Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Eat Pray Love:Genuss, Konsum, Erleuchtung

Eine frisch geschiedene Mittdreißigerin auf der Suche nach Balance: "Eat Pray Love" mit Julia Roberts ist eine globetrotternde Sinnsuche im Tonfall ironisch pointierter Lebenshilfe-Handbücher. Ein keuscher Film.

Rainer Gansera

Pretty Woman im Baskenland: Am vierten der acht Festivaltage, also dramaturgisch präzise in der Festivalmitte platziert, präsentiert die 58. Ausgabe des "Donostia Zinemaldia" (so heißt das Filmfestival von San Sebastián auf Baskisch) ihren Mega-Star: Julia Roberts. Die Wellen der Begeisterung schlagen hoch, auch weil Julia am Arm eines spanischen Kollegen, des Oscargewinners Javier Bardem, den Festivalpalast betritt.

Bardem unternimmt den Versuch, mindestens so gewinnend zu lächeln wie Julia - was mit seinem Dreitagebart eher lustig aussieht. Julia erhält den Ehrenpreis. Die Rührung, mit der sie sich bedankt, trägt sie artig und herzlich vor. Ihr Name ziert nun die imposante Liste der meist männlichen Preisträger: Robert Mitchum, Catherine Deneuve, Al Pacino, Dennis Hopper, Sean Penn...

Bardem hält eine knappe, treffende Laudatio, bei der er Julias Wandlungsfähigkeit herausstreicht. Tatsächlich fügt sie sich in keine der klassischen Frauen-Ikonographien - Femme fatale, Märchenfee, Mädchen von nebenan -, sondern verkörpert in ihren besten Filmen grenzüberschreitende Heldinnen: die Prostituierte im Aschenputtelszenario ("Pretty Woman"), die kämpferische Workingclass-Heldin ("Erin Brockovich"), oder den berühmten und melancholischen Filmstar, der sich danach sehnt, das Mädchen von nebenan zu sein ("Notting Hill").

Im Gespräch mit der Presse zeigt sie ihre Wandlungsfähigkeit en miniature in dem für sie typischen Dreiklang: Mal antwortet sie mit ladyhafter Distanz, dann aufgekratzt wie ein College-Girl, schließlich mit anrührendem Ernst. Was ihr die größten Sorgen bereite? Antwort: "Natürlich die Umweltzerstörung, die Vermüllung der Ozeane, aber die allergrößte Sorge macht mir das Fehlen wirklich menschlicher Beziehungen in einer zunehmend anonymen Welt!"

Bezaubernd, wie sie das sagt. Spielt es da noch eine Rolle, wie der Film ist, den sie mitgebracht hat, der zugleich weltweit und auch in Deutschland in die Kinos kommt? Ja doch, irgendwie schon. Auch wenn die spanischen Kollegen um diplomatische Formulierungen ringen.

"Eat Pray Love" hat die amerikanische Journalistin Elizabeth Gilbert ihr autobiografisches Buch betitelt, das sich 150 Wochen lang auf der Bestsellerliste der New York Times hielt. Ein solcher Erfolg ruft Hollywood auf den Plan, und so verfilmte der als Fernsehregisseur bekannte Ryan Murphy diese Geschichte einer frisch geschiedenen Mittdreißigerin, die nach neuer innerer Balance sucht, mit großer Opulenz - und eben mit Julia in der Hauptrolle. Globetrotternde Sinnsuche, erzählt im Tonfall ironisch pointierter Lebenshilfe-Handbücher. Zielgruppe: Frauen in der Midlifecrisis, die nach neuer Nahrung für Körper, Geist und Seele suchen. Mit einer Art Wunscherfüllungs-Fastfood werden sie hier abgefüttert.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was der Texaner Richard Liz vorwirft - und welche Folgen das hat.

Drei Länder müssen für das Essen-Beten-Lieben-Programm herhalten: Italien, Indien und Bali. Im Land, in dem die Zitronen blühen, darf Liz sich von Diät-Vorschriften dispensieren und ordentlich Spaghetti schaufeln. Und Sahnetörtchen. Den Vorwurf der italienischen Freunde, dass Amerikaner, insbesondere Amerikanerinnen, nichts von Lebensgenuss verstünden, will sie praktisch widerlegen. Sie schlägt kulinarisch über die Stränge, aber man hat nicht den Eindruck, dass sie sich der Genussfähigkeit des Körpers wirklich hingeben würde. Zu tief verankert bleibt ihre amerikanisch-puritanische Leiblichkeit, die den Körper vor allem mit Hygiene, Gesundheit und Arbeit in Zusammenhang bringt. So gerät ihre Italienreise weniger zur existentiell umkrempelnden Erfahrung denn zum Touristen-Tipp für italienische Feinkostläden und Schlemmer-Restaurants.

In einem indischen Ashram lernt Liz meditieren, versucht es zumindest. Sie trifft den Texaner Richard (Richard Jenkins), der ihr vorwirft, dass sie sich spirituell nicht richtig öffnen würde und ein Kontrollfreak sei. Bevor Liz diesen Vorwurf im klimatisierten Meditationsraum entkräften könnte, reist sie weiter zu einem munteren Medizinmann nach Bali. Große, schicksalwendende Magie: Es begegnet ihr ein smarter Brasilianer namens Felipe (Javier Bardem) , der auch eine Scheidung zu verdauen hat, sich als Baliküche-Feinschmecker, Sambatänzer und als die neue große Liebe erweist. Die Selbstsuche endet mit der Mannfindung.

Ihre Lebenskrise treibt Liz nicht wirklich in dunkle Zonen der Verzweiflung. Alle drei Kapitel führen ein merkwürdiges Paradox vor: etwas, das im Kern nicht verfügbar oder herstellbar ist - der Lebensgenuss, die spirituelle Erleuchtung, die Liebe -, wird als konsumierbar dargeboten und derart ins leichthin Verfügbare gezogen. Streckenweise erscheint diese Liz wie ein Ego-Monster, das die Welt (die exotischen Länder, Gott, den Anderen) gar nicht kennenlernen, sondern nur darüber verfügen will. Kurioserweise erscheinen alle Männer, mit denen sie tun hat, sehr nett, aber keiner wird zur sexuellen Herausforderung. Ein keuscher Film. Dass er dennoch eine Reihe vergnüglicher Passagen enthält, verdankt er dem unverwüstlichen, bezwingenden Charme der Julia Roberts.

Als Julia zum Fototermin an San Sebastiáns herrlichem Sandstrand erscheint, zeigt sie sich in einem wagemutig knappen Rock. So sexy war die 43-Jährige in keiner "Eat Pray Love"-Szene zu sehen. Die Fotografen sind begeistert, und die Erinnerung an eine ihrer schönsten Filmszenen wird wach: Wie sie als Pretty Woman im Schaumbad liegt und einen Prince-Song trällert: "Wonna be your fantasy".

EAT PRAY LOVE, USA 2010 - Regie: Ryan Murphy. Buch: Ryan Murphy, Jennifer Salt. Kamera: Robert Richardson. Musik: Dario Marianelli. Mit: Julia Roberts, Javier Bardem, Richard Jenkins, James Franco. Sony, 139 Minuten.

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SZ vom 22.09.2010/kar
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