Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Biutiful:Des Schlechten zu viel

Javier Bardem spielt im Elendsepos "Biutiful" einen schwerkranken Familienvater, der Tote flüstern hört. Es stellt sich vor allem eine Frage: Sind in Barcelona alle Menschen grau?

Susan Vahabzadeh

Uxbal lebt in einer Welt, in der alles schrecklich ist; nur der Tod ist von bizarrer Schönheit, ruhig und magisch. Uxbal kann Kontakt aufnehmen zu den Seelen Verstorbener, kurz bevor sie gehen können, er ist der Mittelsmann, dem sie noch sagen können, was sie im Leben nicht losgeworden sind. Er wird zu drei toten Kindern gerufen am Anfang von Biutiful, - das ist ein Wispern, das man kaum versteht, keine pompöse Geistererscheinung. Danach wird er ins Krankenhaus gehen und sich dem stellen, was er wohl schon länger ahnt, der Gewissheit, dass er selbst sterben wird - aber schon in dem Moment, wo er in dem stillen Raum sitzt und die Kinder betrachtet, ist im Gesicht von Javier Bardem, der Uxbal spielt, die Seelenpein der ganzen Welt zu sehen.

Biutiful ist der neue Film des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñrárritu, der 21 Grams mit Sean Penn gemacht hat und Babel mit Cate Blanchett und Brad Pitt. Uxbal hat zwei Kinder, mit denen er allein lebt - die Mutter ist eine entsetzliche Nervensäge, nur lernt man bald dazu, dass sie dafür nichts kann, sie ist bipolar. Uxbal versucht, Ordnung zu hinterlassen am Ende eines ungeordneten Lebens - er verdient sein Geld mit der Vermittlung illegaler Einwanderer an Baufirmen, ständig steht er mit einem Bein im Knast. Aber er möchte ein guter Vater sein, so gut, wie er eben kann. Wie schreibt man beautiful, fragt ihn seine kleine Tochter, und Uxbal sagt: So wie man es spricht.

Uxbal zieht, als klar ist, dass er nur noch ein paar Wochen Zeit hat, mit den Kindern noch einmal zu seiner Frau, in der Hoffnung, die Dinge ins Reine zu bringen. Aber es ist vollkommen klar, die Kinder wären ihren Ausbrüchen, ihrer überbordenden, erstickenden Liebe abwechselnd mit Misshandlung schutzlos ausgeliefert. Und er hat keinen, dem er wirklich trauen könnte - schließlich gibt er einer Afrikanerin, einer illegalen Arbeiterin Geld, damit sie die Kinder noch eine Weile bei sich behält nach seinem Tod - ein aussichtsloser, letzter Versuch, für sie zu sorgen.

Man kann vielleicht ein religiöses Motiv in diese Geschichte hineinprojizieren, in Uxbals Opferbereitschaft, den Glauben an ein Jenseits - aber eigentlich kann hier kein Gott sein, und Uxbals Kontakt mit dem Totenreich hat nichts Tröstliches. Wie Iñárritu die Begegnungen mit den Toten inszeniert hat - das ist wahrhaft biutiful. Ganz subtil, mit Wispern und aus dem Augenwinkel heraus ... Einmal, als er in einem Raum ist, in dem mehrere Menschen gestorben sind, die er kannte, da sieht man, nur für einen ganz kurzen Moment, am Bildrand, die Seelen an der Decke.

Das ist eine schöne Idee, diese unruhigen Toten, die kein erlösendes Licht gesehen haben, die auf der anderen Seite nichts gefunden haben, was es ihnen leichter machen würde, ihre Existenz herzugeben. So eine Geistergeschichte muss man inszenieren können - und spielen. Und Bardem, der für Biutiful für einen Oscar nominiert war, ist so ziemlich der grandioseste Schauspieler, den das europäische Kino Hollywood entgegenzusetzen hat - man sah das schon bei Woody Allen in Vicky Cristina Barcelona, wo Bardem und Penélope Cruz den amerikanischen Cast, allen voran Scarlett Johansson, einfach an die Wand spielen. Was Bardem in Biutiful macht - das ist zum Weinen schön. Lakonisch, zielstrebig, ohne eine Geste zuviel, manchmal liegt aller Ausdruck nur in seinen Augen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Alejandro González Iñrárritu regelmäßig mit der Darstellung des Elends übernimmt.

Nur ist Uxbals Sterben erst der Anfang der Misere, es gesellen sich ja im Verlauf der Geschichte noch das Elend der Illegalen, zwei schwule chinesische Ausbeuter und die Erinnerung an Uxbals auf der Flucht vor Franco verstorbenen Vater dazu. Iñárritu überfrachtet seine Filme mit Elend, bis alles, was daran schön sein könnte - seine Schauspielführung beispielsweise, ein Gefühl für Szenen, die mit weniger Takt in den Kitsch kippen würden - unter Unrat begraben ist. Babel konnte eben nicht nur ein Film sein über Touristen und Terroristen, über eine zerbrechende Ehe im arabischen Niemandsland.

Die Story über die Konfrontation eines amerikanischen Paares mit dem Drama einer arabischen Familie, deren kleiner Sohn mit einem Gewehr auf eine ihm unbekannte amerikanische Frau geschossen hat, das ist ja schon ziemlich viel. Aber Iñárritu musste auch noch die Ausbeutung mexikanischer Einwanderer in den USA dazu kleistern und reiche Japaner und ihre durchdrehenden Kinder - als arbeite er am großen Epos vom Weltelend. Und das ist, seiner Talente zum Trotz, dann doch regelmäßig zu viel für ihn.

Vielleicht wird in Biutiful besonders gut sichtbar, wie maßlos er übertreibt, weil er die Geschichte auch noch nach Europa verlegt hat - diese kalte Welt ohne Sonne, das entsetzliche Elendsviertel, in dem die Armut und der Dreck an allen Hauswänden zu kleben scheinen und alle Gesichter verzerren, befindet sich in Barcelona. Sind in Barcelona alle Menschen grau? Am Anfang streitet Bardem mit einer Krankenschwester über die genaue Herkunft einer Spritze, als hätte die Zivilisation spanische Krankenhäuser noch nicht erreicht, und damit ist der Ton gesetzt.

Uxbal lebt sein Leben zuende, als gäbe es in Barcelona keine Haftverschonung und kein Jugendamt und nur die Kriminalität sichert ihm die heruntergekommene Wohnung und die kargen Mahlzeiten, die er seinen Kindern serviert. Man will es dann irgendwann nicht mehr sehen - denn eigentlich führt das, was Iñárritu hier zusammendichtet, nirgendwohin, es klingt eher irgendwann aus.

So ist Biutiful nicht nur irgendwann des Schlechten zuviel - die Story verheddert sich in viel zu vielen Unglaubwürdigkeiten, die auch einer wie Javier Bardem nicht überspielen kann. Eigentlich ist Uxbal zu beneiden - es sind ihm am Ende des Films so viele Gruselgestalten und so viele unlösbare Probleme begegnet, dass der Tod eine echte Erlösung sein muss. Aber das ist wahrscheinlich nicht die Geschichte, die Iñárritu erzählen wollte.

BIUTIFUL, Mexiko/Spanien 2010 - Regie: Alejandro González Iñárritu. Drehbuch: Iñárritu, Armando Bo und Nicolás Giacobone. Kamera: Rodrigo Prieto. Schnitt: Stephen Mirrione. Musik: Gustavo Santaolalla. Mit: Javier Bardem, Maricel Álvarez, Eduard Fernández, Diaryatou Daff. Prokino, 148 Minuten

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SZ vom 10.03.2011/kar
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