Im Kino: "Catch Me If You Can":Der Star-Treck

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Eine Lektion in filmischer Großzügigkeit - Steven Spielbergs "Catch Me If You Can"

FRITZ GÖTTLER

Ein Dollarschein flutscht unter der geschlossenen Tür durch - es weht ein leiser Luftzug durch das große Haus, in dem vornehmen Viertel der Stadt New Orleans. Er tänzelt über dem Fußboden, zieht lässig hoch und züngelt dem gehetzten FBI-Mann unter der Nase herum, in einer Mischung aus Verlockung und Spott. Ein Versprechen, dass allerhand sich tut jenseits dieser Tür, dass alles möglich ist, durch Überschuss, im Überschwang. Es geht um Triebe und Träume, wie immer bei Spielberg, und darum, wie schwer sie zu befriedigen sind, auch wenn man die nötigen Mittel dafür hat.

wenn die drei zusammen kommen, ist Erfolg garantiert: Leonardo DiCaprio (l), Steven Spielberg (M) und Tom Hanks. (Foto: SZ v. 29.01.2003)

Ein Verlobungsabend: die Staatsanwaltstochter Brenda und der neue vielversprechende Mitarbeiter im Büro ihres Vaters. Der tänzelnde Schein vor der Tür des Jungen suggeriert Sorglosigkeit, aber das Geld, das er gehortet hat - zwei Koffer, voll gestopft mit Dollars - ist erschwindelt, und man weiß noch nicht, wie ernst die Versprechungen sind, die er seiner Braut in aller Eile macht.

Der Tanz des Dollars, das ist ein kleiner erotischer Moment in einem ansonsten sehr züchtigen Film. Steven Spielberg hat die Geschichte von Frank Abagnale Jr. verfilmt, eine wahre Geschichte, die ihre Authentizität ganz aus ihrer Unglaublichkeit bezieht. Mit einer Leichtigkeit ist der Teenager Frank in den Sechzigern durch Amerika gezogen - in allen fünfzig Staaten, heißt es, habe er genächtigt -, hat gefälschte Schecks eingelöst und ist in seiner schmucken PanAm-Uniform kostenlos mitgeflogen, hat ein Jahr in einem Hospital als Arzt gewirkt. Vom FBI verfolgt floh er nach Frankreich, wurde ausgeliefert, hat sein Wissen schließlich dem FBI und diversen Firmen zur Verfügung gestellt und ist so nochmal Millionär geworden.

Betrug gehört zum American way of life, er liefert den Swing in der neuen Ökonomie, und Spielberg skizziert seine Geburt aus dem Geiste des Scheckbetrugs. Wo man sich verkaufen muss, täglich, darf man die Grenze nicht wahrnehmen lassen zwischen dem Sein und dem Schein. Vom Vater hat der junge Frank diese Lektion gelernt, auf die wunderliche Beziehung zwischen Frank Sen. und Jr. konzentriert sich der Film, auf das herrliche Paar Christopher Walken und Leonardo DiCaprio. Vom Vater hat der junge Frank auch die Parabel mitbekommen von den beiden Fröschen in der Rahmschüssel - der eine säuft resigniert ab, der andere strampelt, bis er Butter unter den Füßen spürt. Dem Vater aber hilft das Strampeln nichts, er kriegt zwar eine Ehrennadel des Rotary-Clubs, aber dann verweigert ihm die größte Bank der Welt in New York schnöde einen Kredit, den er dringend bräuchte in seinen Querelen mit der Steuerbehörde.

Noch leuchtet New Rochelle, selbst in dem engen Appartement, und die kleine Familie scheint in ihr Glück zu tanzen, der Vater und der Sohn, strahlend vereint in Partnerschaft und Konkurrenz. Aber dann taucht ein anderer Mann auf, es gibt eine Scheidung, wie ein Gespenst aus der Vergangenheit steht die französische Großmutter im Raum. Und der Sohn soll niederschreiben, bei welchem der beiden er bleiben mag. Aus der Verzweiflung und dem Wunsch nach Wiederversöhnung wird er zum Betrüger, aus der Weigerung, einen Namen zu fixieren, wird er falsche Namen angeben, fremde Identitäten annehmen. Wiedergutmachung, Rache, Ohnmachtsgefühl?

