Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Four Lions:Der absolute Ernstfall

Warum hat die Welt so lange gebraucht, um das "ha" in "Dschihad" zu entdecken? Der britische Komiker Chris Morris macht sich in dem Film "Four Lions" über Terrorfurcht und Selbstmordattentäter lustig.

Jan Füchtjohann

Der Plan der Terroristen aus dem Jemen war einfach. Ihr Ziel: das in der Bucht liegende Kriegsschiff der US-Marine. Um drei Uhr morgens trafen sich die Männer am Pier, ließen ihr kleines Boot zu Wasser und beluden es mit Sprengstoff. Paket für Paket, bis es voll war. Und versank.

"Allein die Vorstellung, was die zueinander gesagt haben könnten, bringt mich zum Lachen", kommentierte der britische Filmemacher Chris Morris. Es war kein Einzelfall:

2009 hatte Umar Farouk Abdulmutallab im Flug Northwest Airlines 253 seine Unterhose in die Luft gesprengt. Und 2010 filmten Überwachungskameras das verwirrte Gesicht von Faisal Shahzad, als ihm klar wurde, dass er in dem Auto am Times Square nicht nur eine große Bombe hinterlassen hatte. Sondern auch die Schlüssel zu seiner Wohnung. Und zu seinem Fluchtwagen.

Warum hat die Welt bloß so lange gebraucht, um das "ha" in "Dschihad" zu entdecken? Es bedurfte dafür eines Komik-Avantgardisten wie Chris Morris, der in fast 20 Jahren Arbeit für das britische Fernsehen immer wieder gezeigt hat, dass man eine Gesellschaft zum Lachen bringen kann, indem man sie an ihren empfindlichsten Stellen kitzelt.

Legendär wurden etwa seine Kampagnen: Als er 1997 Politiker und Prominente überzeugte, vor der neuen tschechischen Designerdroge "Kuchen" ("Cake") zu warnen. Oder als ein Labour-Abgeordneter in seiner Sendung darauf aufmerksam machte, dass "den Kinderschändern im Internet eine Gegend so groß wie Irland gehört". Morris machte den Witz, lange bevor Stephanie zu Guttenberg beim selben Thema Ernst machte.

Er war ein Fürst der falschen Wahrheit, noch bevor dem US-Komiker Stephen Colbert dafür der Name "truthiness" einfiel. Und er war ein Meister des entlarvend komischen Interviews, aus dem sich Sacha Baron Cohen später eine ganze Karriere machte. Morris selbst dagegen blieb kontrovers: Er hatte das ungute Talent, sich über Hysterien bereits dann lustig zu machen, solange sie noch hysterisch waren.

So auch in seinem neuen Film "Four Lions", der nun endlich auch in Deutschland in die Kinos kommt. Darin stolpern ein paar nicht besonders helle Jungs in ein Abenteuer, das ein paar Nummern zu groß für sie ist - ein klassischer Komödien-Plot, bekannt aus Filmen wie "Hangover" oder "Superbad". Nur heißen die Jungs in diesem Fall Omar, Waj, Faisal und Hassan, sind Selbstmordattentäter und hassen die westliche Zivilisation. Und zwar die ganze Zivilisation, mit Ausnahme von Vergnügungsparks, dem Disneyfilm "König der Löwen" und dem Song "Dancing in the Moonlight".

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was die Stärke des Films ist.

Eben das ist die Stärke des Films: Das von ihm provozierte Lachen hat immer einen humanisierenden Effekt. Wenn Faisal versucht, zahme Krähen als Kamikaze-Bomber abzurichten, zeigt er bloß seine Angst vor dem Tod. Und wenn der frühere Rechtsradikale Barry, der sich inzwischen Azzam al Britani nennt, erklärt, warum sein Fluchtauto immer im blödesten Moment kaputtgeht ("Die Juden haben die Zündkerzen erfunden, um den globalen Verkehr zu kontrollieren"), sieht man, was die Radikalen auf allen Seiten gemeinsam haben: eine ziemliche Macke.

Wäre das alles, würde man sich wundern, warum CSU-Politiker Stephan Mayer noch im Januar warnte: "Ich glaube, dass es sehr gefährlich sein könnte, diesen Film jetzt in deutschen Kinos zu zeigen. Es könnte Öl ins Feuer gegossen werden." So viel Ernstfall für einen derart lustigen Film?

Auch die Kritiker haben in Bezug auf "Four Lions" tausendmal die gleichen Fragen gestellt: Ist es nicht barbarisch, nach 9/11 einen Witz zu machen? Und wäre es andersherum nicht sehr dumm, sich von al-Qaida das Lachen verbieten zu lassen? Ihre Antwort war fast immer die gleiche: "Four Lions" geht, weil der Film so menschlich ist.

Doch in seinen brillantesten Momenten dreht Morris genau diese Logik um: Anstatt die Dschihadisten als allzumenschlich zu zeigen, offenbart er das Allzumenschliche als (potenziell) dschihadistisch.

Als die Gruppe einen Rückschlag erleidet, wird Omar von seiner fürsorglichen Gattin wieder aufgerichtet: "Komm her. Du hast mir viel besser gefallen, als du dich noch in die Luft sprengen wolltest." "Ich werde mich auch noch in die Luft sprengen, glaub mir. Nur eben nicht in einer Moschee, einer Apotheke oder auf dem Rücken einer Ente." Plötzlich stolpert der Sohn im Schlafanzug ins Zimmer, weil er noch Fragen zu seiner Gute-Nacht-Geschichte hat: "Erzählst du mir die Geschichte von Simbas Dschihad weiter? Wird er zum Märtyrer, Dad?" "Selbstverständlich. Doch auch, wenn er in tausend Stücke gerissen wird, lacht er beim Sterben."

Es ist eine perfekte Mischung aus Soap Opera und Heiligem Krieg. So perfekt, dass irgendwann der Dschihad selbst wie ein gut laufender Franchise wirkt - mit passendem Zubehör, Videos und leicht imitierbaren Posen. Für einen CSU-Bundestagsabgeordneten aus Altötting ist das verständlicherweise ein bisschen viel. Und doch: Polizeiliche Nachforschungen ergaben, dass sich die Londoner Rucksackbomber vom 7. Juli 2005 an der Popkultur orientierten und zur Tarnung Namen und Bezüge aus der Fernsehserie "A-Team" verwendeten.

Man wird "Four Lions" also nicht gerecht, indem man die Komödie verharmlost. Denn wirklich guter Humor ist zutiefst uneindeutig. Ein amerikanischer Kritiker schrieb versöhnlich, Morris' Film zeige die "Absurdität einer Welt, in der alle viel gemein haben und doch ständig wütend vorgeben, anders zu sein". Das stimmt. Doch in der Chris-Morris-Logik heißt das auch: Diese Welt wird immer neue Attentäter produzieren. Also viel Spaß.

FOUR LIONS, GB 2010 - Regie: Christopher Morris. Mit: Benedict Cumberbatch, Nigel Lindsay, Kayvan Novak, Darren Boyd, Riz Ahmed. Capelight Pictures, 102 Minuten.

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SZ vom 23.04.2011/rus
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