"Gran Torino" in der SZ Cinemathek:Heilige Dreifaltigkeit

In "Gran Torino" zündelt Clint Eastwood noch einmal mit seinem Dirty-Harry-Image und ist Schauspieler, Regisseur und Legende zugleich.

Von Tobias Kniebe

Gerade hat der alte Mann die drei Schwarzen an der Straßenecke als "Bimbos" beschimpft. Dann ist er aus seinem Pick-up-Truck ausgestiegen, hat die Augen zu bösen Schlitzen verengt und das sanfte Grollen seiner Stimme einen Gang heruntergeschaltet. "Es gibt Leute, mit denen man sich besser nicht anlegen sollte", sagt er jetzt. "So einer bin ich."

"Gran Torino" in der SZ Cinemathek: Clint Eastwood in "Gran Torino".

Clint Eastwood in "Gran Torino".

(Foto: Foto: ddp)

Dieses Gesicht zu sehen, diese Sätze zu hören - das geht natürlich nicht, ohne dass sich sofort andere, unvergessene Szenen darüber blenden: Harry Callahan zum Beispiel, wie er einen Perversen zum Glücksspiel mit Revolver bittet - oder wie er den Abschaum der Menschheit dazu einlädt, ihm den Tag zu retten; und ja, auch der Mann ohne Namen ist dabei, im Moment der großen Western-Stille, vor dem Ziehen des Colts . . .

Der kleine faschistoide Vigilant in uns allen - wie lang hat er diesen Moment herbeigesehnt! Jetzt pocht unser Herz in Erwartung der großkalibrigen Waffe, die den harten Worten auch Nachdruck verleihen wird, in deren schwarzen Lauf die Bösewichter gleich blicken dürfen. Und - Halle-fuckin-lujah! - schon ist sie da.

Aber halt. Es ist dann eben doch keine Smith & Wesson 44er Magnum, es ist nur eine alte Soldatenpistole aus dem Koreakrieg. Und der Mann ist auch nicht Dirty Harry, es ist nur Walt Kowalski: ehemaliger Ford-Arbeiter, frisch verwitwet, ein Rentner aus der Vorstadt Detroits, der zwischen asiatischen Großfamilien, schwarzen Kriminellen und mexikanischen Gangs irgendwie vergessen wurde. Er nennt sie "Chinks" und "Gooks" und "Spooks" und was immer seine Sprache sonst an herabsetzenden Beschimpfungen hergibt. Er will nur mit seinem Hund auf der alten Veranda sitzen, Bier trinken und seine Ruhe haben. Sonst will er nichts.

Das geht nur eben leider nicht. Denn dieser Mann, daran lässt das Drehbuch des Newcomers Nick Schenk keinen Zweifel, ist Amerika. Oder doch zumindest jener Teil Amerikas, der in den Krieg gezogen ist und sich dafür nicht schämen will, der eine Flagge neben die Haustüre hängt, der an harte Arbeit glaubt und daran, die meisten Probleme selbst zu lösen, der auf amerikanische Wertarbeit schwört und auf eine gutgeordnete Werkzeugsammlung in der Garage, inklusive Waffen. Dieser Mann glaubt daran, dass früher einiges, ach was - eigentlich alles besser war. Als Symbol dieses Glaubens hat er ein perfekt erhaltenes Auto in der Garage stehen, das er einst selbst am Fließband zusammenschraubte: ein Ford, Modell Gran Torino Sport, Baujahr 1972. They don't make 'em like that anymore.

Kowalski als Auslaufmodell

Nun könnte man versucht sein, auch Walt Kowalski für ein Modell zu halten, das zwar altmodisch und leicht angerostet und längst vergriffen ist, aber doch auch ehrlich und konsequent und irgendwie sogar schön. Damals, in Gottes Namen, gab es wenigstens eine Autoindustrie - und nicht nur diese jammernden Waschlappen, die heute um Steuermilliarden winseln.

Das Publikum in den USA, das Clint Eastwood mit "Gran Torino" das erfolgreichste Startwochenende seiner ganzen Karriere bescherte, hat das alles vielleicht auch so gesehen. Was dann aber auch hieße, den krassen Rassismus dieses Mannes irgendwie zu entschuldigen, ihm recht zu geben in seiner ganzen unreflektierten Weltsicht, ihn zu einer Art Vorbild zu erklären - er hat halt nur keinen Katalysator und muss daher die Welt mit seinem ungefilterten Dreck verpesten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Film zu seinem Titel kam.

