Im Kino: Ein russischer Sommer:Tolstoi lacht sich scheckig

48 Jahre verheiratet, 13 Kinder, sechsmal "Krieg und Frieden" abgeschrieben - und dann Rosenkrieg: "Ein russischer Sommer" erzählt die Geschichte des Ehepaars Tolstoi.

F. Göttler

Ordnung muss sein in diesem Film, Besitz- und Rechtsfragen werden hitzig diskutiert und kalt entschieden, die Frontlinien sind strikt gezogen, sie schneiden hart durch die große Familie Tolstoi. In der entscheidenden Szene gibt es eine Art Amtsstube im Wald, einen notariellen Akt mitten in der Natur - ein Testament wird abgefasst zwischen Birken und Tannen. Der große russische Autor Tolstoi schenkt sein Werk - "Krieg und Frieden", "Anna Karenina" und andere - dem russischen Volk.

Im Kino: Ein russischer Sommer: In der Tat, mit diesem Film ist shakespearesche Lebendigkeit ins Genre des Biopic, des biografischen Kinos zurückgekehrt: Christopher Plummer als Tolstoi und Helen Mirren als Sofja Andrejewna.

In der Tat, mit diesem Film ist shakespearesche Lebendigkeit ins Genre des Biopic, des biografischen Kinos zurückgekehrt: Christopher Plummer als Tolstoi und Helen Mirren als Sofja Andrejewna.

(Foto: Foto: Warner Bros. Ent.)

Dessen Geschick interessiert ihn nun, im Jahr 1910, kurz vor seinem Tod, mehr als die Literatur. Eine Aura von Heimlichkeit und Verschwörung umgibt die Aktion, sie findet fernab von Jasnaja Poljana statt, dem Landsitz der Tolstois, wo Sofja Andrejewna lauert, die Gräfin, die Gattin, die Mutter, die Herrin des Hauses, die erbittert kämpft gegen die Generosität, die alle beglücken soll. Die Mutter will die Tantiemen des kolossalen Werks den Kindern erhalten, darum läuft ein hässlicher Streit mit dem Mann.

Eine Ehe in Zahlen

Sofja Andrejewna und ihr Ljowotschka, die Intensität, die Effektivität dieser Ehe wird gern in Zahlen gemessen. 48 Jahre miteinander verheiratet, 13 Kinder, die sie ihm geboren hat, sechsmal das Manuskript von "Krieg und Frieden" abgeschrieben, mit ihm besprochen und korrigiert. Sie hat seinen Haushalt organisiert und sein Werk, ein Austausch, der über Jahre hinweg funktionierte.

Nun ist es unerträglich geworden zwischen den beiden, und das hängt vor allem mit der Rolle zusammen, die er nun im Alter zu spielen hat, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der neuen Zeit.

Und Tolstoi ist irgendwie ihr Prophet geworden, der redet von Menschenliebe und Enthaltsamkeit - in jeder Hinsicht: kein Fleisch, kein Sex, keine Gewalt, da korrespondiert er unter anderem mit dem jungen Gandhi.

Nur wenige Jahre vor der Revolution engagiert er sich gegen die feudale, zaristische Gesellschaft und ihre unnatürlichen Verkrustungen, und ist damit dem Staat suspekt geworden, trotz seines Weltruhms von Zensur bedroht. Ein Prophet wider Willen, dem eine Gruppe Tolstoianer tapfer hinterhertrottet, bemüht, diese Ideen absolut zu verteidigen und in die Realität umzusetzen - Lebenspuristen, Öko-Fundis, Kommune-Jünger.

"Ein russischer Sommer" ist eine deutsche Produktion, in den Landschaften von Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen gedreht, nach dem Roman eines amerikanischen Literaturwissenschaftlers, Jay Parini (deutsch im Verlag C.H. Beck), inszeniert vom amerikanischen Regisseur Michael Hoffman - aber ihren besonderen Drive bekommen die Szenen dieser Ehe durch die Akteure, die ihr Metier im Umkreis der englischsprachigen Bühne lernten, jenen getragenen, pathosnahen Stil, den man hamming nennt - was mit der deutschen Schmiere viel zu ungenau, viel zu abwertend wiedergegeben wird.

