Im Kino: Geständnisse:Ein Fest des Menschenhasses

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Tödliche Speisung: Eine verzweifelte Lehrerin will den Mord an ihrer Tochter rächen und injiziert HIV-infiziertes Blut in die Milchpackungen der von ihr verdächtigten Schüler. Wie Regisseur Tetsuya Nakashima in "Geständnisse" eine überdrehte Gewaltorgie inszeniert.

David Steinitz

Wenn demnächst mal wieder eine Kulturgeschichte der Milch geschrieben wird, müsste dieser japanische Schocker ein eigenes Kapitel erhalten. "Kokuhaku/Geständnisse" von Tetsuya Nakashima verbannt das vielgepriesene gesunde Schulpausengetränk für immer in den Giftschrank.

Verzweifelte Mutter auf Rachetour: Klassenlehrerin Yuko vermutet, dass zwei ihrer Schüler ihre Tochter umgebracht haben. (Foto: dapd)

Ihren legendären Kino-Höhepunkt hatte die Milch in den Fünfzigern, als der halbstarke James Dean als "Rebel without a cause" sein Mütchen nicht etwa mit einem Bier, sondern mit dem beherzten Griff zur eiskalten Milchflasche kühlte - in "Confessions" nun vergeht den noch nicht ganz so halbstarken Dreizehnjährigen der 7b der Durst gehörig.

Die Klassenlehrerin Yuko (Takako Matsu) verkündet am letzten Schultag vor den Ferien, sie habe in zwei der an die Schüler ausgegebenen Milchpackungen HIV-positives Blut injiziert. Plötzlich ist Stille im eben noch tosenden Klassenzimmer. Die kleine Tochter der Lehrerin wurde tot im Pool gefunden, und Yuko glaubt nicht an einen Unfall, sondern beschuldigt zwei Schüler des Mordes. Ihnen hat sie - sie nennt sie anonym A und B - das tödliche Blut in die Milch gemischt.

Verzweifelte Mütter auf Rachetour, das ist ein großes Thema im aktuellen asiatischen Kino; im vorigen Jahr machte der Südkoreaner Joon-ho Bong mit seinem Thriller "Mother" Furore, in dem eine zu allem entschlossene Mutter ihren Sohn vor dem Gefängnis bewahren will - er soll ein Mädchen ermordet haben. Zu allem entschlossen ist auch Lehrerin Yuko, in einem Film, den man je nach dem Menschenbild, das man vertritt, als Thriller oder als Horrorfilm oder gar als zynische Komödie sehen mag. In jedem Fall ist der Film ein Fest der Misanthropie.

Nach der Schockeinleitung vom Lehrerpult aus wird dann aus den Schülerperspektiven weitererzählt, von A und B und von anderen mehr - und von denen ist einer so böse wie der andere. Die einzige Ausnahme ist ein junger, überambitionierter Lehrer, der einfach nur vertrottelt ist. Sein Enthusiasmus, der an dieser niederträchtigen Klasse abprallt, ist als Parodie angelegt, auf all die leidenschaftlichen Lehrer, die im Hollywoodkino zu versöhnenden Rettern der Jugend stilisiert werden.

Geständnisse" basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage von Kanae Minato, der die Episode mit der HIV-Milch in der Schule zunächst als Kurzgeschichte angelegt und später zum Roman ausgebaut hat - mit der simplen Dramaturgie, dass alles einfach immer schlimmer und böser wird. Diese Gewaltorgie spitzt Tetsuya Nakashima, der auch das Drehbuch geschrieben hat, mit einer sehr japanischen, melodramatischen, fast comichaften Inszenierung weiter zu. Er spielt mit grauen Nahaufnahmen und Zeitlupen, widmet sich mit laborhaftem Interesse Regen-, Blut- und Milchtropfen, die zu Boden fallen und zerplatzen. Nakashima ist bekannt für seine überdrehten Inszenierungen, schon in seinem Vorgängerfilm "Paco and the Magical Book" oder in dem - ähnlich wie "Geständnisse" - als wildes Puzzle erzählten "Kamikaze Girls" trieb er es brutal und bildgewaltig.

Es ist kaum möglich, in den Gesichtern dieser skrupellosen Frühpubertierer zu lesen, weshalb sich nie sicher erfahren lässt, wer hier was angestellt hat. Der Film dreht sich in immer neuen Wendungen, zu schrägen Klängen, unter anderm von Radiohead - bis zur Groteske. Eruptiv platziert er die Boshaftigkeiten und Abartigkeiten seiner Charaktere, die hervorplatzen wie die Milch aus den fallengelassenen Packungen, wenn sie am Boden aufschlagen. Am Ende dieses Monstrositäten-Marathons gibt es dann noch einen richtig klassischen Showdown, der beweisen soll, wer von all den Gemeinen der Allergemeinste ist. Von der Romantik, vom Mythos, von der Magie des Heranwachsens ist nichts geblieben, in der modernen Gesellschaft dominieren Kälte, Intrigantentum, mörderischer Hass und Zynismus schon in der Jugend. Und der Lehramtsberuf - das lehrt der Film - hat keine Zukunft.

KOKUHAKU, Japan 2010 - Regie, Buch: Tetsuya Nakashima. Nach dem Buch von Kanae Minato. Kamera: Masakazu Ato, Atsushi Ozawa. Musik: Toyohiko Kanahashi. Schnitt: Yoshiyuki Koike. Mit: Takako Matsu, Yukito Nishii, Masaki Okada, Yoshino Kimura, Kaoru Fujiwara, Ai Hashimoto, Hirofumi Arai. Rapid Eye Movies, 106 Minuten.

© SZ vom 30.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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