Im Kino: "Benjamin Button":Junge, komm bald wieder!

Benjamin wächst im Altersheim auf - und wird immer jünger: "Der seltsame Fall des Benjamin Button" mit Cate Blanchett und Brad Pitt ist für 13 Oscars nominiert - und hätte jeden verdient.

S. Vahabzadeh

Es gibt so etwas wie die Schönheit des Verfalls. Ein Phänomen, das Häuser, Menschen, Dinge erst durch die Verletzungen verzaubert, die die Zeit ihnen zufügt; das alles Unversehrte tot wirken und Lebendigkeit nur dort spüren lässt, wo Bewegung noch zu erkennen ist. "Der seltsame Fall des Benjamin Button" ist ein Südstaatenepos, angesiedelt zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Anfang jenes Heulens, aus dem Katrina, der Wirbelsturm, werden soll. New Orleans zu erwählen als Ort für diese Geschichte, das war eine weise Entscheidung. Sie passt dazu, eine wunderschöne, alte Stadt, wie alles Lebendige dem Untergang geweiht.

Im Kino: "Benjamin Button": Für kurze Zeit sind sie gleich alt: Daisy (Cate Blanchett) und Benjamin Button (Brad Pitt).

Für kurze Zeit sind sie gleich alt: Daisy (Cate Blanchett) und Benjamin Button (Brad Pitt).

(Foto: Foto: ddp)

Der Geburt des seltsamen Benjamin Button geht eine Geste der Trauer der voraus. Ein Mann hat, als sein Sohn nicht aus dem Krieg zurückkehrt, die Vergangenheit zurückgefordert und im Bahnhof von New Orleans eine Uhr aufgehängt, die rückwärts geht. Und dann kommt Benjamin (Brad Pitt) zur Welt, ein Greis, der immer jünger werden wird, bis er eines Tages endlich ein Kind ist. Ein ganz und gar fremdes Konzept steckt in dieser Figur, eine Unschuld des Alters.

Benjamin wächst in einem Altersheim auf, verliert seine ersten Freunde schnell. Er lernt dort die Enkelin einer Heimbewohnerin kennen, seine große Liebe, die Daisy heißt wie die Liebe von Gatsby. Sie wird den altersanfälligsten Beruf von allen ergreifen - Ballerina. Beide sind Kinder zu Beginn. Er gefangen im alten Körper, sie ein altkluger Fratz; wie sie einander immer wieder begegnen, bis sie endlich ein paar Jahre lang im selben Alter sind und unbeschwert zusammen sein können - in den Sechzigern, ausgerechnet! - das ist der Kern der Geschichte. Wir erfahren sie aus Benjamin Buttons Tagebuch, das eine Frau von etwa vierzig Jahren (Julia Ormond) ihrer Mutter am Totenbett vorliest.

Der Film ist vollgepackt wie Jeunets "Amélie Poulain" - mit Stummfilmschnipseln eines alten Mannes, der sieben Mal vom Blitz getroffen wird; mit einer wilden filmischen Ereigniskette, die das Ende von Daisys Karriere zeigt; mit einer Episode, in der Tilda Swinton Benjamin früh die Bedeutung von Timing beibringt, und ihn später noch mal daran erinnert, wie man sich aus der Gefangenschaft seines Körpers befreit. "Benjamin Button" ist für dreizehn Oscars nominiert - und hätte jeden verdient.

Eine märchenhafte Geschichte, so poetisch und versponnen, dass man dem Kino kaum zutraut, dass es selbst auf die Idee gekommen ist. Ist es aber; von F. Scott Fitzgerald, dessen Kurzgeschichte der Titel und die Hauptfigur entstammen, ansonsten keine Spur. Von der Südstaatbetriebsamkeit über die schwarze Mama Queenie, die das Findelkind Benjamin aufzieht, bis hin zum optimistischen Glauben an das Gute - das ganze Drehbuch, der ganze Film ist gewissermaßen Anti-Fitzgerald.

