Im Kino: Brüno:Wie Bully Herbig mit Dildo

Egozentrik, Dämlichkeit, steinzeitliche Schwulenwitzklischees: Eigentlich will Komiker Sacha Baron Cohen der US-Gesellschaft den Spiegel vorhalten - mit "Brüno" klappt das nicht so richtig.

Tobias Kniebe

Im Augenblick kann man ihm wieder kaum entkommen, dem britischen Komiker Sacha Baron Cohen. Im rosa Ganzkörperstrumpf inklusive Baumwollpenis vor dem Brandenburger Tor, als Reiter auf einem silbernen Panzerrohr in Hollywood, und natürlich mit dem Hintern im Gesicht des Rappers Eminem bei den MTV Movie Awards. Da strampelt sich einer ab in der brutalstmöglichen Ökonomie der Aufmerksamkeiten, will dem natürlichen Wahnsinn von Michael, Britney oder Paris inszenatorisch noch etwas entgegenhalten, muss trommeln für seine Figur "Brüno" und den dazugehörigen Film, der diese Woche anläuft. Sobald aber Wacko Jacko stirbt, wirkt Cohen wie ein recht verzweifelter Nebendarsteller.

bruno sacha baron cohen kino

"Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber ich bin homosexuell": Sacha Baron Cohen als "Brüno".

(Foto: Foto: Filmverleih)

Wobei er neben dem Masterplan, schlicht der durchgeknallteste und berühmteste Komiker der Gegenwart zu werden, noch wesentlich interessantere Ambitionen verfolgt. Zumindest bisher. Seit seinen Fernsehanfängen ist er äußerst erfolgreich darin, möglichst vollständig hinter diversen Bühnenpersönlichkeiten zu verschwinden: Ali G., der Möchtegern-Gangsterrapper aus dem englischen Mittelstand, Borat, der erlebnishungrige, antisemitische und frauenverachtende Reporter aus Kasachstan, und Brüno, der oberschwule österreichische Modejournalist - sie stammen alle aus seinen Fernsehanfängen, haben dann der Reihe nach den Weg nach Hollywood und in den Spielfilm gefunden.

Das Prinzip war dabei stehts dasselbe: Aus dem jeweils erstaunlich geschlossenen Weltbild und der akribisch ausgearbeiteten "Backstory" dieser Figuren lassen sich nicht nur Gags in nahezu jeder Situation generieren - siehe dazu auch das praktisch unübersetzbare Brüno-"Interview", das Cohens Autorenteam für die SZ verfasst hat. Diese Figuren wurden, in einer erstaunlichen Variante des Method Acting, auch auf die Wirklichkeit und damit auf das Unvorhersehbare losgelassen.

In dem Moment, wo Sacha Baron Cohen beispielsweise als "Borat" durch Amerika reiste, trug er nicht nur immer denselben, nie gewaschenen, übel stinkenden Anzug. Er hatte auch die Lebensgeschichte der Figur komplett internalisiert, mehr als fünfhundert Seiten mit Detailinformationen, vom ersten Sex bis zum letzten Verwandten, und keine Panne konnte seine Konzentration erschüttern. Schockte er eine amerikanische Familie etwa damit, seine Notdurft in eine Plastiktüte zu verrichten, mussten sogar echte Fäkalien in dieser Tüte sein.

Unschuldsferkel aus Kasachstan

Aus diesem Konzept entstanden dann, besonders im Fall des "Borat"-Kinofilms, große, sogar bahnbrechende Momente. Scheinbar ganz normale amerikanische Autoverkäufer, Waffenhändler und Gesellschaftsdamen überwanden den Schock, diesem Wesen von einem anderen, schmutzigen Stern gegenüberzutreten - und fingen ihrerseits an, lockerzulassen. Finstere Rassismen, Sexismen und Vorurteile kamen zu Tage. Das Unschuldsferkel aus Kasachstan, das mit sich selbst so völlig im Reinen schien, lud andere dazu ein, die Maske fallen und die Sau rauszulassen. Na bitte, jubelten nicht nur die Feuilletons - endlich mal wieder ein aufklärerisches Projekt! Ähnliches, nur noch viel besser, erwartet man jetzt natürlich von "Brüno".

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Sacha Baron Cohen ein mutiger Künstler ist.

Entblößende Bilder

Womit auch das Problem benannt ist. Ganz gleich, wie schrill oder lächerlich Brüno agiert - er ist eben doch nur eine Figur, die alles tut, sobald eine Kamera läuft, die um jeden Preis berühmt werden will. Das ist auch im neuen Film seine ganze Geschichte. Solche Wesen verstopfen aber ohnehin jeden Medienkanal; keine Chance also auf den Clash der Kulturen, der mit Borat noch möglich war.

