Im Kino: Dreamers":"Ein Orgasmus ist besser als Bomben"

Von wegen prüde: Bertoluccis kühner Film "Dreamers" kommt ohne Schnitte in die US-Kinos. Darin sind unter anderem Masturbation, Geschwisterliebe, ein Dreier in der Badewanne und ein verzierter Penis zu sehen.

FRITZ GÖTTLER

An prominenter Stelle trägt der Junge das Bild des Mädchens, das er heimlich verehrt. Nicht auf dem Herzen, wie man es traditionsgemäß erwarten würde, es klebt an der Spitze seines Penis. Der Tatbestand kommt ans Licht, als der Junge, Verlierer in einem erotischen Pfänderspiel, die Hosen runterlassen muss.

Dreamers

Die Szene markiert den Umschwung in "The Dreamers", dem neuen Film von Bernardo Bertolucci, der Geschichte von drei kinoverrückten Kids im Jahr 1968 in Paris, einem Amerikaner und einem gutbürgerlichen Pariser Geschwisterpaar. Weil ihre zweite Heimstätte, die Cinémathèque Française, der Langlois-Affäre wegen geschlossen wurde, treiben sie ihre eigenen Kino- und Sexspiele in der labyrinthischen Wohnung der Eltern - und in ihrer nicht minder labyrinthischen Phantasie. Es gibt Masturbation, Geschwisterliebe, einen Dreier in der Badewanne ... Das ganze wird von Bertolucci mit jener Unbefangenheit gefilmt, die bereits seine Filme "Der Konformist", "Der letzte Tango in Paris" - Brandos berühmte Butter-im-Po-Szene - oder "Stealing Beauty" mit der jungen Liv Tyler auszeichnet. Kein Wunder, dass man bei der Erstaufführung auf dem vorigen Festival in Venedig schon mal spekulierte, wie heftig die Schnitte sein müssten, damit der Film im eher prüden Amerika in die Kinos kommen dürfte.

Nun wird "The Dreamers" auf dem Sundance Festival erstmals auf amerikanischen Boden gezeigt - und zwar ungekürzt, in der Fassung, in der er in Venedig lief und in der kommenden Woche auch bei uns in die Kinos kommen wird. Bewusst hat der US-Verleih, Fox Searchlight, von Seiten der zuständigen Motion Picture Association of America, der alle großen Verleihfirmen freiwillig ihre Filme vorlegen, die Einstufung des NC-17 akzeptiert, für Jugendliche unter 17 nicht geeignet - was den Film in Pornonähe rückt. Und oft zur Folge hat, dass viele Zeitungen sich weigern, Anzeigen zu schalten, viele Kinos, vor allem in den kleineren Städten, den Film nicht ins Programm nehmen. Nur zwei große Studiofilme mit einem NC-17 schafften bisher mehr als 10 Millionen Dollar Einspiel, Philip Kaufmans "Henry and June" und Paul Verhoevens "Showgirls". Nur die kleinen Independents wagen es, ihre Filme trotz eines NC-17 in den Verleih zu nehmen, Filme wie Cronenbergs "Crash" oder Darren Aronovskys "Requiem for a Dream". Die andere Lösung, den Film der MPAA nicht vorzulegen, gab es im Fall von auch bei uns umstrittenen Filmen wie "Baise-moi" und "Irréversible", sowie bei der mexikanischen Teenager-Sex-Komödie "Y tu mamá también", sie kamen ohne Einstufung ins Kino.

Die Fox sieht sich bei den "Dreamers" in einer Experimentiersituation - das NC-17 ist nie wirklich produktiv genutzt worden. Und die MPAA ist auch nicht mehr, was sie jahrelang war. "Indem wir den Film so herausbringen, wie Bernardo ihn konzipiert hat", erklärt Fox-Präsident Peter Rice, "folgen wir in den Fußspuren klassischer Filme wie ,Asphalt Cowboy' und ,Der letzte Tango in Paris'." Bertolucci ist von den Amerikanern einiges gewohnt - sein "Letzter Tango" kam mit dem damaligen X-Rating ins Kino, erst 1997 in einer ungekürzten Videofassung heraus, sein "Little Buddha" wurde vom Verleiher radikal malträtiert, seitdem gehört Bertolucci zu den intensivsten Harvey-Weinstein-Hassern -, daher ist sein Glück diesmal besonders groß. ",The Dreamers' schafft es endlich in der ungeschnittenen Fassung in die USA. Ich bin erleichtert, dass der Verleiher die Vision hatte, meine ursprüngliche Fassung herauszubringen. Schließlich ist ein Orgasmus besser als eine Bombe." Und, mit Verlaub gesagt, ein Bertolucci könnte selbst mit einem NC-17 einen Bombenerfolg haben. Nach einem Jahr, in dem selbst auf die besten BlockBuster-Rezepte kein Verlass war, ist ein Test mit dem Tango-Regisseur eine schöne Idee.

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