Der Kerl in der Vorlage, der sein Leben verkehrt herum anfängt, ist ein egoistisches kleines Scheusal, das schließlich seine Frau verlässt, weil sie ihm zu alt geworden ist. Der Benjamin, den sich die Autoren Eric Roth, Robin Swicord und Regisseur David Fincher für die Leinwand ausgedacht haben, ist ein ungebrochener Held, reinen Herzens und von rührender Rechtschaffenheit - so eine Figur hätte Fitzgerald überhaupt nicht interessiert. Der Film träumt davon, dass es Liebe als einen Bund verwandter Seelen gibt, die alle Regeln der physischen Attraktion überwindet - an solch unverdorbene Emotionen hätte Fitzgerald nie geglaubt.

Begegnung in der Lebensmitte

Auf dem Weg zum Film wurde aus der kleinen Etüde über die Merkwürdigkeiten der fortschreitenden Zeit eine große Geschichte vom Altwerden, davon, wie schmerzlich es sowieso schon ist und wie fürchterlicher es dadurch wird, dass wir das Verschwinden unserer Jugend immer schlechter akzeptieren können, uns der natürlichsten Sache der Welt verweigern: Wir sterben nun mal, ein Leben lang. Eine Fitzgerald-Verfilmung ist das höchstens in dem Sinn, dass Fincher dem melancholischen Satz treu bleibt, der wohl Fitzgeralds berühmtester ist, allerdings aus dem "Gatsby": So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom - und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu . . .

Mit dem Altern, mit Verlust und Tod spielt der Film auf jeder Ebene, in der Handlung, den Bildern, den Dekors. Brad Pitt verwandelt sich von Szene zu Szene mehr zurück in das, bis hin zu einem fremden wächsernen Kerl, dessen Züge Ähnlichkeit haben mit dem ganz jungen Brad Pitt; und dem bis ins Groteske glattgepixelten Gesicht von Cate Blanchett als junger Daisy setzt Fincher immer wieder Großaufnahmen der ungeschminkten Julia Ormond entgegen, als wolle er fragen, was wirklich von Leben erfüllt ist - die starre Maske oder die nackte Haut. Es gibt kaum noch Gesichter im Hollywood-Kino, die nicht nachbearbeitet sind, aber nur ganz selten fängt das Kino mit der Computertechnik etwas wirklich Neues an - hier wird damit Verwandlung betrieben, wie sie noch vor ein paar Jahren unmöglich war, und gleichzeitig entlarvt der Film ein Stückchen Hollywood, die tote, gespenstische Gleichförmigkeit konservierter Jugend.

Grotesk glattgepixelte Gesichter

Man kann nicht aufdröseln, wie sich die kindliche Naivität des alten Benjamin verhält zu all den Erinnerungen, die er als junger Mann haben wird. Aber "Benjamin Button" ist auch kein Lebensratgeber und keine logische Abhandlung, sondern ein phantastisches Labyrinth, dass tausend Arten anbietet, die Welt zu sehen. Was bedeutet Erfahrung? Wie viel von dem, was wir sind und was wir empfinden, wird vom Zustand unseres Körpers bestimmt? Fincher hat daraus einen Film gemacht, der Emotionen und Irritationen zu einer Geschichte zusammenspinnt, die von der Grausamkeit der verstreichenden Zeit erzählt, von Jugendwahn und Älterwerden und der Würde und Schönheit, die das Leben entfalten kann, wenn man es lässt.

Man hätte einen so schönen, rührenden, von allem Zynismus befreiten Film wohl weder von Fincher noch von Eric Roth erwartet - Finchers Filme waren von "Seven" an nicht gerade von Menschlichkeit geprägt, und Roths "Forrest Gump" tut im Kern so, als wären die Menschen Herr über ihr Schicksal und im Zweifelsfall an ihrem Scheitern selber schuld. Vielleicht sind die beiden selbst nicht nur älter geworden, sondern weiser - und sehr viel warmherziger.

THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON, USA 2008 - Regie: David Fincher. Drehbuch: Eric Roth und Robin Swicord, inspiriert von einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald. Kamera: Claudio Miranda. Musik: Alexandre Desplat. Mit: Brad Pitt, Cate Blanchett, Taraji P. Henson, Julia Ormond, Tilda Swinton. Verleih: Warner, 167 Minuten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: