Süddeutsche Zeitung

Im Kino: "Contagion":Klinisch kalt genießen wir die Katastrophe

Es ist supertödlich und breitet sich in Windeseile aus: Ein heimtückisches Virus bedroht in Steven Soderberghs "Contagion" die Zivilisation. Rasant erzählt, ist der Film ein kluges Virus-Lehrstück. Und doch hat er nur wenig berührende Momente.

Rainer Gansera

Apokalypsen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Als F. W. Murnau in seinem Faust (1926) die verheerende Pestseuche auf das mittelalterliche Europa losließ, taten sich bildgewaltig die Pforten der Finsternis auf, und vier apokalyptische Reiter stürmten auf Pferdegerippen durch die Wolken. In seinem Pandemie-Thriller Contagion entwirft Steven Soderbergh ein wahrhaft apokalyptisches Szenario, aber emotionale Ansteckungsgefahr besteht kaum.

Inspiriert von der Sars-Pandemie 2003 - sie ging kontinentüberschreitend von Südchina aus und forderte etwa tausend Menschenleben - erzählt Contagion von einem besonders hinterhältigen Virus, das sich in der globalisierten Handy-Internet-Flugverkehr-Welt von heute in Windeseile ausbreitet. Es ist supertödlich und mutiert schneller, als man seine DNA in den Labors entschlüsseln kann. Es zerstört nicht nur den physischen, auch den sozialen Körper: Panik in den Metropolen, Chaos, streikende Krankenschwestern, Kriegsrecht, vermüllte Innenstädte, leergefegte Shopping-Malls.

Das MEV-1 genannte Virus vergiftet genau das, was das private und öffentliche Menschenleben ausmacht: Begegnung, Berührung. Es verbietet den Kuss der Teenager, den Händedruck der Begrüßung, das Festhalten an einer Bushaltestange in Tokio, sogar den Griff in die Erdnussschale in einer Bar in London. Erst als weltweit 26 Millionen Menschenleben dahingerafft sind, wird das rettende Serum gefunden. In der Chaostheorie gibt es das nette Bild vom Flügelschlag des Schmetterlings in China, der einen Tornado in Kanada hervorruft. Bei Soderberghs MEV-1-Epidemie wird es zum Horrorbild: der Händedruck in Hongkong, der in exponentiellen Berührungskettenreaktionen zur Globalkatastrophe flattert.

Hübsch wird die Story in Gang gesetzt: Gwyneth Paltrow, strahlende Eleganz wie eh und je, als Glücksfee. Als Geschäftsreisende Beth haucht sie ein Good-Luck-Küsschen auf den Spieleinsatz ihres chinesischen Kollegen. Schauplatz: ein Casino in Hongkong. Auf ihrem Rückflug zu Ehemann Mitch (Matt Damon) und Kindern in Minnesota macht sie in Chicago Zwischenstation, wo sie erste Anzeichen einer Grippe zeigt. Wenig später liegt sie zu Hause verkrümmt auf dem Küchenboden, Schaum vor dem Mund, mit epileptischen Zuckungen. Rasant und effizient kann Soderbergh erzählen, wie sich die Epidemie ausbreitet, wie die Gegenmaßnahmen vom Center for Disease Control in Atlanta und von der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf organisiert werden. Er hat das weit wuchernde Geflecht der Erzählstränge fest im Griff, und doch gelingt es ihm kaum, wirkliche Anteilnahme hervorzurufen.

Liegt es an seinem klinischen Blick? Daran, dass ihn der Kampf der Systeme - System Virus versus System Wissenschaft & Politik - mehr interessiert als die nähere Berührung mit Menschenschicksalen? Vielleicht liegt es auch daran, dass wir eine Wahrnehmungsblockade im Angesicht des Schreckens haben. Wie Beths Ehemann, als er in der Klinik vom Tod seiner Frau erfährt. Solche subtilen Momentaufnahmen kann Soderbergh fein zeichnen. Woher aber rührt die Kälte seines Gesamtgemäldes?

Gewiss: er will nüchtern wie bei einer quasidokumentarischen Chronik erzählen und sein hochkarätiges Starensemble in Figuren stecken, die niemals bigger than life erscheinen sollen, sein Katastrophenszenario nicht à la Michael Bay als Armageddon-Knalleffekt-Show ausmalen und auch Sentimentalitäten à la Spielberg - der seine Katastrophen immer mit rührenden Vater-Sohn-Geschichten zuckert - vermeiden.

Zur Crux wird Soderbergh, dass er ein braves, obrigkeitsgläubiges Lehrstück in Szene setzt. Gefährlicher als der MEV-1-Virus ist ihm der soziale Virus der Angst-Panik. So gerät Contagion unversehens zum Loblieb auf das CDC, als wolle Soderbergh einem katastrophengebeutelten Amerika sagen: bei allem Vertrauensverlust in die Politik ist doch dort, wo die Wissenschaft ins Spiel kommt, alles in Ordnung, und von dort her wird wieder Ordnung geschaffen. Es gibt heldenmütige Wissenschaftler, die Verfahrensregeln nur brechen, um im riskanten Selbstversuch schneller an den Impfstoff zu kommen. Es gibt die opferbereiten Soldaten, die sich tapfer in Quarantänezonen des Outbreak-Szenarios begeben, um das Chaos einzudämmen.

Bezeichnend, dass ein Internet-Blogger (Jude Law mit defekten Zähnen und australischem Dialekt) als Inbild des demagogischen Bösen karikiert wird. Er gibt vor, für Meinungsfreiheit zu kämpfen, und verbreitet windige Verschwörungstheorien, beschuldigt Regierung und Pharmaindustrie der Komplizenschaft bei der Verhinderung homöopathischer Heilmittel. Warum desavouiert Soderbergh mit diesem Blogger derart krass das Internet, das bekanntlich in Krisensituationen eine Sphäre legitimer und wichtiger Gegeninformationen sein kann? Bei der Sars-Epidemie 2003 zensierten die chinesischen Behörden lange Zeit alle Presseberichte - eine Gegeninformation per Internet wäre lebensrettend gewesen.

Selbst Gwyneth Paltrows Beth entpuppt sich als eine Art Bösewichtin. Sie hat nicht nur den verhängnisvollen Keim in die USA eingeschleppt, sie outet sich auch bei einem Flirt-Telefonat in Chicago als Ehebrecherin. Wie zur Strafe wird ihr die gruseligste Szene des Films zuteil: wenn die Pathologen bei der Obduktion ihres Leichnams sie geradewegs skalpieren. Beth ist keine Glücksfee, sondern der ehebrecherische Todesengel, Vorreiterin einer Apokalypse, die freilich durch eine kompetente Kombination von Wissenschaft, Politik und Militär gebändigt werden kann.

Regie, Kamera: Steven Soderbergh. Buch: Scott Z. Burns. Musik: Cliff Martinez. Mit: Marion Cotillard, Matt Damon, Laurence Fishburne, Jude Law, Gwyneth Paltrow, Kate Winslet, Bryan Cranston, Jennifer Ehle, Chin Han, John Hawkes, Sanaa Lathan, Elliott Gould. Warner Bros., 106 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1168912
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.10.2011/anbo/gr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.