Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Fantastic Mr. Fox:Faust zum Gruße

Wer bin ich? Und warum bin ich ein Fuchs? Roald Dahls Fantastic Mr. Fox gerät in eine Midlife-Crisis und möchte so gern mal wieder ein Huhn zerfetzen.

Rainer Gansera

Nach dem Kopfsprung in den Brunnen formen die Wasserspritzer raffinierte Arabesken, einige Takte des Rolling-Stones-Songs "Streetfightin' Man" erklingen, und Mr. Fox startet - der Anflug eines ironischen Seufzers kräuselt seine Lippen - seinen philosophischen Exkurs zur Identitätsfrage. Wes Andersons eigenwillige und kongeniale Adaption von Roald Dahls (Kinderbuch-)Klassiker präsentiert in jeder ihrer atemberaubenden Szenen mehr Witz, visuelle Phantasie und liebevolle Hingabe ans Detail als die Mehrzahl der CGI-Animationen heute insgesamt aufzubieten in der Lage sind. Es hat nichts mit Nostalgie zu tun, wenn Anderson auf das klassische Stop-Motion-Puppentrickverfahren, mit dem schon King Kong das Empire State Building bestieg, zurückgreift. Dieses Verfahren erlaubt eine Ausformung jeder Nuance mit der Hand. Es erbringt eine taktile Qualität, welche die Computer-Digitalanimationen mit ihren aseptischen Oberflächen nicht besitzen können.

Das Drama des begabten Kindes

Eigentlich führt Mr. Fox ein beschauliches familiäres Leben. Dem wilden Treiben als Hühnerdieb hat er abgesagt und sich in einem gutbürgerlichen Leben als Journalist nett eingerichtet. In Abänderung der Dahl-Vorlage zeichnet Anderson die Familienstruktur so, dass er sein Lieblingsthema (siehe "Royal Tenenbaums" und "Darjeeling Limited") unterbringen kann: das Drama des begabten Kindes, das die elterliche Zuwendung vermisst und sich in bizarre Idiosynkrasien versteigt. Das Drama des Vaters aber ist die Midlife-Crisis. Er sehnt sich zurück zu den Abenteuern der Jugend.

Seinem Opossum-Kumpel Kylie präsentiert Vater Fox seine große Krise in einem nachdenklichen Diskurs: "Wer bin ich, Kylie? Warum bin ich ein Fuchs? Warum kein Pferd oder Käfer oder mächtiger Adler. Ich sage das in so einem, du weißt schon, existentialistischen Sinn. Und wie kann ein Fuchs je glücklich sein, ohne - du verzeihst mir diesen Ausdruck - ein Hühnchen zwischen seinen Zähnen?" Da antwortet Kylie: "Ich weiß nicht, wovon du sprichst, aber es klingt illegal." Mrs. Fox ahnt, dass ihr Gatte wieder rückfällig werden will und drückt die Ahnung, weil die Dialoge des Ehepaares gern in Screwball-Manier ablaufen, so aus: "Wenn das passiert, wovon ich glaube, dass es passiert, hoffe ich, dass es nicht passiert!"

Grob, Grimm und Gräulich

Die neuerlichen Raubzüge des Mr. Fox bringen nicht nur seine Familie, sondern die gesamte Tierwelt in höchste Gefahr, denn die Geschädigten, drei fiese Farmer namens Grob, Grimm und Gräulich - im Original: Boggis, Bunce and Bean -, fahren schwerste Geschütze auf, um Mr. Fox und den Seinen den Garaus zu machen. Mit Baggern und Bulldozern rücken sie an, es wird heftig gebuddelt und gegraben, und die Tiere müssen all ihre besonderen Talente bündeln, um der Gefahr zu entkommen.

Mühelos und folgerichtig kann Wes Anderson diese Story mit seinem Universum zusammenbringen. Immer schon liebte er puppenhausartige, klaustrophobische Schauplätze, die aufgesprengt werden wollen. Spielerisch gelingt ihm auch hier der typische Anderson-Mix aus Melancholie, Coolness und exzentrischem Witz. Die Farben ergeben den passenden Widerstreit aus Buntheit und apokalyptischen Tönungen. Ein fahlgelber Himmel überwölbt die idyllische Landschaft, und das Labyrinth der Tunnelgrabungen endet, dekoriert mit allerlei Explosionen, im gleißend hellen Supermarkt.

Aus Fabeln, Märchen und Goethes "Reineke Fuchs" kennen wir den Fuchs als das exemplarisch listige Wesen, als Tänzer auf der Grenze von Wohlanständigkeit und Amoralität, Verkörperung der Ausgefuchstheit, hingegeben dem Lustprinzip. In diese Tradition wird Mr. Fox grandios eingereiht. Besonders schön: die Szenen, in denen das Raubtierhafte für kurze Augenblicke aus ihm hervorbricht und seine Dandy-Fassade zertrümmert. Wenn er am Frühstückstisch alle Manieren vergisst und das Omelett gierig verschlingt, oder wenn er im Streit mit Rechtsanwalt Dachs plötzlich die Krallen ausfährt und gefährlich mit den Augen rollt, um im nächsten Moment wieder brav im Sessel Platz zu nehmen.

In Fuchsgeschichten spielt oft der stärkere, aber dümmere Wolf den Part des großen Widersachers. Hier aber gibt es eine bemerkenswerte Solidarisierungsszene zwischen Fuchs und Wolf, bei der die Fäuste zum Gruß geballt werden - und die Helden der Geschichte über die Grenzen familiärer Dramen hinaus ins Gefilde gesellschaftlicher Kämpfe geführt werden.

FANTASTIC MR. FOX, USA/GB 2009 - Regie: Wes Anderson. Buch: Noah Baumbach, Wes Anderson. Nach dem Buch von Roald Dahl. Kamera: Tristan Oliver. Musik: Alexandre Desplat. Animation: Mark Gustafson. Puppenmacher: Andy Gent, MacKinnon & Saunders. Sprecher: George Clooney, Meryl Streep, Bill Murray, Willem Dafoe, Owen Wilson. Dt. Sprecher: Christian Berkel, Andrea Sawatzki. Twentieth Century Fox, 88 Min.

Außerdem laufen an: Le Fil - Die Spur unserer Sehnsucht, von Mehdi Ben Attia Herbst/Sonbahar, von Özcan Alper Plan B für die Liebe, von Alan Poul Labyrinth 3D, von Takashi Shimizu

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SZ vom 12./13.05.2010/kar
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