Im Kino: "Burn after Reading":Sanfter Irrsinn

Entspannter geht es nicht: George Clooney, Brad Pitt, John Malkovich und Tilda Swinton dürfen im neuen Film der Coen-Brüder beschränkt, geil und gierig sein.

Tobias Kniebe

Natürlich gibt es eine Menge Gründe, diesen Film zu mögen. Er stammt von den Coen-Brüdern, den amtierenden Oscargewinnern für Regie; er vereint die beiden begehrtesten männlichen Herzensbrecher, Brad Pitt und George Clooney; er lässt Frances McDormand, die Königin der selbstironischen Frauenrollen, wieder einmal wunderbar glänzen; und er ist bis in die kleinste Nebenfigur perfekt besetzt.

Im Kino: "Burn after Reading": Möchtegern-Erpresser Chad (Brad Pitt) will mit Geheimnissen Geld machen, die gar keine sind.

Möchtegern-Erpresser Chad (Brad Pitt) will mit Geheimnissen Geld machen, die gar keine sind.

(Foto: Foto: Tobis Film)

All das sind aber natürlich eher äußerliche Argumente. In Wahrheit reichen bereits winzige Augenblicke in "Burn After Reading", um den Geist für Tage zu beschäftigen und zu erfreuen, und das ist mehr, als man vom Kino üblicherweise erwarten kann.

Der Augenblick zum Beispiel, wo Tilda Swinton, mit Gesichtsmaske, im Bett, knallhart, ihren Mann John Malkovich fragt, warum um alles in der Welt er seinen Job beim Geheimdienst CIA verloren habe - und was zum Teufel er jetzt zu tun gedenke. Ich könnte ins Beratungsgeschäft einsteigen, sagt der. Beratungsgeschäft? Ja, und eigentlich wollte ich auch schon immer schreiben. Schreiben? Bitte was denn? Nun ja, ein Buch, eine Form von - und hier bitte das allerblasierteste Malkovich-Französisch à la "Liaisons dangereuses" zuschalten - eine Art mémoire.

Ein unwiederholbarer Laut

Da schaut sie ihn eine Sekunde lang fassungslos an, und dann gibt sie einen Laut von sich, der wohl ein Lachen sein soll, aber so klingt, als habe hier jemand zehn Jahre Verachtung zu einem trockenen, tonlosen Luftstoß zusammengepresst. Ein großartiger, unwiederholbarer Laut, der praktisch allein schon den Eintrittspreis - allerdings bitte in der Originalfassung! - wert ist.

Oder diese Szene, wo Frances McDormand, weitgehend nackt, mit ihrem Schönheitschirurgen redet, während der mit dem Filzstift "Problemzonen" auf ihre Haut zeichnet: Ein bisschen Hühnerfett am Hinterteil... und an den Oberarmen... ein kleiner Einschnitt hier, für die Brustvergrößerung... Frage: Was ist im Hüftbereich? Nun, also, der Hüftbereich würde ja noch auf Training reagieren... Ganz abgesehen von der Chuzpe, dass Joel Coen hier die Frau filmt, mit der er verheiratet ist - oder doch mindestens ein nicht mehr ganz junges, nicht mehr ganz schlankes Körperdouble, das der Zuschauer für diese Frau halten muss - rührt diese Szene durch den Optimismus, mit dem McDormands Figur Linda an die Verbesserung ihres Lebens glaubt durch Prozeduren, die sie sich gar nicht leisten kann.

Und dann wird das alles noch einmal weitergedreht, hinein in den sanften, einzigartigen Irrsinn der Coens: Als der Doktor von "beginnenden Krähenfüßen" spricht, ruft Linda wie von Sinnen: "Babykrähenfüße! Minikükenfüße! Chickiechickiechickie!"

So ließe sich noch länger weitermachen. "Burn After Reading" ist voll neuer Lieblingsmomente, während die Handlung - sagen wir es so: Es kommt nicht wirklich darauf an.

Nichts als pompöser Quatsch

McDormand spielt die Angestellte eines Fitnessstudios, ihr bester Freund ist ein Trainer namens Chad (Brad Pitt). Gemeinsam finden sie im Umkleideraum eine Disk mit den geplanten Memoiren des eingangs gefeuerten CIA-Agenten Ozzie (Malkovich) und kommen zu dem Schluss, das Ganze sei so brisant, dass es etwas wert sein könnte: Finderlohn könnte es von Ozzie geben, oder, man muss ja offen sein, auch von der russischen Botschaft.

