Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Der Albaner:Im Sog der kriminellen Existenz

Wenn das Geld nicht reicht: Das Flüchtlingsdrama "Der Albaner" erzählt präzise und mit voller Wucht von dem Teufelskreis, in den jene geraten, die als illegale Einwanderer vergeblich ihr Glück in Deutschland suchen. Auf Integrität, Moral oder Unschuld dürfen sie nicht hoffen.

Anke Sterneborg

Zunächst hat der Mann keinen Namen. Er ist einfach nur einer von vielen armen Schluckern, die irgendwo an den Rändern Europas am Existenzminimum leben, einer von denen, die irgendwann keine andere Möglichkeit sehen, als ihr Glück unter widrigsten Bedingungen in der Fremde zu suchen. Austauschbare Schicksale, austauschbare Motive. "Der Albaner" steht stellvertretend für alle illegalen Einwanderer, die in Westeuropa ihr Glück suchen - und seine Geschichte muss erst langsam aus einer anonymen Masse herausgelöst werden.

Zunächst wollte der Regisseur Johannes Naber das europäische Flüchtlingsproblem mit einer Dokumentation beleuchten. Doch dann erschienen ihm die Mittel unzulänglich, die das dokumentarischen Arbeiten erlaubt - ihm ging es darum, sich wirklich in die Perspektive eines Einwanderers hineinzuversetzen. So entschied er sich für einen Spielfilm, dessen Drehbuch er zusammen mit drei Co-Autoren geschrieben hat, mit ausgiebigen Recherchen unterfüttert. Nicht zuletzt half auch die Lebenserfahrung des Hauptdarstellers Nik Xelilaij, der tatsächlich im albanischen Tirana geboren wurde, der sich mit dieser Rolle in die Riege der Shooting Stars katapultiert hat.

Eines Morgens an der griechisch-albanischen Grenze. Arben (Nik Xelilaij), ist einer der Männer, die nach mehreren Wochen harter Tagelöhnerarbeit nach Hause zurückkehren, ins karge Land eines abgelegenen Bergdorfes in Albanien. Von Anfang an geht es da um Geld, das nie reicht, um Scheine, die den Besitzer wechseln, die gezählt und verteilt und für zu wenig befunden wird.

Auch die Liebe ist nur ein Teil dieser Gleichung: Wie Romeo und Julia auf dem Dorfe stehlen sich Arben und seine Flamme Etleva ein paar heimliche Momente hinter dem Haus ihrer Eltern. Sie ist einem anderen versprochen, der als Mitgift die Schulden des Vaters auslösen soll. Mit der astronomischen Summe von 10.000 Euro kann man hier fast alles kaufen, auch die Ehre einer Frau, die vor der Ehe schwanger wurde.

So muss Arben die Schönheit der albanischen Berglandschaft gegen das nasskalte, graue Berlin tauschen, wo ihm eine bittere Erfahrung bevorsteht, ein Wechselbad aus aufkeimender Hoffnung und niederschmetternder Realität. Dabei verzahnt der Film die unaufgeregte Genauigkeit des dokumentarischen Blicks mit der Wucht einer Tragödie, die Schilderung der Missstände im Flüchtlingsmilieu mit den Gefühlen einer großen Liebesgeschichte.

Wenn die Sicherheiten schwinden

Mit unerbittlicher Zwangsläufigkeit werden dem jungen Mann in Berlin die ehrenhaften Absichten ausgetrieben. Schnell wird offensichtlich, dass er mit drei Euro die Stunde für Putzarbeiten keine Chance hat, seine große Liebe freizukaufen. Durch einen polnischen Schicksalsgenossen (gespielt von Ivan Shvedoff, der Erinnerungen aus Hans Christian Schmids thematische verwandten "Lichter" mitbringt) gerät er an eine Schlepperbande um den schmierigen Damir (Stipe Erceg), und dann zwischen die Fronten konkurrierender Gangsterbanden.

Im Sog der kriminellen Existenz nimmt der Film den Drive eines Thrillers auf, ohne darüber jedoch in übertriebene Hektik zu verfallen. Das verhindert schon Nik Xelilaij, der das bisweilen plakativ anmutende Schicksal seiner Figur mit leiser Eindringlichkeit erträgt, immer darauf bedacht, sich anzupassen, nur ja nicht aufzufallen. Und immer bemüht, sich einen Reim zu machen auf die fremde Welt, deren Sprache er nur bruchstückhaft versteht. In seiner Wandlung vom naiven Jungen, der an die Liebe und an das Gute glaubt, zu einem Mann, der mit dem Teufel paktiert, füllt er eine anonyme Silhouette mit Fleisch und Blut, Herz und Gefühl.

Es gehört zu den Qualitäten dieses in Saarbrücken mit dem Max Ophüls-Preis ausgezeichneten Spielfilmdebüts, dass er die Ursachen für den Teufelskreis dieser Flüchtlingsexistenz nicht allein in der deutschen Politik sucht, sondern durchaus auch in den rigiden Traditionen von Familie und Religion in Arbens Heimatland. Wie so oft gilt auch hier, dass die Sicherheiten schwinden, je genauer man die Dinge in den Blick nimmt.

DER ALBANER, D/Albanien 2010 - Regie: Johannes Naber. Buch: Alexander Steimle, Johannes Naber, Christoph Silber, Andeta Spahivogli. Kamera: Sten Mende. Musik: Oliver Biehler. Mit: Nik Xhelilaj, Stipe Ercig, Xhejlane Terbunia. Verleih: Zorro Film, 105 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2011/cris
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