Christopher Plummer ist mit seinen achtzig Jahren im besten Tolstoi-Alter, ein fabelhafter faunischer Greis: "Okay, er hat diese langen, schwerfälligen, sicher wundervollen menschlichen Romane geschrieben, aber als ich mir die Rolle überlegte, fragte ich mich: But was he fun? Hatte er sich hin und wieder einen Schabernack gegönnt?"

Lesen Sie auf Seite 2, warum Helen Mirren als Sofja Andrejewna Baden geht.

Mal das große Oper, mal Boulevardklamotte

Helen Mirren legt schwer los als Sofja Andrejewna, bitter, erbost, furienhaft. Und ohne Bedenken, sich womöglich zum kläglichen Narren zu machen - wenn sie ihrem Mann und seinen Komplizen hinterherspioniert oder als sie erfährt, dass Ljowotschka sie endlich entnervt verlassen hat -, da verpatzt sie einen großen opheliahaften Auftritt auf dem Bootssteg am See und plumpst stillos ins Wasser, irgendwie zwischen Selbstmordversuch und Ausrutscher.

Paul Giamatti, der Masochist unter den amerikanischen Schauspielern, der lustvoll sich gern die unsympathischsten Parts rauspickt, ist Tschertkow, der Verleger-Intrigant, der sich fürs Volk abrackert und Tolstoi den Vertrag abschwatzt.

Tolstois Narr - ein Weichei, ein Allergiker

In der Tat, mit diesem Film ist shakespearesche Lebendigkeit ins Genre des Biopic, des biografischen Kinos zurückgekehrt. "Tolstoi lachte über Shakespeares König Lear", schreibt Viktor Schklowski in seiner opulenten Tolstoi-Biographie, erschienen in den Sechzigern.

"Das gibt es auf der Welt nicht, meinte er, daß ein König, sich einer seltsamen Aussprache bedienend, das Königreich unter seinen Kindern aufteilt, von diesen Kindern vertrieben wird und mit seinem Diener im Unwetter umherirrt. Der sowjetische Schauspieler Michoels las während des Rollenstudiums zu König Lear Tolstois Schrift über Shakespeare und sagte entzückt, Tolstoi habe, obwohl er den König Lear ablehnte, selbst dessen Rolle gespielt, indem er seinen Besitz aufteilte und ins Exil gegangen sei ..."

Tolstois Narren gibt James McAvoy als Walentin Bulgakow, Sekretär des Meisters, ein Weichei, ein Allergiker, der niesen muss, wenn er dem Leben zu nahe kommt, dem Chaos, dem Sex, der Liebe.

Tolstoi lacht sich scheckig, beim Waldspaziergang, als er dem Jungen von einer tatarischen Frau in seiner Jugend erzählt - wie sie gevögelt haben, zweimal am Tag, und wie er sich immer noch erinnert an ihren Körper, ihren Duft. An den Reaktionen des Jungen erkennt er: Du bist noch Jungfrau ...

Mal große Oper, mal Boulevardklamotte

Die Altersenthaltsamkeit, die auch Sofja Andrejewna so frustriert, hat ein solides Fundament in einer ausschweifenden Jugend. Ich glaube, gesteht der Meister, ich selbst bin kein guter Tolstoianer.

Also lauscht Sofja Andrejewna, die alle gestört finden, italienischen Opernarien - all diese verlassenen Frauen ... Der Film selbst ist mal große Oper, mal Boulevardklamotte, und zeigt, wie schnell und einfach der Wechsel vom einen zum andern ist. Zwei Formen, die dem bürgerlichen Drama Paroli bieten und seinem Drang zur psychologischen Erklärung, und indem die Kinematographie sich ihrer bediente, hat sie die Hysterie gesellschaftsfähig gemacht.

Den Rest besorgten die neuen Medien, Telegraphie und Wochenschau. Als Tolstoi auf seiner Flucht aus Jasnaja Poljana erschöpft Zwischenstation machen muss - die "Last Station" des Originaltitels -, wimmelt das Kaff Astapowo in Windeseile von Reportern, jede Menge Paparazzi des geschriebenen Worts, alles kritzeln sie mit auf ihren Blöcken, mit hässlich kratzenden Stiften.

THE LAST STATION, D 2009 - Regie, Buch: Michael Hoffman. Nach dem Roman von Jay Parini. Kamera: Sebastian Edschmid. Schnitt: Patricia Rommerl. Mit: Christopher Plummer, Helen Mirren, James McAvoy, Paul Giamatti, Anne-Marie Duff. Warner, 112 Minuten.

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