Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Der letzte schöne Herbsttag:Blätter fallen, Reden schwallen

Woody Allen lässt grüßen: In "Der letzte schöne Herbsttag" wird fortwährend geredet, doch Männer und Frauen sind einfach nicht geschaffen, um einander zu verstehen.

Rainer Gansera

Männer und Frauen sind nicht geschaffen, um einander zu verstehen. Sagte einst Schopenhauer. Er meinte das als ironischen Kommentar zum ewigen Geschlechterkrieg. Man kann seinen Aphorismus aber auch anders wenden und sagen: Frauen wollen nicht verstanden, sondern geliebt werden. Männer auch.

Davon handelt Ralf Westhoffs Komödie: Wie wird ein Paar ein Paar? Auch wenn Der letzte schöne Herbsttag viele kuriose, witzige, hübsch garnierte Anekdoten der Missverständnisse aneinanderreiht und auf den ersten Blick wie ein immer auf Pointensuche befindliches Kaleidoskop von Paarbildungskomplikationen aussieht - im Innersten geht es um die Liebe, um die Ergründung jenes Seufzers, den die weibliche Hauptfigur Claire einmal seufzen darf: "Ist die Liebe so kompliziert? Sind wir so kompliziert?"

Sind wir jetzt ein Paar?

Herbst. Die Blätter fallen, Melancholie und Selbstbesinnung, Zeit des Nestbaus. Hier aber auch: Herbst einer Liebe. Seit zwei Jahren sind Claire (Julia Koschitz) und Leo (Felix Hellmann) zusammen. Sie lehnen an der Bar, spielen mit Salzstangen Mikado, dann stellt Claire die für Mittdreißiger-Paare entscheidende Frage: "Sind wir jetzt ein Paar oder haben wir eine Affäre?"

Leo versucht - das ist seine Masche - den Ernst wegzuwitzeln: "Wenn ich jetzt sage, dass wir dieses 'Paar-Ding' machen, ändert sich dann irgendwas? Müssen wir dann schlechten Sex haben oder mehr oder weniger, oder sehen wir uns dann seltener, oder öfter?" Claire lacht, aber es geht ihr schlecht, sie fühlt sich vernachlässigt.

Eigentlich sind die beiden doch ein nettes Paar. Sie leben in München, im studentischen Ambiente. Leo geht gern in die Berge zum Wandern, kocht Gemüse in einem Wok und achtet bei der Latte Macchiato darauf, dass sie mit der richtigen (fettarmen?, laktosefreien?) Milch aufgeschäumt wird.

Felix Hellmann konturiert diesen Leo als einen jener typischen Dreißigjährigen, die sich zwar cool geben, denen aber jeder Eroberungselan abhandengekommen ist. Julia Koschitz zeichnet Claire facettenreich als junge Frau, die gelernt hat, das liebenswerte Mädchen zu spielen, die aber im Grunde - wie Leo sich ausdrückt - eine "Powerfrau" ist. Claire weiß, was sie will, und weil es ihr ernst ist mit dem Paar-Sein, verzeiht man ihre Momente von Zickigkeit.

In seiner Speed-Dating-Komödie Shoppen hat Ralf Westhoff das ewige Paarfindungsspiel noch absurder gezeigt - nach Stoppuhr, mit satirischem Elan und treffsicherer Typenzeichnung. Das Prinzip Versuchsanordnung behält er bei, wenn er sich hier auf die Geschichte eines Paares konzentriert. Es wird fortwährend geredet, oft sprechen Leo und Claire direkt in die Kamera - wie zu einem freundschaftlich zuhörenden Therapeuten.

Manche Geschichten, wie zum Beispiel die vom "grandiosen Sex", würde man gern dargestellt sehen. Eifersüchtig bewacht Westhoff seine Heldin und belässt es beim darüber Reden. So entsteht in einer Mischung aus Screwball- Ton und Dialogtiraden à la Woody Allen das Bild eines Paares, das an Kommunikationsschwierigkeiten zu scheitern droht. Die In-die-Kamera-Monologe der beiden klingen bisweilen wie die von quengelnden Kindern, die schlechte Laune haben, weil sich die Welt (der Partner) nicht dem eigenen Wollen fügt.

In ihren Lebensentwürfen abgrundtief unsicher

Hier offenbart sich Der letzte schöne Herbsttag als Generationsporträt, das sich thematisch in die Linie von Stefan Krohmers Mitte 30 (2007) und Maren Ades Alle Anderen (2009) einfügt. Dreißigjährige heute: in ihren Lebensentwürfen abgrundtief unsicher, nach "Selbstverwirklichung" suchend, gelähmt von einer verbauten Zukunft, gefangen in einem launenhaften Wollen, dem die Liebe ein verschwommenes Sehnsuchtskonzept bleibt.

Wahrscheinlich ist die Elterngeneration an diesem Dilemma schuld. Die Eltern der heute Dreißigjährigen haben damit begonnen, nicht mehr von Liebe, sondern von "Beziehungskisten" zu reden und alle großen Gefühle unter einem therapeutischen oder kabarettistischen Redeschwall zu begraben. Daraus müssen sich Claire & Leo freischaufeln.

Sartre meinte, dass jeder Mensch dazu verurteilt sei, seinen Lebensentwurf wie einen Film zu sehen, in den man den anderen einbauen müsse. Jeder kämpft egozentrisch nur darum, den anderen zum Mitspieler im eigenen Szenario zu machen. In solch ein Verhängnis scheinen Claire und Leo gebannt zu sein - bis Claire sich trennt, und die Frage nach dem Ernst der Liebe dramatisch virulent wird. Die beiden kriechen aus ihren Schneckenhäusern hervor und ahnen: Frauen und Männer sind nicht geschaffen, um sich zu verstehen - sie sollen einander lieben.

DER LETZTE SCHÖNE HERBSTTAG, D 2010 -Buch, Regie, Produktion: Ralf Westhoff. Kamera: Helfmfried Kober. Musik: Michael Heilrath. Mit Julia Koschitz, Felix Hellmann, Katharina Marie Schubert, Leopold Hornung, Maik Solbach, Ingrid Cannonier, Andre Jung. Verleih: X-Verleih, 89 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1022080
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.11.2010/lena
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.