Heilige Dreifaltigkeit

Clint Eastwood, der Regisseur, spielt ein wenig herum mit dieser Möglichkeit. Er gibt Walt zwei besonders unsensible erwachsene Söhne, die ihm hochgradig penetrante Schwiegertöchter und eine egozentrische Brut von Enkeln beschert haben. Man hört geradezu, wie der alte Motor rasselt vor Wut, wenn sie ihm Rentnergeschenke zum Geburtstag bringen und die Vorzüge von Altersheimen anpreisen. Der Film scheut sich auch nicht, jeden Menschen am Straßenrand zum Kriminellen zu erklären, und er suggeriert, dass Walts krude Lebensweisheiten ganz praktische, positive Resultate produzieren könnten. Und doch ist das allenfalls ein Teil der Wahrheit.

Denn man muss sich auch klarmachen, dass der Ford Gran Torino in der amerikanischen Motor-Mythologie eigentlich überhaupt keinen Platz hat. Schon bald nach seiner Einführung galt er als unzuverlässige Rostlaube, gegen den Mustang oder den Thunderbird konnte er nie anstinken, auch Dirty Harry fuhr seinerzeit lieber einen Ford Galaxy 500. Will sagen: Walt Kowalski ist eben auch ein hartnäckiges Loser-Modell - immer schon gewesen.

Selbst die Einheit, bei der er in Korea gedient hat, die 1st Cavalry Division, untermauert diese These: Der Truppe hängt seit einem missglückten Kräftemessen mit den Chinesen der Ruch an, eher Feigheit vor dem Feind als Tapferkeit bewiesen zu haben - woran auch ein hochdekorierter Veteran wie Kowalski nichts ändern kann. Und das alles erklärt erst die Wut, die Schuld und die Unzufriedenheit, die in diesem Mann immer noch brennen, nur das begründet, warum er seine verstorbene Frau zu einer Art Heiligen verklärt: Weil sie es trotz allem mit ihm ausgehalten hat.

Jawohl, es geht also auch um eine ganz späte Erlösung in diesem Film, um Grausamkeiten, die Walt als Soldat begangen hat, die ihm keine Ruhe lassen, um sein Verhältnis zur Gewalt, das gerade nicht mit einem "Make my day!" und dem Durchzug des Double-Action-Triggers zu klären ist. Ein milchgesichtiger, aber doch hartnäckiger katholischer Priester stößt Walt immer wieder darauf, im Auftrag der verstorbenen Frau. Und der gibt selbst dann nicht auf, als Walt ihn - Halle-fuckin-lujah! - offen verhöhnt.

Die Möglichkeit der Erlösung entsteht in dem Moment, als Walt sich praktisch gegen seinen Willen mit den neuen Nachbarn anfreundet - einer Familie mit Mutter, Tochter und Sohn, die zur asiatischen Volksgruppe der Miao (oder Hmong) gehören. Diese waren Helfer der US-Truppen in Vietnam, wofür sie nun mit marginalisierten Flüchtlingsschicksalen bezahlen.

Selbsterkenntnis und Unschuld

Die Momente, in denen Walt und die Tochter, wunderbar burschikos gespielt von Ahney Her, einander näherkommen, ruppig aber humorvoll, sind die besten des Films. Da nämlich gibt der Schauspieler Eastwood etwas von sich preis, seine Menschlichkeit zum Beispiel, während er vorher doch eher eine Karikatur spielt - wenn auch, freundlicherweise, auf Wunsch all der kleinen, faschistoiden Vigilanten in uns.

Wie die Legende Eastwood, der ganz normale, arbeitende Schauspieler Eastwood und schließlich der Regisseur Eastwood hier zusammenkommen, das ist dann auch die eigentliche Schau dieses Films, der kaum jemanden kaltlassen wird. Erwartungen so lässig zu erfüllen und doch gleichzeitig völlig zu unterlaufen, absolute Selbsterkenntnis mit der fast naiven Unschuld des Immer-wieder-neu-Entdeckens aller Möglichkeiten des Kinos zu verbinden - das macht diesem Meister schon lang keiner mehr nach.

GRAN TORINO, USA 2008 - Regie: Clint Eastwood. Buch: Nick Schenk. Kamera: Tom Stern. Musik: Kyle Eastwood. Mit: Eastwood, Christopher Carley, Ahney Her, Bee Vang. Verleih: Warner, 116 Min.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: