unbestimmten Art, aber nicht mit Aliens - denn die schwarzen Schatten, die in mehreren Momenten des Films in blendend weißem Licht auftauchen, sind die Toten dieser Welt.

George (Matt Damon) kann mit den Toten Kontakt aufnehmen, über die Lebenden aber muss er lernen, dass sie die Wahrheit über ihr Schicksal gar nicht wissen wollen. (Foto: dapd)

Und George (Matt Damon, ein stoischer Anti-Bourne) tritt, sobald er einen Menschen mit seiner Hand berührt, mit den Toten in Kontakt. Er ist ein psychic, ein Psycho, aber einer der ganz seriösen Art. Kein Hokuspokus, keine scharlataneske Abzocke. Das ist keine Gabe, sagt George selbst, sondern ein Fluch. Auf der Website, über die er seinerzeit, vom Bruder gemanagt, seine Dienste offerierte, starrt er mit blauen Augen den Betrachter an, ein Blau, das durch und durch geht und die Seele offenreißt.

Peter Morgan hat das Drehbuch zu Hereafter geschrieben, der Autor der kleinen boshaften Politgrotesken The Queen und Frost/Nixon - schon da gab es einige suspekte Momente, das berühmte nächtliche Telefonat zwischen Nixon und seinem Gegenspieler Frost zum Beispiel. Hereafter schrieb er on spec, ohne Auftrag, auf gut Glück - und ließ es erst mal in der Schublade. Nach einigen Jahren holte er es wieder vor, Steven Spielberg bekam es in die Hände und wusste gleich, wer das in Szene setzen musste: Clint Eastwood. Eastwood teilte die Meinung, und er hat, scheint es, den Film auch als eine kleine Lektion für den Kollegen Spielberg - der seinen Film mitproduziert hat - inszeniert, seine Perfektionswut, seine Großkunstwerkambition. Als Morgan von Eastwoods Interesse hörte, freute er sich auf die gemeinsame Arbeit am Script, aber am nächsten Tag rief Clint an und übermittelte ihm ein freundliches "Passt schon", keine weitere Arbeit nötig. Auch bei Eastwood ist alles perfekt, aber auf ganz eigene Weise, seine Perfektion ist innerlich, im Rhythmus, in der Art, wie der Film sich entwickelt um die Menschen herum, ihre Einsamkeit, ihre Versuche, sie zu bannen.

Diese Einsamkeit ist auch das Thema in Hereafter, in dem es nicht unbedingt ums Jenseits geht und darum, welche Religion uns die angenehmste Vorstellung davon vermittelt. Ich habe keine Antwort darauf, sagt Eastwood, I just tell the story. Er erzählt vom Nach-Leben der Zurückgebliebenen, vom Dilemma der Überlebenden. Zwei weitere Einsamkeiten werden der von George zur Seite gestellt, die von Marie Lelay, einer Pariser TV-Nachrichtenfrau mit Bestquote (Cécile de France), und die des zwölfjährigen Marcus, der bei einem Verkehrsunfall seinen Zwillingsbruder verliert und nun als halbe Existenz durch London irrt. Marie hat beim Urlaub in Indonesien den Tsunami 2004 erlebt, ist weggespült worden in ein Nahtoderlebnis. Später wird Marcus beinahe ein Opfer der Londoner Bombenattentate 2005.

Die Lockerheit, mit der die drei Geschichten aufeinanderzulaufen und schließlich sich verschlingen, mag Peter Morgan erschreckt haben oder zahlreiche Kritiker, die immer noch von der Idee des geschlossenen Kunstwerks bestimmt werden - einer klassischen theatralischen Dramaturgie also. Eastwood aber, ganz und gar Kinomensch, ganz und gar modern, filmt jene andere Realität, die uns die Psychoanalyse - die auch eine Art moderner Todeskunde ist, von Freud bis Lacan, Derrida, Blanchot - sichtbar machte, die Wirklichkeit des Verlangens, der Triebe, der Imaginationen. Er filmt den Tod mit einer Leichtigkeit, einer Nonchalance, wie sonst nur Cocteau. Die zentrale Szene - eine Umkehrvariante von Orpheus und Eurydike - gehört George und dem Mädchen Melanie (Bryce Dallas Howard), das er in einem Kochkurs kennenlernt, wo die verkrampften Psychen der Lehrlinge gelockert werden durch Nessun-dorma-Klänge und sinnliche Kost-und Vertrauensproben. Nach einigen Wochen nimmt George Melanie mit zu sich, sie wollen gemeinsam italienisch kochen, aber dann kriegt sie das mit Georges Gabe mit und will unbedingt, dass er sie ihr demonstriere. Keine Gabe. Ein Fluch. Denn George weiß längst, welch grausame Wahrheit er ihr enthüllen wird. Und dass die Menschen, die ihn um Hilfe bitten, nicht die Wahrheit wissen wollen. Dass es nicht ums Wissenwollen geht, sondern darum, dass man nicht wahrhaben will, was man weiß.

HEREAFTER, USA 2011 - Regie, Musik: Clint Eastwood. Buch: Peter Morgan. Kamera: Tom Stern. Schnitt: Joel Cox, Gary Roach. Mit: Matt Damon, Cécile de France, Jay Mohr, Bryce Dallas Howard, Frankie McLaren, Thierry Neuvic, Marthe Keller. Warner, 128 Minuten.

© SZ vom 28.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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