Im Kino: Beginners:Vernunft macht nicht glücklich

Der 75-jährige Hal ist krank und soll sich schonen, aber er will nicht. Lieber will er seinem Sohn offenbaren, dass er schwul ist und das nun mit einem jüngeren Liebhaber ausleben will. Man muss Mike Mill's Film "Beginners" lieben.

Susan Vahabzadeh

Vernunft macht nicht glücklich. Das ist die späte Lektion, die Oliver (Ewan McGregor) von seinem Vater Hal (Christopher Plummer) lernt. Hal ist krank und er sollte sich schonen, aber er will nicht, er will in vollen Zügen auskosten, was von seinem Leben noch übrig ist.

Im Kino: Beginners: Vater und Sohn: Christopher Plummer (links) und  Ewan McGregor in der Tragikomödie "Beginners".

Vater und Sohn: Christopher Plummer (links) und  Ewan McGregor in der Tragikomödie "Beginners".

(Foto: AP)

Oliver erinnert sich an diesen Trotz, mit dem der Vater sich gegen ein schon besiegeltes Schicksal stemmt und nach vorn schaut, während er selbst im Gestern versinkt.

Flirt als Stummfilm

Er ist nach dem Tod des Vaters in dessen Haus gezogen, mit dem Hund des Vaters, den er nie alleinlässt, und nimmt am sonstigen Leben nur noch teil, wenn ihn seine Freunde dazu zwingen. Bei einer solchen Gelegenheit lernt er ein Mädchen kennen, Anna (Mélanie Laurent), die sich als Charlie Chaplin verkleidet hat und nicht spricht. Die intensive Schweigsamkeit, die sorgsam ausgewählten Fragen auf kleinen Zettelchen, dieser Flirt als Stummfilm - dem kann Oliver nicht widerstehen, er verliebt sich, aber die Angst vor jeder neuen Bindung holt ihn immer wieder ein.

Wie eine Reise durch Gedanken und Erinnerungen hat Mike Mills seinen Film "Beginners" montiert - als Vatererinnerungsfilm ist er ein naher Verwandter von Terrence Malicks "The Tree of Life", der nächste Woche ins Kino kommt. "Beginners" ist, was diese Konstruktion betrifft, viel ruhiger, dafür ist der Rest angenehm versponnen.

Die aufgebrochene Chronologie ergibt einen schönen Bewusstseinsstrom, man weiß doch immer ganz genau, wo man ist in dieser Geschichte - in Olivers Kindheit, als ihn Komplizenschaft verband mit seiner Mutter, in den Jahren nach deren Tod, als der Vater ihm gesteht, dass er immer homosexuell gewesen ist und das nun ausleben will, in den verschiedenen Stadien der Beziehung zu Anna, die mal voller Überschwang viel zu schnell an Fahrt gewinnt und dann ausgebremst wird vom Alltag und von all den sanften Neurosen, die die beiden mitbringen aus ihrem früheren Leben.

Comic-Depression

Mills hat vor sechs Jahren mit "Thumbsucker" auf sich aufmerksam gemacht, in dem Tilda Swinton sich plagen musste mit einem Sohn, der auch in der Highschool noch hartnäckig am Daumen lutscht. Dieser Geschichte hat er seine eigene Biographie zugrunde gelegt, den Vater, der sich erst nach dem Tod der Mutter outete, hat es wirklich gegeben, und Mills ist, wie Oliver, Zeichner gewesen von Beruf - die Nähe zu den Figuren hat sicherlich ihre Konstruktion im Drehbuch beeinflusst, vielleicht färbt sie sogar ab auf das Spiel von McGregor, Plummer und Laurent, die die Szenen anfüllen mit verhaltener Emotion. Oliver sortiert sein Leben neu, und wir sehen ihm dabei zu, wie er Dinge neu zusammensetzt, neu bewertet, nachholt - alles von vorn anfängt.

"Beginners" ist voller zauberhafter Einfälle - Fotomontagen, eine Comic-Depression, die Oliver erfolglos als Plattencover zu verkaufen versucht, Untertitel, mit denen der Hund manchmal antwortet oder witzige Kommentare abgibt -, manches davon hätte ganz leicht in Kitsch abdriften können, aber Mills kriegt dann doch immer wieder die Kurve, meistens mit Humor, und wenn er witzig wird, spürt man immer noch, wie ernst ihm das alles ist.

Man muss diesen Film lieben, spätestens, wenn die erste Schleife von Fotografien durchläuft - so sah die Welt aus, als mein Vater jung war, so sah der Präsident aus und so eine Hausfrau, und so ist die Welt jetzt. Das ist wunderbar anzuschauen, wie man den Zeitgeist an Design festmachen kann. Die meisten Filme erzählen von Menschen, die den Aufstand proben - dieser erzählt davon, wie sich jemand bewusst wird, dass er seine unbeschwerte Kindheit dem Umstand verdankt, dass seine Eltern das nicht getan haben.

Ein besonders hübscher Moment, das ist Olivers Erinnerung an den Tag, als ihm sein Vater gesteht, dass er schwul ist. Oliver weiß ganz genau, dass der Vater einen ganz normalen Pulli anhatte und keinen purpurnen Seidenmorgenrock, aber dieser Seidenmorgenrock schleicht sich immer wieder zurück ins Bild. Genau so funktioniert Erinnerung.

BEGINNERS, USA 2010 - Regie und Buch: Mike Mills. Kamera: Kasper Tuxen. Schnitt: Olivier Bugge Couttier. Mit: Ewan McGregor, Christopher Plummer, Mélanie Laurent, Goran Visnijc. Verleih: Universal, 105 Minuten.

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