Der Schüler Daniel Brühl hasste es, wenn Lehrer Schmitz sanfte Klapse in den Nacken austeilt, versehen mit einem unsinnigen "Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen". Irgendwann während der Stillarbeit überkam es ihn, er stand auf und ging nach vorne. "Der hatte so einen ganz weichen, einladenden Nacken."
Daniel Brühl verschätzt sich, schlägt fester zu als er wollte und sagt dann noch das verhasste Sprüchlein auf. Im Kölner Dreikönigsgymnasium musste der junge Brühl den Rest der Stunde vor der Klassenzimmertür verbringen und die Klinke gedrückt halten. Im altehrwürdigen Braunschweiger Martino-Katharineum hätte es dafür mindestens 30 Tatzen gegeben.
Wenn der Schauspieler an einem Berliner Winternachmittag so freimütig über seine Zeit im Gymnasium plaudert, dann, weil er in seinem neuesten Film Der ganz große Traum dorthin zurückkehrt. Der Film basiert auf einer wahren Geschichte; der Geschichte, wie der Fußball nach Deutschland kam.
Als Lehrer Konrad Koch kommt er an jenes Knabengymnasium im Herzogtum Braunschweig. Der junge Lehrer, in Oxford studiert, soll dort - eine Revolution - Englisch unterrichten. Mit Koch treffen Reformpädagogik und englische Ironie auf den strengen Drill der spaßbefreiten deutschen Gesellschaft. "Er bringt in eine festgefahrene, steife Institution einfach frischen Wind", sagt Brühl über Koch. Anfangs weigern sich die guten deutschen Knaben standhaft, die fremde, "barbarische" Sprache zu lernen. "Er muss sich die Gunst der Jungs erkämpfen, genau wie ich als Schauspieler bei den Dreharbeiten."
Koch schafft es schließlich durch Fußballspielen, damals noch völlig unbekannt im Deutschen Reich, die Schüler für seinen Unterricht zu begeistern. Brühl war als Junge selbst nie im Verein, hat ab und an mit Freunden gekickt. Er war immer mehr Fußballfan als -spieler: "Ich war von klein auf fußballfixiert." Seine Klubs: Der 1. FC Köln und der FC Barcelona. In Köln ist er aufgewachsen, in Barcelona "wird definitiv der schönste Fußball auf der ganzen Welt" gespielt.
Im Film lernen die Knaben dank Fußball Fairness und Integrität, doch bei Eltern und Lehrern kommt der Teamsport gar nicht gut an: als "Fußlümmelei" und "englische Krankheit" wird der neue Sport als Bedrohung für die Jugend und das ganze Kaiserreich betrachtet. "Dieses weibische Getrete hat an einer deutschen Schule keinen Platz", sagt Kochs Gegenspieler im Film. Dem bald heißgeliebten Lehrer und seinem Sport droht das Aus am Martino-Katharineum - doch die Schüler setzen sich zur Wehr.
Wie der Zuschauer des Films fühlte sich auch Brühl bei der Lektüre des Drehbuchs sogleich an Der Club der toten Dichter erinnert, Robin Williams spielte darin den fortschrittlichen Lehrer John Keating: "Ich dachte, wenn ich das ansatzweise so hinbekäme, wär das schön." Er hat. Allerdings ist Brühls Koch eher der Kumpel-Lehrer, wie heute der junge Referendar, der sich nach dem Unterricht mit seinen Schülern in der Kneipe trifft. Am schlimmsten, sagt der Schauspieler, waren in seiner eigenen Schulzeit die Lehrer, die den Unterricht "nach Fahrplan" durchgezogen hätten. "Aber ich hatte ein paar Lehrer, das waren Querdenker wie Koch. Denen bin ich besonders dankbar, von denen ist nämlich am meisten hängengeblieben."
"Ich hatte Lust, einen Film mit Kindern zu drehen", sagt Daniel Brühl. "Das hat dann auch großen Spaß gemacht." Der Film sei allerdings auch eine "große Lüge", sagt er: "Viele werden sich in den Kleinen verknallen. Der hat den Hundeblick super drauf", sagt Brühl und grinst. "So putzig ist er aber gar nicht. Das ist der Frechste von allen."
Der Kleine, das ist Adrian Moore. Im Film spielt der 14-Jährige die Rolle des Joost Bornstedt. Joost ist das einzige Arbeiterkind der Klasse, klein und mager, und wird von seinen Mitschülern ständig gemobbt. Beim Fußball erweist er sich als der Geschickteste und findet so seinen Platz in der Klasse.
Die Jungs haben es Brühl spürbar angetan. Für die sei der Dreh ein großes Abenteuer gewesen, sagt Brühl, "wie Schullandheim aber ein bisschen cooler". "Normalerweise habe ich keine Probleme mit dem letzten Drehtag, ich bin da weniger emotional wie andere Schauspieler", sagt er. "Aber dieses Mal war es echt komisch. Ich musste quasi meine Klasse verlassen."
In Brühls alias Kochs Klasse sind alle Rollen verteilt: Neben Außenseiter Joost sind da noch Otto, der dicke, unsportliche Sohn des herrlich kapitalistischen Sportartikelherstellers Schricker (Axel Prahl), die Streber, oder Felix Hartung, der gemeine Anführer, und seine Schergen. Felix ist der Quarterback aus den Highschool-Filmen, der "Can-Man", wie Brühl sagt. Er selbst sei das nie gewesen. "Es war mir wichtig, auch bei Mädchen gut anzukommen und ich war nicht der Football-Spieler." Ihm sei schnell klargeworden, dass die "Laberheinis" auch punkten könnten. So einer war Brühl. "Ich hielt mich für relativ witzig und ich glaube, das war ich tatsächlich auch", sagt er.
Im Film gewinnt am Ende der Teamgeist der Klasse - nicht nur gegen die strenge Schulleitung, sondern auch gegen eine Mannschaft englischer Schüler auf Studienreise.