Nur wissen die beiden halt nicht, dass diese Memoiren nichts als pompöser Quatsch sind, und dass Ozzie sowieso nur Geheimhaltungsklasse 3 hatte, was gemessen am Schulterzucken seiner Ex-Chefs eine eher lächerliche Geheimhaltungsklasse ist. Mit anderen Worten: Dies ist ein Film, der um ein großes Nichts kreist.

Nur dann erschießt der eher dämliche Personenschützer Harry (George Clooney) aus Versehen den Möchtegern-Erpresser Chad bei einem Einbruchsversuch - als dieser noch mehr Geheimnisse klauen will, die gar keine sind.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie der Film zu einer Art Verteidigung der Nutzlosigkeit wird.

Sanfter Irrsinn

Und weil die Coen-Brüder einige der Figuren auch noch anderweitig verbandelt haben - "alle scheinen hier mit allen zu schlafen", bemerkt ein neutraler Beobachter -, gibt es weitere Opfer zu beklagen, die wiederum sinnlos sterben oder zumindest bis nach Venezuela fliehen müssen.

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Jeder schläft hier irgendwie mit jedem: George Clooney und Tilda Swinton kennen sich schon aus "Michael Clayton".

(Foto: Foto: ddp)

Linda zum Beispiel kommt schließlich nur deshalb davon, weil man die ganzen Verwicklungen höheren Orts nicht mehr erklären kann und schon der Versuch weit aufwendiger wäre, als ihr ein schnelles Schweigegeld für die gewünschten Schönheitsoperationen zu bezahlen. Kurz gesagt: Dies ist ein Film, der um ein großes Nichts kreist, und das auch noch auf höchst komplizierte Weise.

Nun sind die Coen-Brüder nicht immer so ernst und themenschwer wie zuletzt beim oscargeadelten "No Country For Old Men", wo sie einen fremden, ziemlich mythischen Western-Stoff von Cormac McCarthy adaptiert haben.

Disziplin ist gleich Langeweile

So leicht wie hier sind sie aber auch selten: Selbst den ultraentspannten "Big Lebowski" konnte man noch als Feier der wahren Freundschaft interpretieren; und der frostzerbissene "Fargo" handelte im Kern vom Triumph weiblicher Selbstbehauptungskräfte.

Vergleichbar wertvolle Botenstoffe transportiert "Burn After Reading" nicht, keine Figur erhebt sich hier nennenswert über die eigene Beschränktheit, Geilheit oder Gier. Ganz nett, aber letztlich doch ohne Herz und Sinn, das war auch der kritische Konsens aus Venedig, wo der Film das Festival eröffnet hat - fast so, als könnte der Titel auch "Burn After Viewing" lauten.

So einfach ist es aber nicht: In ihren besten Momenten haben sich Joel und Ethan Coen schon immer geweigert, ihre Imagination einfach nur in den Dienst einer guten Sache, eines schlüssigen Plots, einer klaren Botschaft zu stellen: Disziplin ist gleich Langeweile ist gleich All-der-Quatsch-den-wir-nicht-mehr-sehen-können.

So kommt, um in einem Bild aus "Lebowski" zu bleiben, in jedem ihrer Filme der Moment, wo sie das bisher Erreichte zu nerven beginnt, wo sie kurz auf einen fliegenden Teppich steigen und auf einen Trip gehen müssen, der mit dem Rest der Geschichte gar nichts zu tun hat.

In diesen Szenen wirken sie wie befreit, auf magische Weise eins mit ihrer überbordenden Vorstellungskraft, und genau diese Freiheit spürt man nun auch in "Burn After Reading" permanent.

So wird der Film eine Art Verteidigung der Nutzlosigkeit: der Selbstzweck heiligt hier die Mittel, und als Miniaturen der liebevollen Genauigkeit und erschreckend präzisen Beobachtungsgabe stehen viele Szenen ganz für sich allein. Das letzte Wort soll deshalb Chad haben, der große Einfaltspinsel mit den blondierten Strähnen: Dies ist wirklich brisanter Shit.

Burn after reading, USA 2008 - Buch, Regie: Joel Coen, Ethan Coen. Kamera: Emmanuel Lubezki. Mit George Clooney, Frances McDormand, Brad Pitt, John Malkovich, Tilda Swinton, Richard Jenkins. Tobis, 96 Minuten.

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