Süddeutsche Zeitung

Im Kino: "Australia":Die guten Geister des Gelingens

Lesezeit: 3 min

Waghalsig, exzessiv: Das Kinospektakel "Australia" mit Nicole Kidman und Hugh Jackman ist Romanze, Komödie, Western und Kriegsfilm zugleich.

Rainer Gansera

Der Mensch, sagt Jean-Paul Sartre, "ist immer Geschichtenerzähler und sieht alles, was geschieht, durch seine Geschichten." Baz Luhrmanns grandioses Kinospektakel "Australia", das waghalsig und exzessiv eine Fülle von Genres durchquert - Komödie, epische Romanze, Western, Kriegsfilm - folgt im Kern einer Idee, die den Mythen der australischen Ureinwohner entliehen ist: dass der Mensch durch die ihm gehörende Geschichte überhaupt erst in die Existenz gerufen wird.

Herzöffnend

In der schönsten Szene wird das Geschichtenerzählen zum herzöffnenden Schlüssel. Da hat sich der verwaiste zwölfjährige Aborigine-Mischlingsjunge Nullah (bezaubernd: Brandon Walters) ängstlich in ein Eck verkrochen. Nullah muss sich vor der Polizei verstecken, weil die Geschichte 1939 spielt und es im rassistischen Australien bis 1973 üblich war, Mischlingskinder zwangsweise in kirchliche Erziehungsheime zu stecken.

Lady Sarah Ashley (Nicole Kidman) nähert sich dem weinenden Jungen: "Soll ich dir eine Geschichte erzählen?" Sofort wendet sich Nullah ihr zu, strahlt sie an, und Nicole Kidman spielt wunderbar nuancenreich, komisch und ergreifend, wie die gespreizte Lady anfängt, sich in ein mitfühlendes Wesen zu verwandeln, wenn sie die Geschichte vom "Zauberer von Oz" umständlich erzählt und auch noch versucht, "Somewhere over the rainbow" zu trällern.

Der Regenbogen überwölbt motivisch die weitgefächerte Story, deren einzelne Kapitel in den verschiedensten Farben aufleuchten. Erster Akt: Komödie. Lady Ashley ist von London kommend in der australischen Hafenstadt Darwin gelandet, in einer Schlägerei werden gleich ihre 39 mit blauem Tuch bespannten Koffer ruiniert. Zarte Dessous flattern durch staubige Luft.

Zweiter Akt: Drama. Die britische Aristokratin stöckelt wie ein aufgescheuchtes Huhn durchs australische Hinterland. Sie will ihren Mann auf dessen Rinderfarm Faraway Downs besuchen und bemerkt entsetzt, dass dieser ermordet auf dem Küchentisch liegt und die Farm sich in einem erbärmlichen Zustand befindet. Hintergrund des Desasters: der Viehbaron der Gegend will sich Faraway Downs unter den Nagel reißen.

Die spektakulärste Rinderherdenrettungsszene der Filmgeschichte

Dritter Akt: Die große Romanze beginnt. Rettung naht in der äußerst virilen Gestalt Drovers (souverän: Hugh Jackman). Der durchschwitzte hemdsärmelige Cowboy und die zugeschnürte Lady bilden derartig funkenstiebende Gegensätze, dass sie einander anziehen müssen. Was dann vehement und im Schein vieler Sonnenuntergänge im vierten Akt, dem Viehtreiber-Western, geschieht. Unter Drovers Führung werden 1500 Rinder durch majestätische Landschaften Richtung Darwin getrieben. Ein wildromantisches, immer von der Lovestory durchflochtenes Abenteuer, das die spektakulärste Rinderherdenrettungsszene der Filmgeschichte zu bieten hat.

Im Gegensatz zum klassischen Western bleibt die Kamera hier nicht auf Augenhöhe der Akteure, sondern schwebt pathetisch über Abgründe und Täler und hoch hinauf zu Berggipfeln, wo Nullahs Großvater, der Aborigine-Schamane King George (David Gulpilil) steht und die guten Geister des Gelingens beschwört. So wird die klassische Horizontale der Treck-Bewegung von einer australischen Vertikalen durchkreuzt, die den mythischen Raum öffnet.

Wenn die Rinder glücklich verladen sind und die Liebenden als elegantes Paar auf dem Ball erscheinen, gibt es einen dramatischen und emotionalen Abschluss, nach dem sich der Film etwas schwer tut, wieder in die Gänge zu kommen: wenn im nächsten Akt, 1941, mit dem Fliegerangriff der Japaner auf Darwin der apokalyptische Kriegsfilm anrollt.

Regisseur Baz Luhrmann ("Romeo & Julia", "Moulin Rouge") ist für seine opernhaft-großgestische, übermütige Inszenierweise bekannt. Ihm gelingt es, durch Anhäufung und knallige Ausmalung von Kitsch-Elementen Momente einer starken, glaubwürdigen Expression herzustellen. Ein Sonnenuntergang ist Kitsch, aber zehn davon, in allen Varianten durchgespielt, ergeben eine magische Beschwörung der Leidenschaft. Kitsch-Dekonstruktion durch Überdeterminierung der Zeichen.

Versöhnend

"Australia" ist Hommage an Kino-Romanzen vor epochalem Hintergrund wie "Vom Winde verweht" oder "Giganten", und zugleich der Versuch, die Geschichte einer Neugeburt der australischen Nation aus dem Geist der Versöhnung mit den Ureinwohnern zu erzählen.

Das mag überambitioniert und allzu politisch korrekt erscheinen. Es gewinnt durch die herzergreifende Figur des Mischlingsjungen Nullah spielend Zusammenhalt. Aus seiner Perspektive werden die Bilder aufgeblättert, wie in einer Traumerzählung, die zwischen Kinoreferenzen, Geschichte und Urzeitmythen mühelos den Regenbogen der lebenspendenden Verheißung aufspannt.

AUSTRALIA, Austr./USA, 2008 - Regie: Baz Luhrmann. Buch: Baz Luhrmann, Stuart Beattie, Ronald Haarwood, Richard Flanagan. Kamera: Mandy Walker. Mit: Nicole Kidman, Hugh Jackman, Brando Walters, David Wenham, Bryan Brown, David Gulpilil. Fox, 166 Min.

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SZ vom 24.12.2008/rus
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