Bleiben zwei Zielrichtungen der Entlarvung: Einmal kann Brüno Menschen zum Reden bringen, die noch viel verzweifelter ins Showbusiness drängen als er selbst. Schockierend zum Beispiel bei einer Mutter, die ihr Baby für eine Fotoproduktion anpreist und selbst die perversesten Forderungen, die Brüno stellt, akzeptiert - etwa die Bedingung, ihr 15 Kilo schweres Kind müsse in zwei Wochen abnehmen, um ein Drittel seines Gewichts. Dabei hat sie Tränen in den Augen, will sich aber nichts anmerken lassen. Wie immer bei Cohen greifen Realität und Inszenierung unentwirrbar ineinander. Man kann es also nicht wissen, aber - das hier wirkt echt.

Alles Fake?

Nur fragt man sich, ob Cohen hier noch der realen Grausamkeit Hollywoods auf der Spur ist - oder ob er längst eigene Grausamkeiten schafft, um das zu bekommen, was für ihn am wertvollsten ist: Bilder, die in der Entblößung von Menschen so weit gehen, dass sie kaum inszeniert sein können.

Denn das ist der ultimative Preis, dem er in all seinen Unternehmungen nachjagt: Weniger der Enthüllung von Bigotterie und Beschränktheit - dass es die zur Genüge gibt, weiß man ja; sondern Augenblicke der reinen Evidenz auf Film zu bannen, die den Generalverdacht unserer Zeit, dass ohnehin alles Fake sei, widerlegen - einfach, indem man sie ansieht und weiß, dass man hier die Wahrheit sieht.

Den Menschen, die dabei vorgeführt werden - und die natürlich alles tun würden, diese Bilder ungeschehen zu machen - darf dabei auch juristisch keine Einspruchsmöglichkeit mehr bleiben. Ein grausames Verfahren, keine Frage. Man könnte aber argumentieren, dass diese Grausamkeit der einzige Weg ist, den undurchdringlichen Schutzschild unserer Fake-Kultur noch zu durchschlagen. Was vielleicht sogar ehrenwert wäre - wenn man denn wüsste, wozu.

Bei Borat war diese Frage klar: Die USA, die an der Feier der eigenen Beschränktheit gerade zu ersticken drohten, waren für den ganzen Planeten zur Gefahr geworden - dazu war "Borat" das schärfste denkbare Gegengift. Sieht Sacha Baron Cohen ähnliche Gefahren in den Exzessen der Celebrity-Kultur? Sicher nicht.

Bleibt als zweites Motiv die immer noch real existierende Schwulenfeindlichkeit. Das ist von der Dimension her nicht ganz dasselbe, aber gut: Es führt immerhin zu einer starken Szene am Ende des neuen Films. Da hat sich Brüno als bärtiger, schwulenfeindlicher Wrestling-Champion in Arkansas getarnt, er hetzt die Massen auf, seine Zuschauer: ganz realer, hinterwäldlerischer, hasserfüllter weißer Trash. Dann steigt ein Schauspieler zu Brüno in den Drahtkäfig, nach kurzem Kampf fallen die beiden Männer übereinander her, sich heftig küssend, entkleidend, auf dem Boden wälzend. Und jenseits des Maschendrahts bricht wirklich die Hölle los: Muskulöse Biertrinker haben Tränen des Unglaubens und Entsetzens in den Augen, Frauen rufen zum Mord auf, Müll und Hassworte fliegen, schließlich Stühle. Und wieder weiß man: Das ist echt. Hier filmen gleich mehrere Kameras einen potentiellen Lynchmob. Und ja, Sacha Baron Cohen ist zweifellos auch ein mutiger Künstler.

Das Ding ist nur: Auch wenn dies vielleicht der gewaltigste Moment der Wahrheit ist, den er bisher einfangen konnte - so scheint Cohen hier doch an ein Ende gekommen zu sein, der eigenen Methode nicht mehr zu trauen. Denn bis "Brüno" zu diesem Finale kommt, muss man jede Menge zweitklassige Inszenierung durchstehen, die immergleichen, pseudoschwulen Extravaganzen und Analsexwitze, die jetzt auch die PR-Tour prägen.

Egozentrik, Dämlichkeit und kriminelle Oberflächlichkeit der Hauptfigur sind steinzeitliche Schwulenwitzklischees, dazu kommen dann explizite Sexspiele - man denke an Bully Herbig mit einem Dildo im Hintern. Am Ende funktioniert das wie eine Art unfreiwilliger Test: Wer durch diese Tortur bis zur sehenswerten Katharsis des Endes vordringt, ohne unüberwindliche Hassgefühle gegen den Protagonisten zu entwickeln, sollte am Ausgang des Kinos mit einem rosa Anstecker in Penisform belohnt werden - für gelebte Toleranz.

BRÜNO, USA 2009 - Regie: Larry Charles. Buch: Sacha Baron Cohen, Dan Mazer, Anthony Hines, Jeff Schaffer. Kamera: Anthony Hardwick, Wolfgang Held. Mit Sacha Baroon Cohen, Gustaf Hammarsten, Clifford Bañagale. Verleih: Universal, 83 Minuten.

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