Ein Gaunerstück, die Bekenntnisse eines transkontinentalen Hochstaplers - aber auch eine kleine amerikanische Tragödie. Ein Film des Übergangs, von der Capra-Ära und ihrer Solidarität zum Geist von Tashlin und Doris Day, von der Ära der Handlungsreisenden, mit ihren dunklen Anzügen und Hüten, zu den Piloten, mit ihren maßgeschneiderten Uniformen und Käppchen, die nirgendwo mehr zuhause sind. Seinen Anschauungsunterricht bezieht Frank, wie seinerzeit E.T., aus dem Fernsehen, von Dr. Kildare und Perry Mason, und zwar so fasziniert, dass er maßlos übertreibt, wenn er das in die Praxis umsetzt: Ich bin d'accord ... Im amerikanischen Kino grenzen Komödie und Melodram haarscharf aneinander, und das Hinundher zwischen den beiden Bereichen geht inzwischen bei Spielberg zügig und reibungslos, ohne Quäken und Quietschen. In den Liebesszenen wird entweder mit Schecks oder mit Zahnspangen operiert, und in den Stunden der Verzweiflung ruft Frank - sein persönliches phone home - eben seinen Verfolger an, den FBI-Carl Hanratty, gespielt von Tom Hanks, der ihm in Sachen Einsamkeit ebenbürtig ist.

Die Sechziger filmt Spielberg als eine lost world, amerikanische Prähistorie, wie man sie aus den Glasglocken der properen TV- Shows kennt, und intensiv wird seine Inszenierung vor allem in jenen Momenten, die er einer Hommage an die Nouvelle Vague widmet und den verehrten Truffaut, der für ihn in den "Close Encounters" mitspielte. Ein Regisseur zu werden, der die Frauen liebte, daran hat Spielberg sicher nie gedacht, aber nun hat er als Franks Mutter Nathalie Baye geholt, die zwei Truffaut-Filme illuminierte, und beginnt seinen Film mit einer programmatischen Einstellung, wenn Hanratty Frank abholt in einem Gefängnis in Marseille: Frankreich ist da eine schmuddelige, versiffte Nation, ganz altes Europa, und Frank hockt in einem Loch, zwischen Bastille und Chateau d'If - ein "enfant sauvage", das zottelig, verstört, geduckt in der Zelle kauert, hustend, kaum des Sprechens fähig.

Die Einkerkerung gilt auch der Phantasie. Frank hat keine Träume, die er sich erfüllen könnte mit seinem Geld, und Leos Körper ist so gedrungen, dass die Kleidung der Sechziger sich ihm nicht anschmiegen will. Einmal will er tatsächlich Bond sein, der klassische Connery-Bond im grauen Dreiteiler, und macht eher einen komischen Eindruck. Da ist er seinem Ersatzvater, seinem alter ego Hanratty am nächsten. Auch der hat von Freiheit, von Generosität keine Ahnung mehr. Bevor er einem sein Eclair abgibt, würgt er es lieber selber runter. Die fantastischen Szenen, so erklärte Truffaut seinerzeit den Spielberg-Touch, dreht er realistisch, und die realistischen ganz fantastisch. CATCH ME IF YOU CAN, USA 2002 - Regie: Steven Spielberg. Buch: Jeff Na thanson, nach dem Buch von Frank W. Abagnale Jr. und Stan Redding. Kamera: Janusz Kaminski. Schnitt: Michael Kahn. Musik: John Williams. Mit: Leonardo DiCaprio, Tom Hanks, Christopher Walken, Martin Sheen, Nathalie Baye, Amy Adams. UIP, 141 Minuten.

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