Im Kino: Die Vaterlosen:Mein Erzeuger, der Arsch

'68 und die Folgen: Hippie-Pascha Hans ist dabei, sein Leben auszuhauchen. Nur der älteste Sohn schafft es rechtzeitig ans Sterbebett, doch wird dort nur beschimpft. Das Spielfilmdebüt von Marie Kreutzer lenkt einen erhellenden Blick auf die Erben eines Kommuneversuches, dessen Ideale ernüchternd in Machtkampf und Manipulation verlorengingen.

Rainer Gansera

"Wenn es so'ne Art Führerschein für Eltern gäbe, dann hätte der Hans doch nie Kinder haben dürfen!" Ein bitteres Resümee über den eigenen Vater: Hans (Johannes Krisch) war Pascha einer Hippiekommune in der Steiermark, ein Obergockel, der sich gern als Indianerhäuptling verkleidete. Einer, der seinen rabiaten Egotrip mit Floskeln von "freier Liebe" und "antiautoritärer Utopie" dekorierte. Wie geht man mit dem Erbe um, wenn ein solcher Nicht-Vater stirbt? Wie fühlen sich die nun erwachsenen Kinder? Einmal mehr geht es um '68 und die Folgen, um die Beschreibung einer schwierigen Hinterlassenschaft mit Ton-Steine- Scherben-Begleitmusik.

Die Vaterlosen, Verleih: Thimfilm

Hans (Johannes Krisch) war einst Obergockel in der Steiermark und verkleidete sich gerne als Indianer. Nun liegt er im Sterben.

(Foto: Thimfilm)

Im hübsch baufälligen, idyllisch gelegenen Gehöft, das die vor 23 Jahren im Streit zersprengte Kommune beherbergte, haucht Hans sein Leben aus. Nur der älteste Sohn Niki (Philipp Hochmair) ist rechtzeitig da - und muss sich eine Tirade von Beleidigungen à la "Feigling" oder "Konformist" anhören. Noch mit den letzten Atemzügen zelebriert Hans sein Rebellentum, mit dem er nicht nur seine Kinder traktierte, sondern auch - wie man bei reichhaltigen Rückblenden sehen wird - die hoffnungsvoll-naiv konzipierte Kommune dominierte.

Die Wiederbegegnung der vier Kinder wird spannungsreich: Längst verjährte Konkurrenzkämpfe um Anerkennung und Geltung brechen auf, es beginnt eine Suche nach "dunklen Geheimnissen" der Vergangenheit. In grüner Natur oder bei Versammlungen um den Küchentisch (dem Schauplatz kommunardischer Eifersuchtsdramen) offenbaren die vier äußerst fragile Seelen, zeigen sich von Identitäts- und Sinnkrisen gebeutelt.

Der träumerische Vito (Andreas Kindl) hegt noch die geringste Abneigung gegen den Vater, macht sich daran, das Bauernhausdach zu reparieren - und würde am liebsten eine neue, großfamiliäre Kommune ins Leben rufen. Die Jüngste, Mizzi (Emily Cox), laboriert seit ihrer Geburt an einer neurologischen Erkrankung und sucht in den Tagebüchern des Vaters nach Spuren ihrer Kindheit. Von der Existenz ihrer Halbschwester Kyra (Andrea Wenzl), der Kühlsten und Abweisendsten im Quartett, wusste sie nichts. Klassisch bürgerliche Familienaufstellung nach dem Tod des antibürgerlichen Vaters.

Bevor die Story in Richtung Fernsehkrimi abbiegt und nurmehr wie ein dürftiger, auf die Erkundung von Schuldfragen erpichter Whodunit funktioniert, wirft das Spielfilmdebüt der Österreicherin Marie Kreutzer einen subtilen und erhellenden Blick auf die Erben eines Kommuneversuchs, dessen Ideale ernüchternd in Machtkampf und Manipulation verlorengingen. In jedem Moment ist zu spüren, dass die Regisseurin (Jahrgang 1977) aus eigener Erfahrung erzählt, dass ihr Blick von heftigen Wallungen der Hassliebe, von Wehmut, Trauer und Zorn geschärft ist.

Detektivspiel um verletzte elterliche Aufsichtspflicht

Kaum ein Funke der Sympathie für diese Vaterfigur, alles an Zartheit der Einfühlung für die Kinder, denen das Erwachsenwerden nur fragmentarisch gelungen ist. Da verzeiht man ihr gern manch inszenatorische Ungelenkigkeit. Unverständlich aber bleibt, warum Marie Kreutzer diese lebendig verschlungenen Wege etwa zur Hälfte des Films verlässt und das Ganze zu einem Detektivspiel um verletzte elterliche Aufsichtspflicht verkürzt.

Die Vaterlosen, Österreich 2011 - Buch und Regie: Marie Kreutzer. Kamera: Leena Koppe. Musik: David Hebenstreit. Mit: Andreas Kiendl, Andrea Wenzl, Emily Cox, Philipp Hochmair, Marion Mitterhammer, Pia Hierzegger, Johannes Krisch. Thimfilm, 105 Min.

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